1,5 Millionen Österreicherinnen und Österreicher leben allein. Sie leiden besonders unter den wiederkehrenden Kontaktbeschränkungen. Vor allem rund um Weihnachten kann das Gefühl der Einsamkeit noch stärker ausfallen. Davon betroffen sind sowohl ältere Menschen als auch junge.
Doch wie soll man damit umgehen, wenn man sich zu Weihnachten alleine fühlt? Cornel Binder-Krieglstein, Chefpsychologe des Roten Kreuzes Niederösterreich, betont in der Sendung „Niederösterreich heute“, wie wichtig es sei, „eine Gewissenserforschung zu machen“. Statt seine Situation mit einem Idealbild zu vergleichen, solle man darauf aufbauen, was man habe.
noe.ORF.at: Über das Thema Einsamkeit sprechen wir jedes Jahr, wenn Weihnachten näherrückt. Inwieweit hat sich das Problem durch die Pandemie verschärft?
Cornel Binder-Krieglstein: Zum einen ist die Weihnachtszeit sehr stark mit Gefühlen aufgeladen. Man würde keinen Tag im April oder August hernehmen und sagen: Jetzt mache ich ein Resümee über meine Beziehungen. Das Coronavirus hat uns vor eine besondere Herausforderung gestellt. Wir haben in den letzten zwei Jahren Einschnitte und Einschränkungen der sozialen Kontakte erlebt und das kann sich jetzt natürlich für einige Menschen zur Weihnachtszeit noch einmal intensivieren.

noe.ORF.at: Für viele ist es momentan schwer, dass eine Zukunftsperspektive fehlt und man nicht weiß, wie das Leben mit Omikron weitergeht und wann es wieder ein normales Leben geben wird. Wie schafft man es aus psychologischer Sicht, nicht die Hoffnung zu verlieren?
Cornel Binder-Krieglstein: Ich glaube, dass diese letzten zwei Jahre mit dem Virus eine ganz besondere Herausforderung für uns waren. Nicht nur, weil das Virus grundsätzlich eine Bedrohung für uns darstellt, sondern auch, weil es eine Einschränkung und eine Veränderung für unser Alltagsleben darstellt. Die eigentliche Frage ist: Schaffen wir es, uns an diese neue Realität zu gewöhnen und damit zurecht zu kommen? Das würde uns dann auch im Umgang mit Omikron helfen.
Viele Menschen schämen sich dafür, dass sie einsam sind, was dazu führt, dass sie noch einsamer werden. Wie kommt man aus dieser Spirale wieder heraus?
Cornel Binder-Krieglstein: Das Wichtigste ist, dass man sich überlegt, woran man seine Einsamkeit und Bedürfnisse misst. Es ist verführerisch, sich da sein Idealbild vorzustellen. Wenn ich dieses wunderschöne Idealbild mit meiner jetzigen Situation vergleiche, dann steige ich wahrscheinlich schlecht aus. Dann fühle ich mich einsam oder hilflos.
Ich kann aber auch versuchen, das herzunehmen, was ich habe, und darauf aufbauen. Wenn ich zum Beispiel das Bedürfnis nach mehr Kontakten habe, kann ich das ganz konkret planen. Vielleicht rufe ich Bekannte oder Verwandte an, mit denen ich gerne und gut plaudern kann, oder ich begebe mich vielleicht in eine kleine Gruppe – natürlich nach den Vorgaben, die gelten. Vielleicht suche ich mir auch eine Tätigkeit, durch die ich anderen helfen kann.
Es gibt Leute, die den Heiligen Abend alleine verbringen, die niemanden haben. Haben Sie Tipps, an wen oder wohin sie sich wenden können, wenn sie sich einsam fühlen?
Cornel Binder-Krieglstein: Es ist wichtig, sein Gewissen zu erforschen. Wie gesagt: Laufe ich einem Idealbild nach oder besinne ich mich auf das, was ich habe? Hole ich mir vielleicht Erinnerungen aus früheren Zeiten oder Situationen, die mir Spaß gemacht haben, und fülle mein Herz mit diesen schönen Erinnerungen an? Das ist die eine Möglichkeit.
Ich kann mir auch konkrete Unterstützung holen. Es gibt ja die unterschiedlichsten Stellen und Hotlines, zum Beispiel die Ö3-Rotkreuz-Kummernummer, die wir auch in Niederösterreich am 24. Dezember besetzen dürfen. Sie steht von 16.00 bis 0.00 Uhr zur Verfügung. Das sind einfache Möglichkeiten, um kostenfrei, anonym und niederschwellig einen Ansprechpartner zu finden.