Othello am Landestheater Niederösterreich Nicholas Monu als Othello und Tim Breyvogel als Jago
Alexi Pelekanos
Alexi Pelekanos
Kultur

„New York Times“ lobt St. Pöltner „Othello“

Am Landestheater Niederösterreich freut man sich derzeit über einen Bericht der „New York Times“ über „Othello“, die Saisonpremiere: „A Rare ‚Othello‘ Puts the Spotlight on Race“. Die nächste Premiere gibt es mit „Herr Puntila und sein Knecht Matti“.

AC Goldman, Theaterkritiker mit Wohnsitz in München, schreibt seit Herbst 2017 für die „New York Times“ („NYT“). Für die renommierte US-Tageszeitung besuchte er eine Vorstellung des „Othello“ im Landestheater Niederösterreich in St. Pölten. Mit dieser Shakespeare-Tragödie war am 11. September die Saison 2021/22 eröffnet worden.

Knapp zwei Monate später, am 12. November, erschien in der Onlineausgabe der „New York Times“ sein Bericht über den Vorstellungsbesuch und seine Gespräche, die er mit Regisseur Rikki Henry, den Schauspielern Nicholas Monu (im Bild oben links als Othello)und Tim Breyvogel (im Bild oben rechts als Jago) sowie mit Marie Rötzer, der Künstlerischen Leiterin des Landestheaters, geführt hatte.

„Das Gespräch über Rassismus wird in Gang gebracht“

„With its new ‚Othello‘, the Landestheater is jump-starting a conversation about racism in Austrian society and the need for diversity on the country’s stages. According to the theater, there has never been a German-language production of ‚Othello‘ with both a Black director and star before, and it seems significant that the first is taking place not in a major cultural metropolis, but in St. Pölten, a small city 40 miles outside Vienna“, schreibt AC Goldman.

(„Mit dem neuen ‚Othello‘ bringt das Landestheater ein Gespräch über Rassismus in der österreichischen Gesellschaft und die Notwendigkeit von Diversität auf den Bühnen des Landes in Schwung. Nach Angaben des Theaters hat es noch nie eine deutschsprachige Produktion von ‚Othello‘ mit einem dunkelhäutigen Regisseur und einem dunkelhäutigen Hauptdarsteller gegeben, und es erscheint bezeichnend, dass die erste nicht in einer großen Kulturmetropole, sondern in St. Pölten stattfindet, einer kleinen Stadt 40 Meilen außerhalb von Wien", Anm.).

Ensembleszene in Othello am Landestheater Niederösterreich
Alexi Pelekanos
Dieses Gefühl der Ausgrenzung sei etwas, mit dem sich jeder, unabhängig von seiner Hautfarbe, identifizieren könne, so Regisseur Rikki Henry. In „Othello“ spielen u.a. Michael Scherff, Tim Breyvogel, Laura Laufenberg, Nicholas Manu, Marthe Lola Deutschmann und Tilman Rose (v.l.)

„Es heißt oft, dass Innovationen aus der Provinz kommen“, sagt Marie Rötzer, seit 2016 Künstlerische Leiterin des Landestheaters Niederösterreich, im Interview mit der US-Tageszeitung. „Mit diesem ‚Othello‘ sprechen wir Wunden an: die Wunden des Rassismus, der Feindlichkeit gegenüber Flüchtlingen, der Xenophobie und des in Österreich oft anzutreffenden Isolationismus“, so Rötzer.

Obwohl William Shakespeares Stücke im deutschsprachigen Raum oft und gerne aufgeführt werden, wird „Othello“ eher seltener gezeigt. „Normalerweise will es niemand anfassen", erklärt Tim Breyvogel, der den Jago spielt. In den falschen Händen könne eine „Othello“-Produktion Stereotype über dunkelhäutige Männer legitimieren, meint er. Außerdem sei auch in Österreich den meisten Theatern mittlerweile klar, dass das Spielen der Titelrolle in Blackface inakzeptabel sei.

Regisseur Rikki Henry: „Das Gefühl der Entfremdung“

Marie Rötzer gewann als „Othello“-Regisseur Rikki Henry, der bereits Shakespeares „Hamlet“ in der Landeshauptstadt inszenierte. Über dessen „Othello“-Version schreibt der „NYT“-Kritiker: „Seine auffallend zeitgenössische Produktion spielt in der Welt des professionellen Boxens, in der Othello ein Schwergewichts-Preiskämpfer ist.“ „Meine Vorstellung war von jemandem, der unglaublich einsam und isoliert war", so Henry.

Othello am Landestheater Niederösterreich Nicholas Monu als Othello und Tim Breyvogel als Jago
Alexi Pelekanos
„Othello“ im Boxring: Ein Kampf zwischen Othello (Nicholas Monu, l.) und Jago (Tim Breyvogel, r.)

Dieses Gefühl der Ausgrenzung und Entfremdung, sagte der Regisseur, sei etwas, mit dem sich jeder, unabhängig von seiner Hautfarbe, identifizieren könne. „Der Boxring habe auch dazu beigetragen, Jagos Machenschaften zu motivieren und den Rassismus dieser Figur aufzudecken, fügte er hinzu. ‚Jagos Manipulationen und Argumente wurden lebendiger, weil Boxen so wettkampforientiert ist und auf Intrigen beruht‘, sagte Henry“, so die „New York Times“.

Nicholas Monu: „Man wird nicht ernst genommen“

In der Rolle des Othello ist der 56-jährige Nicholas Monu zu sehen. Der Schauspieler und Regisseur wurde in Nigeria geboren, lebt in Salzburg und arbeitete in den letzten 30 Jahren an zahlreichen renommierten Bühnen in Großbritannien und im deutschsprachigen Raum, wie etwa der Schaubühne in Berlin oder dem Wiener Burgtheater.

Er sagte, dass „Rassismus in der österreichischen Gesellschaft weitgehend unter der Oberfläche liege. ‚Die Leute denken nicht viel darüber nach. Es gab nicht diese Reise, die Amerika wegen der Sklaverei – Jim Crow usw. – machen musste, oder die Deutschland wegen des Zweiten Weltkriegs machen musste‘."

Es sei keine aggressive Form von Rassismus, fügte er im Gespräch mit AC Goldman hinzu. „Man wird einfach nicht ernst genommen oder nicht auf Augenhöhe wie ein Mensch gesehen.“ Wenn man divers wirklich ernst nimmt und leben möchte, dann „müssen Sie die Türen für Menschen öffnen, die nicht wie Sie klingen und aussehen“, so Monu.

Manchmal werde diese Reise dorthin unangenehm oder unbequem, aber er hoffe, dass dieser „Othello“ das Publikum zu dieser Reise inspirieren kann. „Ich kann mein Bestes geben, um so viele Menschen wie möglich zu erreichen, indem ich einfach sage: ‚Hey, weißt du was, ich bin der erste Farbige, den du je auf der Bühne gesehen hast – und ich spreche Deutsch.‘“

Vorschau auf Herr Puntila und sein Knecht Matti am Landestheater Niederösterreich
Alexi Pelekanos
Bertolt Brecht über seine 1940/41 entstandene Parabel: „Über den Puntila kann ich fast alles schreiben, über den Krieg nichts“

Nächste Premiere: „Herr Puntila und sein Knecht Matti“

"Wir zeigen Euch heute Abend hier, ein gewisses vorzeitliches Tier … auf deutsch ‚Gutsbesitzer‘ genannt.“ Eine wahre Geschichte, erzählt von seiner Gastgeberin im finnischen Exil, inspirierte Bertolt Brecht 1940 zu seinem märchenhaften Volksstück. Der reiche Bauer Puntila ist im betrunkenen Zustand ein geselliger Menschenfreund, aber während seiner „Anfälle von Nüchternheit“ mutiert er zum Tyrannen, der willkürlich sein Personal beschimpft oder entlässt. Puntilas Tochter Eva versucht, ihm den Alkohol zu verbieten, und wird dadurch ebenfalls zum Spielball seiner despotischen Eskapaden. Als Puntila sie zu einer Heirat zwingen will, inszeniert sie mit dem Chauffeur Matti ein vorgebliches Liebesverhältnis, das die Herrschaftsverhältnisse auf dem Gutshof noch zuspitzt.

Die Wirren des Zweiten Weltkriegs stets im Bewusstsein und finnische Birkenwälder vor Augen verfasste Bertolt Brecht seine komödienhafte Parabel: „Über den Puntila kann ich fast alles schreiben, über den Krieg nichts“ notierte er in sein Tagebuch. Die von dem Philosophen Hegel beschriebene dialektische Abhängigkeit von Herrn und Knecht führt nach Brechts Interpretation zu einer gemeinsamen Verantwortung aller Beteiligten für eine gerechtere Gesellschaft.

In der Tradition von Brechts Theaterpraxis inszeniert die Regisseurin und Schauspielerin Ruth Brauer-Kvam mit viel szenischem Humor und Live-Musik eine lustvolle Selbstermächtigung der Figuren, Premiere ist am 26. November. In der letzten Spielzeit brachte sie mit großem Erfolg bei Publikum und Presse „Molieres Schule der Frauen“ auf die Bühne des Landestheaters Niederösterreich. Es spielen Tobias Artner, Tim Breyvogel, Marthe Lola Deutschmann, Philip Leonhard Kelz, Laura Laufenberg, Tilman Rose, Michael Scherff und Milos Todorovski. Das Leading Team besteht aus Ruth Brauer-Kvam (Regie), Monika Rovan (Bühne), Ursula Gaisböck (Kostüme) und Kyrre Kvam (Musikalische Leitung).