Simulationsexperte Niki Popper
HERBERT NEUBAUER / APA / picturedesk.com
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Gesundheit

Popper: „Omikron hat Delta abgelöst“

In Österreich sind am Montag erstmals mehr Omikron-Fälle gemeldet worden als Infektionen, die auf die Delta-Variante des Coronavirus zurückgehen. Das bestätigt im Gespräch mit noe.ORF.at auch der Simulationsexperte Niki Popper von der TU Wien.

noe.ORF.at: Seit Wochen warnen Expertinnen und Experten vor der Omikron-Welle. Täuscht der Eindruck, dass es in Österreich noch vergleichsweise wenige Infektionen gibt, die auf Omikron zurückgehen?

Niki Popper: Die Prognosen sind relativ eindeutig. Wir haben in den vergangenen Tagen den Wendepunkt gehabt und die Omikron-Welle hat die Delta-Welle abgelöst. Die Zahl der positiven Tests wird relativ stark und schnell nach oben gehen. Das ist auch keine Überraschung. Man kann über Weihnachten natürlich auch etwas anderes glauben, aber das ist dann eher der Tatsache geschuldet, dass man versucht, sich dem Ganzen psychologisch zu entziehen.

noe.ORF.at: Das heißt, dass die Omikron-Welle auch in Österreich bereits einsetzt?

Popper: Ja, die Zahlen steigen und das wird jetzt auch drastisch schneller gehen. Das hat auch damit zu tun, dass sich die Struktur der Kontakte wieder ändert und jetzt wieder konsequenter getestet wird. Wo wir mehr Unsicherheit als im November haben, ist die Frage, wie stark sich das bei schweren Erkrankungen auswirken wird.

Das müssen wir uns in den nächsten Tagen ansehen und die Politik muss entscheiden, ob sie mit einer höheren Welle umgehen oder ob sie einen sicheren Weg gehen und die Zahl der Positivtestungen frühzeitig brechen will. Man muss hier allerdings immer sehen, dass Kontaktreduktionen ausschließlich zeitverzögernd wirken und nicht das Problem grundsätzlich lösen. Grundsätzlich wird das Problem nur über die Impfung gelöst.

noe.ORF.at: Das heißt, dass die Bundesregierung über einen weiteren Lockdown entscheiden muss?

Popper: Wenn sie die Dynamik bei den Positivtestungen reduzieren möchte, dann wird es Maßnahmen brauchen. Hier ist aber leider auch zu bedenken, dass die Auslastung auf den Intensivstationen – das gilt auch für Niederösterreich – nicht so stark gesunken ist, wie es 2020 war, und das macht uns natürlich zusätzlich Sorge.

Simulationsexperte Niki Popper
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Simulationsexperte Niki Popper sagt, dass die Intensivstationen in den vergangenen Wochen nicht ausreichend entlastet wurden

noe.ORF.at: Läuft die Regierung neuerlich Gefahr, zu spät zu handeln?

Popper: Manchmal geht es nicht darum, dass etwas zu spät ist, sondern dass man ganz klar entscheiden muss, mit welchem Risiko man welche Entscheidungen trifft. Eine Frage ist, wie stark wir diese Dynamik zulassen wollen. Wie stark kann und möchte ich die Spitäler unterstützen? Und wie gehen wir mit einer zu großen Zahl an positiv getesteten Menschen und Menschen, die in Quarantäne müssen, um, sodass unser alltägliches Leben aufrecht erhalten bleibt? Das sind die drei Fragen, die man diese Woche ganz klar und transparent beantworten muss.

noe.ORF.at: Welche Haltung vertreten Sie? Sind Sie derjenige, der sagt, dass es in absehbarer Zeit wieder einen Lockdown braucht?

Popper: Nein, um Gottes Willen. Das kann und will ich weder als Person noch als Modellierer sein. Was wir beitragen können, ist auf Basis der von vielen Kolleginnen und Kollegen gesammelten Studien zu sagen, wie die Dynamik sein wird, mit der wir konfrontiert sein werden. Oder beispielsweise, wie hoch die Zahl der Menschen sein wird, die in Quarantäne sein werden.

noe.ORF.at: Der Mikrobiologe Ulrich Elling hat am Wochenende in einem Interview gesagt, dass man Feldbetten aufbauen werde müssen, wenn man Omikron laufen lasse. Sehen Sie das auch so?

Popper: Ich schätze ihn sehr, weiß aber nicht, auf Basis welcher Modelle er das berechnet hat. Was ich sehe, ist, dass wir uns in eine Dynamik bewegen, wo wir zumindest mehr Positivtestungen haben. Es geht im ersten Schritt jetzt also nicht um Feldbetten, sondern es geht darum: Sind dann zum Beispiel sehr viele Lehrerinnen und Lehrer krank? Sind, und das ist noch viel schlimmer, Menschen im Krankenhausbetrieb krank? Und wie geht man damit um?

Ich halte nichts davon, zwischen „Jetzt ist Weihnachten, jetzt interessiert die Leute das eh nicht“ und „Jetzt schieben wir wieder die große Krise“ hin- und herzuschwenken. Die Dynamik wird so sein, wie sie jetzt ist. Wir haben damals schon gesagt, wann wieder mit dem Wert von 15.000 positiven Testungen zu rechnen ist, und da war das Ergebnis zwischen jetzt, nächster Woche und Ende Jänner.

Die Strategie wird entweder sein „Ja, wir wollen mehr zumachen“, was zwar zu einer großen Belastung der Bevölkerung führt, aber die Krankenhäuser definitiv schützt. Oder wir haben ausreichend Evidenz, dass es nicht so dramatisch wird und wir mit höheren Infektionszahlen umgehen können. Dann muss diese Entscheidung aber auch klar und transparent gemacht werden.

Simulationsexperte Niki Popper
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Popper berechnet, wie sich das Coronavirus und seine Folgen ausbreiten. Nach der Delta-Variante dominiert nun Omikron.

noe.ORF.at: Mitte November gab es am Höhepunkt der vierten Welle mehr als 16.000 Neuinfektionen pro Tag. Wird Omikron zu einem neuen Höchstwert führen?

Popper: Wenn wir mit den aktuellen Maßnahmen rechnen und die aktuellen Parameter übernehmen, werden wir uns sicher in diese Region bewegen. Das ist wie gesagt etwas, das wir schon für Jänner prognostiziert haben. Das hängt natürlich auch davon ab, welche Maßnahmen möglicherweise noch gesetzt werden. Das ist aber schwierig, denn das ist ein Was-wäre-wenn-Szenario.

Wir haben über Silvester die Dynamik sicher ein wenig verlangsamt. Emotional ist das jetzt aber wieder verflogen. Das heißt: Diese Woche wird man auch darüber nachdenken müssen, wie gehen wir damit um? Aber ja, wenn wir sozusagen keine Maßnahmen im Modell vorsehen, dann bewegen wir uns relativ schnell wieder in diese Dimensionen, was die Positivtestungen betrifft.

noe.ORF.at: Welche Rolle wird das Ende der Weihnachtsferien spielen? Steigen dadurch die Zahlen noch mehr?

Popper: Wir gehen im Modell davon aus, dass dieser Umstand die Zahlen wieder erhöhen wird. Umgekehrt haben wir aber auch ein sehr gutes Überwachungssystem. Das heißt: Man findet auch sehr viele positive Testungen und kann, wenn die Zusammenarbeit zwischen den Schulen und Gesundheitsbehörden gut funktioniert, auch schnell positive Fälle rausholen und damit auch die Ausbreitungsdynamik reduzieren.

Das Gespräch mit Niki Popper führte Gernot Rohrhofer, noe.ORF.at.