Chronik

Turbulenter Prozessstart um Gasexplosion

Mit großen Anlaufschwierigkeiten hat am Montag der Prozess um eine Explosion mit einem Toten und 22 Verletzten in der Erdgasstation Baumgarten (Bezirk Gänserndorf) begonnen. Kurz nach Start wurde die Verhandlung gleich für längere Zeit unterbrochen.

Die Anwälte der zahlreichen Beschuldigten hatten die Unterbrechung erzwungen, weil sie mit den Umständen der Verhandlung nicht einverstanden waren. Denn wegen der pandemiebedingten Abstands- und Sicherheitsregeln findet das Verfahren in drei Verhandlungssälen statt. In einem Saal wird verhandelt, für Presse und weitere Verfahrensbeteiligte wie etwa Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verteidiger wird in zwei weitere Säle übertragen.

Die Verteidiger hatten sich darüber massiv beschwert, weil etwa der permanente Kontakt zu den Mandanten nicht gegeben sei. Der Anwalt Wolfgang Schubert, der bereits im Kaprun-Verfahren eine Verteidigung übernommen hatte, schlug etwa vor, das Verfahren in einen externen, größeren Saal nach Stockerau zu verlegen. Auch das Verfahren wegen der Brandkatastrophe von Kaprun wurde damals aufgrund des breiten öffentlichen Interesses ins Salzburger Kolpinghaus verlegt.

Diskussion um Verlegung des Prozessauftaktes

Anwalt Richard Soyer war für eine zeitliche Verschiebung ins Frühjahr, wo womöglich die Corona-Infektionszahlen wieder zurückgehen und die Maßnahmen erleichtert werden könnten. Bei dem Verfahren handle es sich um einen Einzelrichterprozess und eine Freifuß-Verhandlung, allfällige Haftfristen spielten somit keine Rolle, sagte Soyer: „Man muss nicht jetzt verhandeln.“ „Und Sie garantieren mir, dass es da besser ist?“, meinte darauf Richterin Astrid Raufer.

Das Einzelrichterverfahren hätte bereits am 23. November beginnen sollen. Die Rechtsanwälte hatten davor aber eine Vertagungsbitte an das Landesgericht geschickt, zudem kam der vierte bundesweite Lockdown dazwischen. Dessen Ende bildet nun den neuen Startschuss für den Prozess – auch weil es „wenige Sozialkontakte zuletzt gegeben“ habe und daher „die Ansteckungsgefahr reduziert“ sei, wie Wolfgang Schuster-Kramer, Sprecher des Landesgerichts sagte.

Ablauf weiterer Verhandlungstage noch offen

Die Vorsitzende entschied nach Rücksprache mit dem Gerichtspräsidium mit der Verhandlung zu starten. Zumindest die Eröffnungsplädoyers würden mit der festgelegten Sitzordnung abgehalten. „Ich bin an einem fairen Verfahren und einer raschen Abwicklung interessiert“, meinte sie. Das Problem könne zumindest am Montag aber nicht gelöst werden.

Neben der heutigen Verhandlung sind weitere Termine zunächst für 15. und 17. Dezember geplant, weitere neun Prozesstage sind für 2022 vorgesehen. Wo diese dann stattfinden werden, ist noch unklar. Der Prozess hätte eigentlich bereits am 23. November starten sollen, aufgrund des Lockdowns wurden die ursprünglichen Termine aber abgesagt.

Angeklagte bestreiten Vorwürfe

Der Staatsanwalt führt in seinem Eröffnungsplädoyer Vorgeschichte und Ablauf der Explosion aus. Ein Techniker starb damals, 22 Personen wurden zum Teil schwer verletzt, 50 Millionen Euro Schaden sind entstanden. Den Angeklagten, die die Vorwürfe bestritten, wird unzureichende Überprüfung, Kontrolle und Organisation ohne Einwilligung des Eigentümers angelastet. Ihnen drohen im Fall eines Schuldspruchs bis zu drei Jahren Haft.

Den zwölf Angeklagten wird in Bezug auf das Geschehen vom 12. Dezember 2017 fahrlässige Herbeiführung einer Feuersbrunst vorgeworfen. Vier Unternehmen drohen Geldbußen nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz. Die Vorwürfe werden bestritten.

Filterseparator im Zentrum des Prozesses

Ein Filterseparator spielt bei dem Prozess eine zentrale Rolle. Mitarbeiter einer Rohrtechnik-Firma sollen das Gerät, das Feuchtigkeit aus Gasleitungen filtert, 2016 in einer Anlage in Kärnten abgebaut haben. Dabei ist laut Staatsanwalt Thomas Ernst ein sicherheitsrelevanter Bauteil – ein Sicherungszentralhebel – unsachgemäß demontiert worden. 2017 wurde der Filterseparator bei der Anlagenerweiterung in der Station der Gas Connect Austria (GCA) installiert.

Als das Gerät am 12. Dezember 2017 mit Erdgas gefüllt wurde, riss der 500 Kilogramm schwere Deckel ab und wurde auf einen gegenüberliegenden Filterseparator geschleudert, dessen Verschluss ebenfalls aufging. Unter hohem Druck trat Gas aus, es kam zu einer Explosion. „Beim Druck von 30 bar habe er noch gehalten, bei 40, 50 bar habe die Hydraulik versagt und der Deckel löste sich gewaltsam“, sagte der Ankläger.

Fotostrecke mit 3 Bildern

Geschmolzene Autos
ORF
Durch die enorme Hitzeentwicklung der Explosion schmolzen Autos am Parkplatz der Anlage
Rauchwolken
ORF
„Brand aus" konnte nach der Explosion in Baumgarten noch am selben Tag gegeben werden
zerstörtes Gebäude nach der Explosion
ORF
Die Gasstation ist die größte Import- und Übernahmestation für Erdgas in Österreich. Einen Tag nach der Explosion ging sie wieder in Betrieb.

Als Ursache gilt laut Staatsanwalt neben dem fehlenden Sicherungszentralhebel u.a. auch eine nicht plankonform befestigte Zentralschraube und eine unzulässig aufgeschraubte Druckkappe am Schnellverschluss. Das Gerät soll von Mitarbeitern des TÜV (Technischer Überwachungsverein, Anm.) Austria Services geprüft worden sein, ohne dass ein fehlendes Bauteil aufgefallen wäre. Die GCA hatte einen Teil der Prüfaufgaben an einen Dienstleister ausgelagert. Bei der Explosion wurde der 32-jährige TÜV-Techniker getötet. 22 Personen wurden teilweise schwer verletzt.

Staatsanwalt ortete „fehlende Zuständigkeiten“

„Die Zuständigkeiten waren nicht klar geregelt“, sagte der Staatsanwalt in seinem zweistündigen Eröffnungsplädoyer. Die Leute hätten aufeinander vertraut, weil sie schon sehr lange zusammen gearbeitet haben. Zudem hätten die Dokumentationen zu den Abläufen gefehlt. „Da entstehen ganz gefährliche Graubereiche“, sagte Ernst. Es hätten sich zwölf Leute das Gerät immer wieder angesehen, aber es habe sich keiner zuständig gefühlt.

Die GCA sei in dem Fall Zentralakteur gewesen, weil sich das Gerät in deren Eigentum befunden habe. Das Unternehmen müsse das Prüfverfahren vorgeben, die Dokumentationen und die Verträge mit den Fachfirmen verwalten. Zudem hätte die GCA den Zugang zum Unfallort, hat das Hausrecht. „Ohne GCA, kein Unfall“, sagte der Staatsanwalt. Die nötigen Prüfungen seien nicht durchgeführt worden und sie haben sich die Prüfungsarbeiten nicht bestätigen lassen. Es habe keine formelle Freigabe des Gases gegeben, sagte der Ankläger. Auch Anwalt Leonhard Kregcjk, der u.a. einen Rohrleitungsmonteur vertritt, meinte: „Es wurde der Gashahn aufgedreht, obwohl alle Ampeln auf Rot gestanden sind.“

„Das umfangreiche, vom zuständigen Staatsanwalt beauftragte Expertengutachten zur Unfallursache enthält nicht den geringsten Hinweis auf ein schuldhaftes Verhalten der GCA“, gab hingegen das Unternehmen in einer Stellungnahme bekannt. Man habe zur Errichtung und Installation von technischen Anlagen externe Fachfirmen und vor der Inbetriebnahme zertifizierte Inspektions- und Prüfstellen beauftragt. Erst wenn all diese Schritte erledigt sind, komme es zur Übergabe des Filterseperators an die GCA und zum Betrieb des Gerätes. „Zu dieser Übergabe ist es nie gekommen, da sich der Unfall während der Prüfungsphase ereignet hat.“ Neben der GCA muss sich auch der Bauausführer, die Bauaufsicht und die Prüfstelle als Unternehmen verantworten.

Größte Übernahmestation für Erdgas

Baumgarten ist die größte Import- und Übernahmestation für Erdgas in Österreich. Erdgas aus anderen Ländern wird dort übernommen, gemessen, geprüft und für den Weitertransport verdichtet. Aus Baumgarten wird das Erdgas über die großen Transitleitungen nach Deutschland, Italien, Frankreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn gebracht und über das Primärverteilsystem in die österreichischen Bundesländer transportiert.

Das Verteilerleitungsnetz in Österreich erstreckt sich über nahezu 40.000 Kilometer. Nach der Explosion 2017 schnellten die Gaspreise kurze Zeit in die Höhe. Engpässe bei Gaslieferungen gab es keine.