„GANZ PERSÖNLICH“

Norbert Gollinger: „Es wird eine neue Zeit“

Nach 42 Jahren endet im Jänner die ORF-Karriere von Norbert Gollinger. Er war fast 20 Jahre Landesdirektor des ORF Niederösterreich, im Jänner geht er in Pension. Erfolge gibt es viele, Fehler aber auch, sagt er im persönlichen Interview.

Norbert Gollinger wurde am 14. Oktober 1956 in Wien geboren und studierte nach der Matura Germanistik und Publizistik an der Universität Wien. Er gehört dem ORF seit 1979 an. Von 1984 bis 1998 war er beim Aktuellen Dienst Fernsehen/Innenpolitik und der „Zeit im Bild“ tätig.

1998 wurde er Chefredakteur des ORF Niederösterreich, im Februar 2002 zum Landesdirektor bestellt. Seine Bilanz fällt durchaus positiv aus, wenngleich auch etwas Wehmut mitschwingt: „Ich würde es sofort wieder machen.“

noe.orf.at: Herr Gollinger, Sie waren mehr als 40 Jahre beim ORF. Das ist eine lange Zeit. Was werden Sie vermissen?

Norbert Gollinger: Ich werde den täglichen Betrieb vermissen, das Hinter-Themen-her-sein, sie aufzuarbeiten, zu recherchieren. Ich war ja lange in der aktuellen Berichterstattung, und das ist schon immer so ein Kribbeln. Ich nehme an, dass mir das teilweise fehlen wird. Da wird schon auch ein bisschen Wehmut aufkommen, aber das gehört dazu. Wenn das nicht so wäre, dann hätte ich in den letzten Jahrzehnten irgendetwas falsch gemacht, das ist aber nicht so. Es war das richtige Leben.

Ganz persönlich Norbert Gollinger
ORF
Norbert Gollinger spricht im Interview über seine lange ORF-Karriere, besondere Ereignisse und die Zeit danach

noe.orf.at: Und was werden Sie nicht vermissen?

Gollinger: Die Fremdbestimmtheit durch den Terminkalender. Das gehört dazu, das ist Teil eines Jobs, wie ich ihn in den letzten 20 Jahren hatte, daher lebt man damit. Aber ich gebe ganz offen zu, ich freue mich sehr auf die nächsten Jahre, auf die Flexibilität, die dann da sein wird.

noe.orf.at: Sie sind mit 45 Jahren Landesdirektor geworden, sehr jung. Im Rückblick: Würden Sie sagen, dass Sie sich deshalb besonders durchsetzen mussten?

Gollinger: Nein, das habe ich nicht so empfunden. Ich hatte, als ich Landesdirektor wurde, bereits eine lange Zeit im ORF hinter mir. Ich habe 1979 im Landesstudio Niederösterreich begonnen, und zwar von der Pike auf. Ich war nicht immer Moderator oder Sendungsleiter, sondern ich war Assistent, ich habe auch einmal eine kleine Jause vorbeigebracht und ähnliches mehr. Das war schon sehr hilfreich, und das habe ich auch gespürt bei den Kolleginnen und Kollegin aus dem Team, die genau gewusst haben, da kommt jetzt jemand, der weiß, wovon er redet.

noe.orf.at: Was war Ihr größter Erfolg?

Gollinger: Ich glaube, diesen EINEN großen Erfolg gibt’s nicht. In meiner Zeit bei der „Zeit im Bild“ in der Innenpolitik waren das sicher die Interviewrunden mit den Spitzenkandidaten bei den Nationalratswahlen, bei den Bundespräsidentenwahlen, später dann auch bei Landtagswahlen. Im Landesstudio gehört zu den Höhepunkten die Berichterstattung, wenn es Katastrophen gab, wie das Jahrhunderthochwasser oder die Gasexplosion in Wilhelmsburg. Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern: Ich habe die Nacht in der Redaktion verbracht, wo ich die Redakteurinnen und Redakteure der Reihe nach angerufen habe, wo sie in der Früh sein sollten. Das habe ich schon als gelungen empfunden.

Dann gibt es einen zweiten Bereich, das ist die Kultur, die mir persönlich sehr am Herzen liegt. Ich wollte die Kultur dem Publikum näherbringen. Und da gibt‘s einen Favoriten, das gebe ich ganz offen zu: Das war die „Strudlhofstiege“ im Südbahnhotel. Die Dramatisierung von tausenden Seiten von Heimito von Doderer an vier verschieden Orten, ganz oben und ganz unten, das ist uns damals sehr gut gelungen. Wir konnten damit ein Stück kulturelle Zeitgeschichte im Südbahnhotel am Semmering für die Nachwelt bewahren.

noe.orf.at: Gibt es Entscheidungen, die Sie bereuen? Misserfolge?

Gollinger: Fehler passieren, alles andere wäre verdächtig, unnormal. Mir war nur bald klar, dass man dann reagieren muss. Es wäre fatal einen Fehler zweimal zu machen. Ich glaube, davon bin ich verschont geblieben (lacht). Man muss außerdem herausfinden, warum passiert dieser Fehler. War es einfach eine Unachtsamkeit? Dann ok, das passiert. Wenn ein strukturelles Problem besteht, muss man Änderungen vornehmen.

noe.orf.at: Waren Sie ein strenger Chef?

Gollinger (lacht): Ich glaube, es hat schon Phasen gegeben, wo mich die Mitarbeiter vielleicht manchmal als zu sehr engagiert empfunden haben, wenn ich wieder einmal irgendjemanden wegen des laufenden Programms angerufen habe, oder wegen irgendeiner TV-Geschichte, die ich gerade gesehen habe. Aber ich habe im Lauf der Jahre gelernt, dass es gescheit ist, zweimal nachzudenken, ob man jetzt sofort anrufen soll, oder ob man das bei Gelegenheit einmal in irgendeiner angenehmen Situation bespricht.

noe.orf.at: Sie waren viele Jahre Journalist bei der „Zeit im Bild“ und bei allen wichtigen Ereignissen dabei, unter anderem auch bei den Briefbombenattentaten. Was war denn Ihr prägendster Moment?

Gollinger: Weil Sie das Briefbombenattentat angesprochen haben: Ich war zu dieser Zeit im Innenministerium und habe für die „Zeit im Bild“ berichtet. Es gab sehr wenig Informationen, weil die Polizei sehr vorsichtig war. Ich bin also viel am Telefon gehängt. Aber ich erinnere mich sehr gut, dass damals erstmals die Rasterfahndung zur Anwendung kam.

Ganz persönlich Norbert Gollinger
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Ich habe mich dann hingesetzt und habe mir überlegt, wie kann ich das besonders erklären, dass nämlich Eigenschaften zusammengeführt werden und eine Art Profil dieses Menschen entwickelt wird. Als dann eine Woche später Franz Fuchs gestellt wurde, da ist mir das sehr nahegegangen. Ich habe mir gedacht, vielleicht hat mein Beitrag ein bisschen etwas dazu beigetragen. Und wenn nicht, dann können wir alle froh sein, dass er dingfest gemacht wurde.

noe.orf.at: Sie haben drei Enkelkinder. Werden Sie jetzt Vollzeit-Opa?

Gollinger (lacht): Nein, das will ich nicht versprechen, denn dann sollte ich es ja auch einhalten. Vollzeit also nicht. Aber wenn meine Enkelkinder mich brauchen, dann bin ich da, egal was ist. Ob es Sarah hier in Langenzersdorf ist, oder meine beiden Enkelkinder Pippa und Johannes in Zürich. Wenn sie mich brauchen, bin ich da. Wenn ich noch nicht fliegen kann, weil das noch zu eng ist wegen Corona, dann setze ich mich ins Auto. Ich kenne die Strecke mittlerweile und in einem dreiviertel Tag ist man auch in Zürich.

noe.orf.at: Die Medienlandschaft hat sich ja durch die sozialen Medien stark verändert. Sind Sie eigentlich auf TikTok?

Gollinger: Nein, bin ich nicht. Ich gebe Ihnen recht, das ist eine riesige Veränderung. Das war ein Paradigmenwechsel. Ich glaube auch, dass es für uns als Landesstudio notwendig sein wird, diese verschiedenen Plattformen zu bespielen, um jüngeres Publikum anzusprechen. Ich glaube aber, dass man im Umgang mit den Medien sehr, sehr vorsichtig sein muss, also wir natürlich als Studio, aber auch als Konsument. Denn es schlummern auch viele Risiken in diesem Bereich. Ich denke da nur an den ganzen Bereich fake news. Da bedarf es doch einer erheblichen Anstrengung, um das dann zu korrigieren.

noe.orf.at: Wenn Sie unter die letzten 42 Jahre einen Strich ziehen, wie fällt dann Ihre Bilanz aus?

Gollinger: Es war eine wunderbare Zeit. Ich würde es sofort wieder machen. Ich gehe mit einer großen Freude und einer großen Dankbarkeit in dieses neue Leben, wie ich es bezeichne. Erstens, weil ich auf einen wunderschönen beruflichen Lebensweg blicken kann und außerdem freue ich mich auf ein neues Leben. Ich bin neugierig, auf die Begegnungen, die auf mich zukommen. Es wird eine neue Zeit.