Ortstafel: Ende Wien, Beginn Perchtoldsdorf
ORF
ORF
Chronik

Wenn die Landesgrenze im Wohnzimmer verläuft

Im Norden von Perchtoldsdorf (Bezirk Mödling) gibt es drei Häuser, die sowohl zu Niederösterreich als auch zu Wien gehören. Die Landesgrenze geht mitten durch die Wohnräume. Dadurch gelten im selben Haus oft widersprüchliche Bestimmungen.

„Immer wenn ich wo anrufe und meinen Fall schildere, bekomme ich zu hören, dass es das eigentlich gar nicht mehr geben darf“, erzählt Katja Eckert, die in der Ketzergasse wohnt, entlang der die Landesgrenze zwischen Niederösterreich und Wien verläuft: „Man sagt, dass es Flurbereinigungen gegeben habe, damit jedes Haus eindeutig einem Bundesland zugeordnet werden kann. Drei Häuser scheint man aber vergessen zu haben, wir sind eine Art gallisches Dorf!“

Ein verschwundener Bach bildet die Grenze

Die Grenze zwischen Perchtoldsdorf (Bezirk Mödling) und Liesing (Gemeinde Wien) wurde vor mehr als 100 Jahren entlang eines Bachs gezogen, der damals durch eine unbesiedelte Aulandschaft floss. Diese Au wurde trockengelegt und der Bach verschwand in Kanalrohren unter der Erde. Aus dem Grund kann man an der Oberfläche auch heute nicht erkennen, wo genau die Grenze ist. Auf Plänen ist ersichtlich, dass diese über weite Teile in der Fahrbahnmitte der Ketzergasse verläuft. Die nördliche Seite der Straße gehört zu Wien, die südliche zu Niederösterreich.

Ein Haus in der Ketzergasse
ORF
Wenn der Garten und der Vorgarten in verschiedenen Bundesländern liegen, gelten auch beim Fällen von Bäumen verschiedene Regeln

Carport bauen und Bäume fällen wird zur Herausforderung

Bei Familie Krejci und ihren Nachbarn allerdings weicht die Grenze von der Straßenmitte ab: „Wir haben einen Plan, da sieht man, dass die Grenze bei uns quer durch den vorderen Teil des Hauses verläuft. Das Klo ist in Wien, ebenso wie die Haustür und der Briefkasten“, sagt Heidemarie Krejci, „aus dem Grund gelten für den Vorgarten die Wiener Bestimmungen. Wenn wir hier einen Baum schneiden wollen, brauchen wir eine Genehmigung der Stadt. Für den Garten hinter dem Haus ist das nicht notwendig, der liegt in Niederösterreich.“

Große Unterschiede gibt es auch bei der Bauordnung, berichtet Ernst Krejci: „Wir wollten ein Carport bauen. Die Wiener Bauordnung verbietet das im Vorgarten. Da sollte es neben oder hinter dem Haus stehen, also in Niederösterreich. Die niederösterreichischen Bestimmungen empfehlen aber den Vorgarten als idealen Bauplatz, was die Wiener aber verbieten.“

Die Grenze zwischen Wien und Niederösterreich verläuft in den meisten Fällen in der Mitte der Ketzergasse

Als Niederösterreich und Wien am 1. Jänner 1922 zwei voneinander getrennte, unabhängige Bundesländer wurden, gab es hier noch keine Landesgrenze. Damals waren Rodaun und Liesing noch eigenständige Gemeinden, die zu Niederösterreich gehörten, erklärt Historiker Gregor Gatscher-Riedl: „Zwischen diesen Orten waren noch viele Wiesen und Felder. Da war es egal, wo die Grenze läuft.“

1938 wurden Rodaun und Liesing ebenso wie Perchtoldsdorf nach Wien eingemeindet. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich sollte Wien die „flächenmäßig größte Stadt des Reichs“ werden. „Im Jahr 1954 ist Perchtoldsdorf wieder zu Niederösterreich zurückgekehrt“, sagt Gatscher-Riedl, „Liesing und Rodaun allerdings blieben bei Wien. Dadurch wurde die eher unbedeutende Grenze plötzlich zur Landesgrenze.“

„Wenn die Niederösterreicher Mist bauen, bin ich Wienerin“

Die direkt auf der Grenze lebenden Bewohner nehmen die teils kuriosen Auswirkungen meistens mit Humor: „Wenn die Wiener einen Blödsinn machen, fühl ich mich als Niederösterreicherin“, sagt Heidemarie Krejci, „und wenn die Niederösterreicher Mist bauen, dann bin ich Wienerin.“ Das Leben direkt an der Grenze habe aber auch Vorteile, schildert Katja Eckert: „Wir genießen die Nähe zum Land hier in Perchtoldsdorf. Gleichzeitig sind wir, im wahrsten Sinn des Wortes, mit einem Schritt in Wien und haben da alles, was eine Großstadt bietet.“

Jahrzehntelang gab es allerdings auch Probleme mit behördlichen Schriftstücken. Die drei betroffenen Haushalte haben nämlich Wiener Postadressen und Niederösterreichische Meldeadressen. „Strafzettel, die an die niederösterreichische Meldeadresse geschickt wurden, wurden von der Post mit dem Hinweis, dass es die Adresse nicht gäbe, zurück geschickt“, schildert Heidemarie Krejci, „da haben wir öfters mal Fristen verpasst.“ Dieses Problem sei mittlerweile aber gelöst worden. Die Post landet nun meist pünktlich in den Briefkästen.

Spannend wird es für die Bewohnerinnen und Bewohner der Ketzergasse, wenn demnächst das Parkpickerl in Wien-Liesing eingeführt wird: „Der Parkstreifen direkt vor unseren Häusern liegt ja in Wien“, berichtet Katja Eckert, „ob wir mit den niederösterreichischen Meldeadressen als direkte Bewohner ein Parkpickerl bekommen, ist fraglich.“