Aus kultureller Sicht will man das erste Halbjahr 2021 wohl möglichst rasch wieder vergessen. Lockdowns und strenge Coronavirus-Maßnahmen machen einen Kulturbetrieb für mehrere Monate unmöglich. Die Theaterhäuser müssen den Spielbetrieb verschieben, selbst Proben werden vorläufig ausgesetzt.
Im Februar sind es die Museen, die sich erstmals wieder über Besucherinnen und Besucher freuen dürfen, wenngleich unter strikten Sicherheitsmaßnahmen. Führungen bleiben untersagt, ansonsten gelten ein Zwei-Meter-Abstand oder auch die Pflicht, eine FFP2-Maske zu tragen. Doch so schwierig die Bedingungen sind, die Museen in Niederösterreich bieten auch 2021 zahlreiche neue Ausstellungen.
So zeigt etwa das Museum Niederösterreich eine Sonderausstellung mit dem Titel „I wer‘ narrisch! Das Jahrhundert des Sports“. Das MAMUZ Museum Mistelbach gibt Einblicke in die Mayakultur – mit der Ausstellung „MAYA“ sowie mit einer ergänzenden Ausstellung „Götter & Rituale der Maya“.
Auf der Schallaburg (Bezirk Melk) ist die Ausstellung „Sehnsucht Ferne – Aufbruch in neue Welten“ zu sehen. Es ist eine Schau, in der es um große Abenteuer, um Mut und Angst, Forschergeist und Selbstzweifel, Erfolg und Scheitern geht.
Doch auch für die Museen und Ausstellungshäuser ist im April vorerst wieder Schluss. Coronavirusbedingt müssen auch sie neuerlich bis Mai pausieren, alle anderen haben seither ohnehin nicht öffnen dürfen.
Unter den Kulturschaffenden macht sich immer mehr Frust breit. So zeigt sich etwa die künstlerische Leiterin des Landestheaters Niederösterreich, Marie Rötzer, enttäuscht. „Weil wir im Herbst bewiesen haben, dass unsere Präventionskonzepte unglaublich gut funktioniert haben“, so Rötzer damals.
Theaterfest mit Comeback und Wechsel an der Spitze
Ende Jänner kündigt Werner Auer an, als Obmann des Theaterfestes künftig nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Auer hatte die Agenden 2009 vom mittlerweile ehemaligen Reichenau-Intendanten Peter Loidolt übernommen. Auer, der Intendant der Felsenbühne Staatz ist, wolle bei der nächsten Obmannwahl nicht mehr antreten. „Es braucht frischen Wind“, sagt er damals gegenüber noe.ORF.at.
Gleichzeitig feiert das Theaterfest nach einem Jahr coronavirusbedingter Pause sein Comeback und bietet 22 Produktionen an 18 Spielorten, lediglich das Festival Retz und das Festival Schloss Weitra pausieren. So zeigt etwa die Bühne Baden im Juli die Premiere von „Eine Nacht in Venedig“, die Festspiele Berndorf veranstalten eine „Ladies Nights“ und die Sommernachtskomödie Rosenburg gibt Einblicke in den „Käfig voller Narren“. Insgesamt werden beim Theaterfest Niederösterreich 143.159 Besucherinnen und Besucher gezählt.

Ende September steht dann auch die Nachfolge von Auer fest: Kristina Sprenger, die seit 2014 Intendantin der Bühne Berndorf (Bezirk Baden) ist, wird zur neuen Obfrau gewählt. „Ich übernehme einen sehr gut geführten Verein, der das Kulturgeschehen in Niederösterreich im letzten Jahrzehnt entscheidend geprägt hat. Ich freue mich sehr auf meine neue Aufgabe“, sagt Sprenger.
Kultursommer als große Hoffnung
Wegen der angespannten Coronavirus-Lage konzentrieren sich die Kunst- und Kulturschaffenden in erster Linie auf den Sommer und den Herbst. Am 19. Mai hat die lange Durststrecke für die Kultur schließlich ein Ende – Bühnen, Theater und Kinos dürfen wieder aufsperren.
Die Freude ist den Betroffenen regelrecht ins Gesicht geschrieben. „Wir freuen uns und sind überglücklich, dass wir wieder öffnen dürfen", sagt damals Brigitte Fürle, die künstlerische Leiterin des Festspielhauses in St. Pölten. Das Cinema Paradiso setzt beispielsweise verstärkt auf das Open-Air-Kino am Rathausplatz und verlegt dessen Beginn sogar vor.
Neben dem Theaterfest können im Sommer zahlreiche Festivals stattfinden, insbesondere Open-Air-Festivals. Insgesamt sind es mehr als 1.500 Veranstaltungen, die im Laufe des Kultursommers in Niederösterreich geboten werden. So geht etwa das traditionelle Konzert „Klassik unter Sternen“ mit Weltstar Elina Garanca im Stift Göttweig über die Bühne.
Ebenso kann auch das im Waldviertel beheimatete internationale Kammermusikfestival „Allegro Vivo“ heuer wieder stattfinden. Das Programm steht unter dem Motto „Humoresque“. Zum Thema Humor sagt der künstlerische Leiter Vahid Khadem-Missagh: „Er erhebt uns selbst aus schwierigsten Situationen wie mit unsichtbarer Hand und setzt positive Kräfte frei. Mit Musik ist der Humor untrennbar verbunden und gerade jetzt wichtiger denn je.“
Doch während etwa das Wachauer Volksfest oder auch das Nova Rock Encore in Wiener Neustadt stattfinden, werden andere Festivals auch heuer in die Zwangspause geschickt. So wird etwa das FM4-Frequency-Festival abgesagt. Das Rathaus in St. Pölten begründet die Entscheidung mit Bedenken wegen der Delta-Variante des Coronavirus. Die Enttäuschung über die Absage sei groß, so damals Frequency-Veranstalter Harry Jenner, der aber verspricht: „2022 kommen wir noch stärker zurück.“
Grafenegg feiert 15-Jahr-Jubiläum
Das Grafenegg-Festival trotzt heuer der Coronaviruskrise und feiert sein 15-Jahr-Jubiläum, wenngleich nicht alles reibungslos verläuft. Das Programm des Eröffnungskonzerts muss kurzfristig geändert werden, weil ein Sänger des Wiener Singvereins positiv auf das Coronavirus getestet wird. Das Konzert, das mit Verdis Requiem in die Saison startet, findet daraufhin ohne Chor statt. Der ORF Niederösterreich zeichnet die Festivaleröffnung mit Opernweltstars auf der Bühne für ORF2 auf.
Obwohl die Zahl der Konzerte heuer geringer ausfällt, kommen in der Sommersaison mehr als 40.000 Menschen nach Grafenegg. Rudolf Buchbinder, künstlerischer Leiter in Grafenegg, spricht von einem „unglaublichen Publikumserfolg“. Zum Festivalfinale gibt es Strauss’ „Vier letzte Lieder“ zu hören. Dabei tritt auch Starsopranistin Renee Fleming auf, die schon 2007 zu Gast war – damals bei strömendem Regen. Doch Fleming schreckt weder Regen noch das Coronavirus ab. „Es ist für mich total episch, wieder hier zu sein“, sagt sie beim Abschlusskonzert gegenüber noe.ORF.at.
Loidolts ziehen sich von Festspielen Reichenau zurück
Trotz aller Lichtblicke bleibt es für die Festspiele Reichenau heuer ein turbulentes Jahr. Bereits im Jänner sorgt ein Rohbericht des Rechnungshofes über die finanzielle Gebarung für Schlagzeilen, im Mai wird dann der Endbericht veröffentlicht. Darin empfehlen die Prüfer nicht nur, dass die Förderungen eingestellt werden sollten, sondern sie legen dem Land auch nahe, Förderungen zurückzuverlangen.
In der Kritik steht vor allem die Firmenkonstruktion hinter den Festspielen, etwa dass Tochterunternehmen gegründet wurden, die von den Festspielen diverse Produktions- und Marketing-Aufträge bekamen. Von einem intransparenten Konstrukt, Rechtswidrigkeiten bei der Vergabe und Interessenskonflikten ist die Rede.
Die niederösterreichische Kulturabteilung bestätigt in einem Schreiben im Herbst den Festspielen Reichenau, dass „nach eingehender Prüfung der Empfehlungen des Bundesrechnungshofes in seinem Prüfbericht vom 7. Mai 2021 von einer Rückforderung Abstand genommen wird.“

Unterdessen werden die für heuer geplanten Festspiele Reichenau abgesagt. Die Begründung: Mit einer nur 50-prozentigen Auslastung würde man ein zu großes Defizit haben. Der finanzielle Schaden wird mit rund 1,2 Millionen Euro beziffert.
Gleichzeitig startet das Land Gespräche über eine mögliche Zukunft der Festspiele Reichenau. Das Intendantenehepaar Peter und Renate Loidolt zieht sich schließlich zurück. „Corona hat uns gekillt“, findet Renate Loidolt drastische Worte.

Die Künstlerinnen und Künstler zeigen sich von alldem kurz vor Probenbeginn erschüttert. „Absagen, obwohl man spielen kann“ und das mit „gekündigten Verträgen ohne Abfindungen“, das sei eine unsolidarische Vorgangsweise, sagt damals etwa der Schauspieler Nicolaus Hagg. Zahlreiche Ensemblemitglieder reichen daraufhin Klage gegen die Festspiele ein. Später wird Burgschauspielerin Maria Happel als neue künstlerische Leiterin der Festspiele Reichenau präsentiert. Das Land und die Gemeinde Reichenau sichern außerdem den Fortbestand der Festspiele.
Zwei neue Welterbestätten
Niederösterreich wird um zwei Welterbestätten reicher. Schon seit Jahren bemüht sich Baden um den Titel als einer der wichtigsten Kurorte Europas – genannt „Great Spas of Europe“ – und wird für die Mühen belohnt. Im Juli wird Baden zur Weltkulturerbestadt ernannt. Die Freude in Baden ist groß.
„Das ist die größte Auszeichnung, die unserem einzigartigen historischen Erbe jemals zuteil wurde“, jubelt etwa Badens Bürgermeister Stefan Szirucsek (ÖVP). Auch Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zeigt sich erfreut: „Die Aufnahme in die Welterbeliste ist eine weitere Auszeichnung für unser reichhaltiges Bundesland, das neben dem Weltkulturerbe Wachau und der Semmeringbahn nun ein weiteres Weltkulturerbe besitzt.“
Die Thermalquellen von Baden wurden erstmals in der Römerzeit dokumentiert. Ab dem 15. Jahrhundert erlangte der Ort unter dem Haus Habsburg zunehmend Bedeutung, ehe Baden ab 1793 unter Kaiser Franz II. zum führenden Kurort Österreichs wurde. In der Folge wurde 1820 das erste freistehende Kurhotel Europas eröffnet, spätestens um 1870 avancierte die Stadt zu einem Kurort von Weltrang.
Und auch der Donaulimes trägt seit heuer das Weltkulturerbe-Prädikat der UNESCO. Die einstige Grenze des Römischen Reiches führt durch Oberösterreich, Niederösterreich und Wien. "Dass der westliche Teil des Donaulimes mit seinen Abschnitten in Deutschland, Österreich und der Slowakei nun eingeschrieben werden konnte, ist die Anerkennung jahrelanger intensiver Vorarbeiten und gleichzeitig Auftrag für den umfassenden Schutz für kommende Generationen“, so Sabine Haag, Präsidentin der Österreichischen UNESCO-Kommission.
Der Limes als einstige Grenze des Römischen Reiches erstreckte sich von Großbritannien über Mittel- und Osteuropa und den Nahen Osten bis nach Nordafrika. Die UNESCO strebt die vollständige transnationale Einschreibung der 6.000 Kilometer langen „Grenzen des Römischen Reiches“ an.
Weiterer Lockdown bringt neuerlich Frust
Das Kulturjahr endet schließlich früher, als man sich das erhofft hatte. Ein neuerlicher Lockdown im November und Dezember bedeutet auch für kulturelle Veranstaltungen ein vorzeitiges Aus. Das Stadttheater Baden kann vor dem Lockdown gerade noch die Premiere des diesjährigen Adventstückes, des Musicals „Robin Hood“, über die Bühne bringen. Dann heißt es wieder, alles dichtmachen für zumindest drei Wochen. „Ein Lockdown ist für jedes Theater ein Desaster. Es ist diesmal wirklich sehr schmerzhaft für uns, weil wir gesehen haben, dass das Stück wirklich sehr gut ankommt“, so Martina Malzer, die Leiterin der Bühne Baden.

Wenngleich es Verständnis gibt, die strengen Maßnahmen wegen der Coronavirus-Lage mitzutragen, so ist der Frust ein weiteres Mal groß. „Wir sind keine öffentlichen Toiletten, die man zusperrt und dann gleich wieder aufsperren kann. Wir sind von internationalen Filmverleihen abhängig. Wir hatten nach einem siebenmonatigen Lockdown endlich das Vertrauen des Publikums wieder gewonnen, das ist nun wieder beschädigt", macht Alexander Syllaba, Geschäftsführer des Cinema Paradiso in Baden, seinem Ärger Luft.
Und auch die vielen Freischaffenden fallen neuerlich um ihre Engagements in der Adventzeit um. Das Kulturjahr 2021 – es bleibt eine Achterbahnfahrt und endet leider so, wie es begonnen hat.