Niederösterreich impft

Forscher warnt: „Nicht weitermachen wie zuvor“

Auch diesmal scheint der Lockdown zu wirken, denn die Coronavirus-Zahlen gehen langsam zurück. Man dürfe nach Ende des Lockdowns aber nicht wieder in alte Muster verfallen, warnt Komplexitätsforscher Peter Klimek.

Zwischen Freitag und Dienstag ging die Zahl der aktiven Coronavirus-Infektionen in Niederösterreich von 22.734 auf 18.167 zurück. Auch die Zahl der Neuinfektionen sank in den vergangenen Tagen. Vor einer Woche wurden noch 1.208 Neuinfektionen verzeichnet, von Montag auf Dienstag waren es nur noch 484. Der Lockdown scheint also zu wirken.

In einer Woche dürfen nun der Handel und die Gastronomie wieder öffnen – das wurde am Dienstag bekanntgegeben. An ein Mindestmaß an Maßnahmen müsse sich die Bevölkerung über den Winter hinweg aber wohl gewöhnen, um weitere Lockdowns zu vermeiden, meint Komplexitätsforscher Peter Klimek im Interview mit noe.ORF.at.

noe.ORF.at: Herr Professor Klimek, wie gut wirkt der aktuelle Lockdown?

Peter Klimek: Das Ziel des Lockdowns war es, eine nachhaltige Senkung der Inzidenz zu erreichen. Man sieht: Dieses Ziel ist erreicht, die Zahlen gehen deutlich nach unten. Von daher war die Wirkung, wie bei den bisherigen Lockdowns, eigentlich stark genug, damit wir aus dieser misslichen Lage, in der wir vor wenigen Wochen waren, herausgekommen sind.

Peter Klimek
ORF
Peter Klimek im Gespräch mit Werner Fetz

noe.ORF.at: Es soll Öffnungsschritte geben. Was ist aus ihrer Sicht realistisch, was ist vernünftig?

Klimek: Was jedenfalls unvernünftig wäre, wäre, wenn wir jetzt gleich so weitermachen, wie wir es im Sommer oder auch noch im September getan haben. Wir müssen uns wohl an ein Mindestmaß an Maßnahmen über den gesamten Winter hinweg gewöhnen. Ich denke da etwa an die FFP2-Maskenpflicht in Innenräumen, an 2-G bzw. 2-G plus-Regeln, wenn man Kontakte hat und natürlich an die Basismaßnahmen – sprich Abstand halten, Hygienemaßnahmen etc.

Jetzt, wo wir in die Vorweihnachtszeit gehen, sind die riskantesten Settings in der Gastronomie am Abend – Stichwort Weihnachtsfeiern bzw. Großveranstaltungen in geschlossenen Räumen, insbesondere wenn es dort keine zugewiesenen Sitzplätze gibt. Ich denke, hier könnte man schon Abstufungen machen, um zuerst eine erste Welle von Öffnungsschritten vorzunehmen, die etwa Handel und Gastronomie tagsüber betrifft. Wenn man sieht, dass das System dann immer noch stabil ist, dann kann man noch weitere Öffnungsschritte vornehmen.

noe.ORF.at: Wie sehr haben sich die Menschen denn an den Lockdown gehalten?

Klimek: Wir haben bisher in jedem Lockdown gesehen, dass sich die Mobilität drastisch reduziert hat. Das war ein sehr deutlicher, starker Effekt. Allerdings sieht man auch, dass dieser Effekt von Lockdown zu Lockdown ein bisschen geringer ausgefallen ist.

Das darf man nicht überbewerten, es ist immer noch eine deutliche Reduzierung und deswegen sehen wir auch diese nachhaltige Senkung der Inzidenzen. Es zeigt aber auch: Diese Maßnahme nutzt sich ab. Das ist ein Grund mehr, so selten wie irgendwie möglich und notwendig zu dieser Maßnahme zu greifen.

noe.ORF.at: Wie gefährlich ist nun die Vorweihnachtszeit? Droht – wie im letzten Jahr – ein erneuter Lockdown nach den Weihnachtsfeiertagen?

Klimek: Bei allem, das mehrere Wochen bis zu einem Monat in der Zukunft liegt, ist die entscheidende Frage: Was ist mit der neuen Variante Omikron? Wie hart wird sie uns tatsächlich treffen? Dazu gibt es immer noch keine wirklich zuverlässigen, seriösen Informationen, an denen man das ablesen kann. Im Prinzip haben wir im Sommer ja erwartet, dass es möglich sein sollte, wenn man rasch genug reagiert und rasch genug gegensteuert, dass man ohne Lockdown über den Winter kommt.

Bis jetzt haben wir in Europa aber in drei Ländern Lockdowns gesehen – das waren Lettland, die Slowakei und eben Österreich. Ich würde davon ausgehen, dass wir – wenn man gewillt ist, mildere bis moderatere Maßnahmen zu setzen, sollten die Fallzahlen wieder steigen – den restlichen Winter ohne Lockdown überstehen kann. Vorausgesetzt natürlich wir machen parallel weiter mit den Booster-Impfungen und wir machen diese Mindestmaßnahmen konsequent, denn Omikron könnte uns einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen.

noe.ORF.at: Eine Frage noch zu den Impfungen: Wie gut schützen sie eigentlich?

Klimek: Da muss man Schutz in dreierlei Hinsicht unterscheiden. Der erste ist der Schutz vor einem schweren Verlauf, also davor, dass ich auf der Intensivstation lande. Da gilt nach wie vor bei allen Impfstoffen: Sie wirken sehr gut und langanhaltend. Ein bisschen anders sieht es beim Schutz vor einer Infektion bzw. beim Schutz vor einer Weiterübertragung des Virus aus. Da sehen wir, dass das durch die Impfung deutlich reduziert ist, aber nicht in dem Maß, dass es keine Infektionswellen unter Geimpften gibt.

Aber – und das ist der entscheidende Punkt – die Infektionswellen unter Geimpften laufen anders ab als unter Ungeimpften. Das sieht man jetzt etwa an Ländern wie Portugal und Dänemark. Dort sind viele Menschen geimpft, die Infektionswellen steigen wesentlich flacher an und kommen wesentlich schaumgebremster auf den Intensivstationen an. Kurzum: Wenn wesentlich mehr Leute geimpft gewesen wären, dann wäre diese Welle nicht so gefährdend für unser Gesundheitssystem gewesen.