Rudolf Buchbinder
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Kultur

Rudolf Buchbinder: Ein Wunderkind wird 75

Rudolf Buchbinder ist einer der begnadetsten Pianisten unserer Zeit und weltweit geschätzter Beethoven-Interpret und Kenner. Am 1. Dezember feiert er seinen 75. Geburtstag. Der vielseitige Künstler begann seine Karriere als Klavier-Wunderkind.

Er hat alte Klaviere und Erstausgaben von Partituren und Klavierliteratur gesammelt sowie Bücher zu Beethoven geschrieben. In den 1970er- und 1980er-Jahren gestaltete er auch Fernsehserien im ORF zu musikalischen Themen.

In Grafenegg (Bezirk Krems) begründete Rudolf Buchbinder ein Festival für klassische Musik mit. Er leitet es bis heute sehr erfolgreich. Ach, ja! Und weltberühmter Pianist ist er auch noch. Anlässlich seines 75. Geburtstags sprachen wir mit dem vielfach ausgezeichneten Künstler.

noe.ORF.at: Herr Buchbinder, wie hätten Sie ohne den Lockdown Ihren 75. Geburtstag verbracht?

Rudolf Buchbinder: Ursprünglich war gedacht, dass ich ein Konzert gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern im Musikverein gebe. Wir hätten Beethovens erstes Klavierkonzert gespielt, das dritte und noch ein Bläserquintett, dass man sieht, dass ich auch Kammermusik spiele.

Das erste Klavierkonzert Beethovens verfolgt mich ja seit meinem neunten oder zehnten Lebensjahr. Das war damals mein Debut im großen Musikvereinssaal. Vor 65 Jahren habe ich also dieses Konzert zum ersten Mal gespielt, ich weiß nicht mehr, wie ich das geschafft habe als kleiner Bub.

noe.ORF.at: Als junger Mensch spielt man ja mit einer gewissen Unbekümmertheit. Haben Sie sich von dieser Unbekümmertheit etwas behalten bis heute?

Buchbinder: Nein, die Unbekümmertheit nicht. Je älter ich werde, desto nervöser werde ich. Weil ich mir die Latte immer höher ansetze. Aber: Ich höre mir eigentlich meine aktuellen Aufnahmen nicht an, doch hin und wieder stolpere ich über historische Aufnahmen von mir.

Da war ich einmal überrascht, als ich mir anhörte, wie ich mit acht oder neun Jahren eine Chopin-Etüde spielte und ich war erschrocken, wie gut das war. Wie man als Kind instinktiv richtig spielt. Da kommt etwas ins Spiel, das man bis ins hohe Alter nicht verlieren darf: die Spontaneität.

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Rudolf Buchbinder: „Ich habe die Hoffnung, dass die Coda meines Lebens noch sehr sehr viele Takte haben wird“

noe.ORF.at: Sie spielen ein sehr breites Repertoire mit zeitgenössischer Musik und großen Klassikern wie Schubert, Schumann oder Brahms. Ihr Leibkomponist ist Beethoven. Warum?

Buchbinder: Es ist der Mensch Beethoven, der mich fasziniert. In seinen Sonaten hört man sein Leben: wann er unglücklich war, verliebt war, wann er sarkastisch und ironisch war. Er hat uns großartige und oftmals sehr schwer zu spielende Musik hinterlassen. Meine Technik ist in den letzten 20 Jahren zum Glück noch besser geworden. Da schwimme ich offenbar gegen den Strom wie in vielen Bereichen.

noe.ORF.at: Mit Grafenegg haben Sie sich ein weiteres künstlerisches Standbein geschaffen. Ist das Ihr Erfolgsgeheimnis, dass Sie selbst genau wissen, was ein Virtuose braucht?

Buchbinder: Ja, das glaube ich schon. Erstens gibt es bei mir kein Motto bei den Festivals, dafür bin ich schon von vielen Seiten gelobt worden. Und zweitens lasse ich den Künstlern vollkommene Freiheit, mit welchen Werken sie auftreten wollen. Sie sollen mit dem kommen, mit dem sie sich gerade am Wohlsten fühlen oder das sie am meisten interessiert. Das wird dann auch sehr gut. Man muss nur mit Dubletten aufpassen. Aber selbst die Interpretation eines Stückes durch zwei verschiedene Künstler kann sehr interessant sein.

TV-Tipp

Ein Porträt über Rudolf Buchbinder ist am 1.12.2021 in „NÖ heute“ (19.00 Uhr, ORF2-N) zu sehen.

noe.ORF.at: Wenn Sie nun so zurückblicken auf dieses unglaublich reichhaltige Leben, was empfinden Sie dabei?

Buchbinder: Wenn ich das musikalisch ausdrücken darf, jetzt beginnt die Coda meines Lebens. Es gibt sehr viele Musikwerke, wo die Coda sehr lang ist. Ich habe die Hoffnung, dass diese Coda noch sehr sehr viele Takte haben wird.

Immerhin: Mein Leben dauert bereits ein dreiviertel Jahrhundert, das ist keine Kleinigkeit. Allein, wenn ich daran denke, wie lange ich schon auf der Bühne stehe. Ich habe mehrere tausend Konzerte gegeben in meinem Leben. Und es erfüllt mich immer noch.