Maximilian Fürnsinn im Interview mit ORF-NÖ-Chefredakteur Robert Ziegler
ORF / Andreas Kotzmann
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Religion

Fürnsinn: „Das Ich ist zu groß, das Wir zu klein“

Seit einem halben Jahr ist der frühere Propst des Stiftes Herzogenburg, Maximilian Fürnsinn, Administrator des Stiftes Klosterneuburg. noe.ORF.at sprach mit ihm über Demonstrationen, die Spaltung der Gesellschaft und die Zukunft des Stiftes.

Am 1. Juli bekam das Stift Klosterneuburg mit Maximilian Fürnsinn einen neuen Administrator. Davor hatte es mehrere personelle Rochaden gegeben. Mit der neuen Aufgabe sei er auch einem „inneren Ruf“ gefolgt, sagt der 81-Jährige im Interview mit ORF-NÖ-Chefredakteur Robert Ziegler. Von 1979 bis 2019 hatte Fürnsinn 40 Jahre lang das Stift Herzogenburg geleitet.

noe.ORF.at: Sie zählen zu jenen Kirchenvertretern, die sich immer wieder zu gesellschaftlichen Fragen Gedanken machen und äußern. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die aktuellen Demonstrationen sehen, bei denen etwa von Diktatur und Spaltung die Rede ist?

Propst Maximilian Fürnsinn: Das ist wirklich eine bedrückende Situation – noch dazu, weil sie von einem Teil der Politik auch ausgenützt wird. Es gibt sehr viel Angst in der Gesellschaft und Menschen mit Angst sind immer manipulativ. Ich glaube, hier müssen wir sehr vorsichtig agieren und wieder lernen, neu aufeinander zuzugehen. Ich meine, die Politik steht heute vor einem unglaublich schweren, neuen Schritt. Wir haben heute Güter, die einander zu widersprechen scheinen: auf der einen Seite Freiheit – ein wirklich großes menschliches, gesellschaftliches Gut – und auf der anderen Seite das Gemeinwohl, der Schutz für die Gemeinschaft. Das ist ein ganz wesentlicher Auftrag der Politik.

Ich denke, dass wir in einer gewissen geistigen Krise leben. Das ist schon bedrückend. Wir merken, dass wir in einer Gesellschaft leben, die selbstbestimmt und selbstbewusst ist, Freiheit sucht, das ‚Ich‘ in einer starken Weise betont, aber das Gemeinsame und das Gemeinwohl trifft da etwas in Verzug. Ich meine, dass das ‚Ich‘ zu groß geschrieben wird und das ‚Wir‘ zu klein.

Maximilian Fürnsinn im Interview mit ORF-NÖ-Chefredakteur Robert Ziegler
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Es sei eine bedrückende Situation, die von Teilen der Politik ausgenutzt wird, sagt der Administrator des Stiftes Klosterneuburg, Maximilian Fürnsinn im Interview mit ORF-NÖ-Chefredakteur Robert Ziegler

noe.ORF.at: Das ist das zweite Weihnachtsfest in der Pandemie und das verstärkt auch die Einsamkeit, die zum einen Teil ältere Menschen betrifft, zum Teil aber auch Jugendliche. Wie stark sehen Sie die Auswirkungen auf die Psyche der einzelnen Menschen?

Fürnsinn: Vor einiger Zeit habe ich einem Trendforscher zugehört, der gesagt hat: ‚Die Einsamkeit ist die größte Krise unserer Gesellschaft.‘ Das hat sich natürlich durch die Pandemie noch verstärkt. Tatsächlich wird heute viel Seelsorge in Anspruch genommen, um diese Fragen für sich persönlich zu klären oder einen guten Weg zu finden. Denken Sie an Psychotherapeuten oder Psychologen, die heute sehr in Anspruch genommen werden!

Wir merken, dass sich das leider bis zu den Kindern zieht, und auch viele Jugendliche und Erwachsene den Halt verlieren. Die Einsamkeit, die es vielleicht in Altenheimen oder Krankenhäusern gibt, wo Besuche nicht so möglich sind, ist wirklich eine belastende Situation.

noe.ORF.at: Die Diskussionen gehen aber auch mitten in Familien hinein. Gerade zu Weihnachten spricht man von Versöhnung, aber vielen ist es einfach nicht egal, wenn andere Familienmitglieder geimpft oder nicht geimpft sind. Wie kann man damit umgehen?

Fürnsinn: Ich weiß, dass diese Entscheidungsfrage bis in Familien, kleine Gemeinschaften oder Nachbarschaften hineinreicht, aber auf der anderen Seite sehe ich, dass es ein ganz anderes Statement in unserer Gesellschaft gibt: das unglaublich viel Positive, das geschieht. Hier zeigt sich eine Demonstration des Guten und die finde ich stärker als jene, die auf den Straßen stattfindet. Vielleicht sollten wir das öffentliche Licht stärker auf diese Gruppen richten.

Maximilian Fürnsinn im Interview mit ORF-NÖ-Chefredakteur Robert Ziegler
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„Ich habe gewusst, dass ich dorthin gehen muss“, sagt Fürnsinn über seine neue Aufgabe in Klosterneuburg

noe.ORF.at: Wir feiern Weihnachten, aber nur noch eine Minderheit begeht Weihnachten als religiöses Fest. Stört Sie das?

Fürnsinn: Es wird heute oft geklagt, dass Weihnachten kommerzialisiert oder säkularisiert ist, aber hier meine ich, dass die vielen Formen des Umgehens mit Weihnachten zeigen, dass in den Menschen große Sehnsucht ist. Sie wollen Frieden, Geborgenheit, Gemeinschaft, sie wollen dazugehören und vieles Andere mehr. Das sind Punkte, an denen man die Sehnsucht des Menschen ganz stark spürt. Ich denke, die Kirche muss gerade heute in diese Sehnsuchtsschwingungen die weihnachtliche Botschaft hinein sprechen. Ich sag es ganz klar und deutlich: dass Gott Mensch geworden ist, dass Gott in jedem Menschen neu geboren werden will, dass dieser Gott in uns lebt.

noe.ORF.at: Sie sind seit einem halben Jahr in Klosterneuburg. Sie sind nach einer Phase, in der es Debatten gab um Missbrauchsvorwürfe in der Vergangenheit, als Administrator gerufen worden. Sie sind 81 Jahre alt. Wieso haben Sie sich das angetan?

Fürnsinn: Zunächst einmal wurde ich dazu ersucht, andererseits weiß ich, dass wir vom Stift Herzogenburg dem Stift Klosterneuburg sehr viel Dank schuldig sind. Ich selber habe mit zwei anderen Brüdern aus Herzogenburg das Noviziat gemacht. Und da war für mich nicht die Frage, wie alt ich bin, sondern ich habe gewusst, dass ich dorthin gehen muss. Das war ein innerer Ruf.

noe.ORF.at: Was ist Ihr Ziel in Klosterneuburg?

Fürnsinn: Ich glaube, dass das Wichtigste ist, einen gewissen Vergemeinschaftungsprozess einzuleiten. Der ist auf Schiene und geht ganz gut voran. Wenn diese Gemeinschaft wieder stärker zusammengefunden hat, dann denke ich, ist der Sinn und das Ziel dieser Administration erreicht.

noe.ORF.at: Haben Sie sich dafür einen Zeithorizont gegeben?

Fürnsinn: Einen Zeithorizont habe ich in mir, aber den wird Rom bestimmen und nicht ich.