Kartoffel in einer Kiste
ORF/Otto Stangel
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Landwirtschaft

App gegen Lebensmittelverschwendung

Was tun mit der Ernte, die nicht verkauft werden konnte und deshalb im Müll landen würde? Diese Frage hat sich auch ein Landwirt aus Auersthal (Bezirk Gänserndorf) gestellt. Eine Lösung verspricht eine App, die der Lebensmittelverschwendung den Kampf ansagt.

Familie Hellmer aus Auersthal baut seit etwa 30 Jahren Erdäpfel an. Pro Jahr werden neben rund 250 Tonnen Erdäpfel auch 15 Tonnen Speisekürbis, fünf Tonnen Melanzani und drei Tonnen Zucchini produziert. „Wir sind ein ganz kleiner Bauernhof“, sagt Karl Hellmer.

Die Erdäpfel verkauft Familie Hellmer im hofeigenen Kartoffelladen, an die Gastronomie und über den Supermarkt. „Im Vorjahr hatten in der Lockdownzeit aber viele Gastronomiebetriebe geschlossen, dadurch wurden wir auf die App von ‚Too Good to Go‘ aufmerksam“, erzählt Christine Hellmer. „Die Leute haben das gut angenommen. Dadurch haben wir Ware an den Mann gebracht, die sonst übriggeblieben wäre und die wir somit nicht wegwerfen mussten.“

Kunden bekommen Lebensmittel billiger

„Too Good to Go“ wurde 2015 in Dänemark gegründet und kam 2019 nach Österreich. Mithilfe der App können Kundinnen und Kunden überschüssige Lebensmittel, die sonst im Müll landen würden, aber auch sogenannte „B-Ware“ bestellen. Die Landwirte stellen diese in Ab-Hof-Läden oder wie Familie Hellmer auch an Verkaufsständen zur Abholung bereit. Die Waren sind laut Vorgaben von „Too Good to Go“ um zwei Drittel billiger als der reguläre Preis im Supermarkt.

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Erdäpfelbauer Karl Hellmer
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Landwirt Karl Hellmer will der Lebensmittelverschwendung den Kampf ansagen
Erdapfel in einer Hand
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Dieser Erdapfel wäre für den Verkauf im Supermarkt nicht geeignet, weil er zu unförmig ist
Melanzani
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Ähnliches Schicksal erleiden die Melanzani, deren Haut leicht beschädigt ist
Abholstation von „Too Good to Go“ in Wien
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Überschüssiges Gemüse bzw. sogenannte „B-Ware“ kann man über die App „Too Good to Go“ kaufen
Abholstation von „Too Good to Go“ in Wien
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Alle Lebensmittel sind genießbar, haben nur manchmal ein paar Schönheitsfehler
Lange Schlangen vor einer Abholstation von „Too Good to Go“
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Beim Lokalaugenschein von noe.ORF.at bei einer Verkaufsstelle in St. Marx (Wien) herrschte großer Andrang

Bei den Erdäpfeln, die Familie Hellmer im Vorjahr über die App anbot, handelte es sich vorwiegend um 1A-Qualität, die man auch im Supermarktregal finden würde. „Wir halten das auch weiterhin aufrecht, wenn wir eine Überproduktion haben“, sagt Christine Hellmer. „Im Sommer hatten wir etwa sehr viele Zucchini. Mit der App haben wir gute Abnehmer gewonnen und müssen das Gemüse nicht wegwerfen, wenn zu viel gewachsen ist.“

Neue Chance für „B-Ware“

Andererseits bietet Familie Hellmer aber auch Produkte an, die es etwa aufgrund von kleinen Dellen nicht ins Supermarktregal schaffen würden. „Die Kartoffel sind genießbar, haben nur manchmal einen Schönheitsfehler, sodass man etwas wegschneiden muss, etwa einen Stich von einem Drahtwurm“, sagt Karl Hellmer. „Es ist nicht angebracht, dass man so gute Lebensmittel wegschmeißt.“

Auch bei den Melanzani würden aufgrund des Windes oft äußerliche Schäden an der Haut auftreten, wodurch sie nicht mehr für den Verkauf im Supermarkt geeignet sind. Über die App können sie dennoch an die Konsumentinnen und Konsumenten gebracht werden. Die auf der Plattform angebotenen Lebensmittel sind jedenfalls alle genießbar, sagt der Landwirt. „Einen gefaulten Erdäpfel schmeißt man sowieso nicht rein.“

Junge kaufen wegen der Umwelt, Ältere wegen des Preises

Die 19-jährige Tochter der Familie, Sophie Hellmer, hilft beim Verkauf. Die Kundinnen und Kunden würden das Angebot sehr positiv aufnehmen. „Bei den Jungen steht eher der Umweltgedanke im Vordergrund, dass Essen nicht weggeschmissen wird, bei den Älteren spielt eher der Preis eine Rolle“, so die Junior-Landwirtin. Dass Lebensmittel doch noch Abnehmer finden, die sonst im Müll landen würden, finde sie jedenfalls „einen schönen Gedanken“.

Die Kunden würden es sehr schätzen, dass sie aufgrund der Verkaufsstände „kurze Wege haben“, sagt Christine Hellmer. „Es ist für beide Seiten gut, aber natürlich für uns auch ein Geschäft.“ Im Vordergrund steht aber für Karl Hellmer der Gedanke, dass man der Lebensmittelverschwendung den Kampf ansagt: „Die Leute sehen ein, dass man gute Lebensmittel nicht wegschmeißen kann.“

ORF III Themenmontag: Nachhaltig essen – Geht das?

Wir wollen nachhaltiger leben, und doch lassen wir den Großteil unseres Essens weit weg von uns zu Dumpingpreisen produzieren, nur um dann einen Gutteil davon wegzuwerfen. Tonnenweise landen gute Lebensmittel im Müll, während die Produktionsbedingungen in den Herstellerländern zu Sozialdumping und Armut führen. Verschwendung, Verschmutzung und Zerstörung scheinen die Leitmotive unseres Lebenswandels zu sein, allen Bekundungen, es anders machen zu wollen, zum Trotz. Die Dokumentation von Edith Dietrich und Herbert Kordes zeigt Wege auf, wie regionaler und nachhaltiger Konsum gelingen können, abseits plakativer Ansagen, sondern heruntergebrochen auf unsere Alltagspraxis.

In Österreich sind mittlerweile 3.000 Geschäfte und Lebensmittelketten Teil der Initiative „Too Good to Go“, rund 200 davon aus Niederösterreich. Die App hat eigenen Angaben zufolge rund 40 Millionen Userinnen und User in 16 Ländern und weltweit 123.000 Partnerbetriebe.

„Ich sehe hier neue Absatzchancen, vor allem bei Kunden, denen ein Produkt, das nicht unbedingt großhandelstauglich ist, etwas wert ist“, sagt Bauernbundpräsident Georg Strasser gegenüber noe.ORF.at. Laut Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) werden bereits jetzt pro Tag bundesweit acht Tonnen Lebensmittel verkauft und nicht mehr weggeworfen. „Wir unterstützen das ausdrücklich. Vor allem die Bäuerinnen und Bauern haben ein ganz großes Bewusstsein und einen Willen, dass die Lebensmittel verwertet und nicht verschwendet werden“, so Köstinger.