Protestaktion vor Uniklinik St. Pölten
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Chronik

Gesundheitspersonal schreit nach Hilfe

In ganz Österreich haben am Mittwoch Bedienstete im Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich protestiert, um auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen. Durch Pandemie und Personalmangel sei die Arbeit bald nicht mehr bewältigbar, hieß es in St. Pölten.

12.05 Uhr vor dem Universitätsklinikum St. Pölten. Grün gekleidetes Personal tritt aus dem Krankenhaus auf den Vorplatz – auch zahlreiche Personen, die eigentlich frei hätten, kommen, um gemeinsam zu protestieren. Die körperlichen und mentalen Limits seien überschritten, sagen Viele. „Mir fällt es sehr schwer, meine Kräfte zu mobilisieren und in den Dienst zu gehen. Wir sind alle körperlich und psychisch überlastet“, so Intensivpfleger Manfred Winkler.

Intensivpflegerin Monika Bell sagte bei der Protestaktion am Mittwoch: „Wir haben laufend Covid-Patienten auf der Station und manche sind monatelang da, bis sie wieder fit sind. Sie belegen die Betten also sehr lange.“ Stefan Handlhofer ergänzte: „Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Situation kippt und nicht mehr bewältigbar ist.“

Viele wollen den Job wechseln

Der Warnstreik richtete sich an die politischen Verantwortlichen auf Bundes- und Landesebene, hieß es, man will sie zum Handeln auffordern. „Es ist nicht fünf nach zwölf, es ist eigentlich schon halb eins“, so Betriebsrats-Vorsitzender Wolfgang Schrefl. „Wöchentlich sitzen Angestellte bei mir, die sagen, sie möchten den Job wechseln, weil sie nicht mehr können. Wenn ich ihnen dann sage, dass sie dann keine Abfertigung bekommen, antworten sie oft, das Geld sei ihnen egal, sie wollen wieder leben.“

Protestaktion vor Uniklinik St. Pölten
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Zu Mittag vor dem Universitätsklinikum St. Pölten: Protest des Gesundheitspersonals

Auch Intensivpfleger Stefan Handlhofer denkt bereits über einen Jobwechsel nach: „Ich bleibe in der Pflege, aber man muss sich schon einen Plan B bereit halten. Wenn es so weitergeht, stelle ich mir die Zukunft schwierig vor in dem Beruf.“

Schon vor der Pandemie habe es zu wenig Personal gegeben, nun habe sich diese Situation weiter verschärft, so die stellvertretende Betriebsrats-Vorsitzende der Universitätsklinik St. Pölten, Gerda Schilcher: „Bereits vor der Krise litt der Gesundheitsbereich unter massivem Personalmangel. Die Pandemie verschärfte diese Entwicklung. Es braucht mehr Personal, adäquate Entlohnung, Dienstplansicherheit und vor allem eines: Die verdiente Wertschätzung.“

Forderung nach mehr Urlaub und Geld

Vor allem die fehlende Planbarkeit belastet viele, sagte Krankenschwester Alexandra Winter: „Wir haben keinen Dienstplan mehr, man kann privat nichts planen, weil man ständig hereinkommen und einspringen muss, wenn wieder jemand positiv ist. Man fragt sich schon langsam, ob man hier noch angestellt oder mittlerweile schon Sklave ist.“

„Es kann nicht sein, dass Personal nach dem Dienst weinend nach Hause geht, weil sie nicht mehr können. Das gehört geregelt. Wir brauchen mehr Urlaub und wir brauchen mehr Gehalt“, forderte Ramona Morawetz, Krankenschwester auf der Covid-Station des Uniklinikums St. Pölten.

Protestaktion vor Uniklinik St. Pölten
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Betriebsrats-Vorsitzender Wolfgang Schrefl und die stellvertretende Betriebsrats-Vorsitzende der Universitätsklinik St. Pölten Gerda Schilcher bei der Protestaktion am Mittwoch

Größte Gesundheitskrise seit 100 Jahren

Koordiniert wurde die Protest-Aktion von der „Offensive Gesundheit“, einem Verbund von Gewerkschaft, Ärzte- und Arbeiterkammer. Sie verwiesen darauf, dass sich Österreich seit fast zwei Jahren in der größten Gesundheitskrise seit 100 Jahren befinde. Die Regierung habe aber noch immer keine einzige dringend nötige Reformmaßnahme gesetzt, die den Beschäftigten in den Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen ihre tägliche Arbeit spürbar erleichtern würde, heißt es.

Der Präsident der Arbeiterkammer Niederösterreich, Markus Wieser, sprach bei der Kundgebung dem Gesundheitspersonal seine Solidarität aus: „Andere wären eigentlich dafür verantwortlich, dass es mehr Personal gibt, dass es eine adäquate Ausbildung gibt.“ In Anspielung auf den klatschenden Beifall, den es jeden Abend während des ersten Lockdowns für das Pflegepersonal gab, sagte Wieser: „Klatschen zahlt keine Miete, klatschen zahlt keine steigenden Energiekosten und klatschen ist nicht das, was wir uns eigentlich erhoffen.“

Christoph Reisner, der Präsident der Ärztekammer Niederösterreich, unterstützt die Aktion seiner Kolleginnen und Kollegen und schreibt in einer Aussendung: „Unser Gesundheits- und Sozialsystem steht nicht erst seit der Pandemie, sondern seit Jahren unter einer massiven Dauerbelastung, über die nicht hinweggesehen werden darf. Die täglichen Aufgaben nicht nur der Ärztinnen und Ärzte, sondern des gesamten Gesundheitspersonals, sind in dieser Form kaum mehr zu bewältigen." Die Aktion vor dem Universitätsklinikum St. Pölten und allen anderen Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen war nach wenigen Minuten wieder vorbei, damit die Pflegekräfte ihre Arbeit wieder aufnehmen konnten.