Interview mit Landesrat Martin Eichtinger
Oliver Brosch
Oliver Brosch
Politik

Eichtinger: Arbeitslosenzahlen „kein Zufall“

Die Aussichten am Arbeitsmarkt waren zu Beginn der Pandemie düster. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet und es gibt weniger Arbeitslose als vor zwei Jahren. „Kein Zufall“, betont der für den Arbeitsmarkt zuständige Landesrat Martin Eichtinger (ÖVP).

noe.ORF.at: Ende 2021 waren etwa 55.000 Menschen arbeitslos, das sind um neun Prozent weniger als Ende 2019, also vor Beginn der Pandemie. Hätten Sie das für möglich gehalten oder war das Zufall?

Martin Eichtiger: Für uns war diese Entwicklung in einem gewissen Maße überraschend, aber Zufall war das nicht. Natürlich hat uns das hohe Wirtschaftswachstum geholfen, aber wir haben rasch für alle Zielgruppen – sowohl für Jugendliche als auch für über 50-Jährige – spezifische Programme erarbeitet. Wir sind außerdem sehr glücklich darüber, dass wir auch die Langzeitarbeitslosigkeit in der Zwischenzeit wieder viel besser in den Griff bekommen haben und eigentlich zu den Langzeitarbeitslosenzahlen zurückkehren konnten, die es vor der Pandemie gab.

noe.ORF.at: Stichwort Langzeitarbeitslose. Seit dem Sommer gibt es das Projekt „Sprungbrett“, bei dem Land und Arbeitsmarktservice Teile der Lohn- und Lohnnebenkosten übernehmen. Trotzdem sind es noch immer 33 Prozent der Arbeitslosen, die länger als ein Jahr nach einem Job suchen. Ist das Projekt zu wenig?

Eichtinger: Es ist ein wichtiges Programm und es ist die Möglichkeit, Unternehmern Einstiegshilfen und Einstiegsförderungen zu geben, um Langzeitarbeitslose anzustellen. Das wird sehr, sehr gut angenommen und wir gehen davon aus, dass das Programm auch 2022 zu einer Reduktion der Langzeitarbeitslosigkeit führen wird.

Wir haben als Land gemeinsam mit den Sozialpartnern und dem AMS aber auch zusätzliche Programme entwickelt, die hier helfen. Zum Beispiel die „Jobchance“ für die über 50-Jährigen oder der „Jobstart“ für die Jugendlichen. Wir haben also Programme, die spezifisch auf Niederösterreich fokussiert sind und dort auf die regionalen Gegebenheiten Bezug nehmen.

Interview mit Landesrat Martin Eichtinger
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Für Landesrat Eichtinger sind die Arbeitslosenzahlen „in einem gewissen Maße überraschend“. Zufall seien sie aber auch nicht

noe.ORF.at: Das Land, die Sozialpartner und das AMS haben im Vorjahr 100 Millionen Euro für Arbeitsmarktprojekte ausgegeben. Was ist 2022 geplant?

Eichtinger: Die 100 Millionen Euro, die wir im Jahr 2021 gemeinsam dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen konnten, waren wichtig. Aber wir dürfen nicht vergessen: Sie werden durch zusätzliche Maßnahmen, die von AMS, Bund oder Land alleine getroffen werden, ergänzt. Was mich besonders freut, ist, dass all dies in einem großen Miteinander umgesetzt wird. Das ist hervorragend, denn nur gemeinsam können wir dafür sorgen, dass wir unsere Landsleute in Beschäftigung bringen und diese guten Arbeitsmarktzahlen halten können.

noe.ORF.at: Gibt es dennoch Bereiche, wo Sie nachschärfen müssen? Braucht es mehr Projekte, wo man einem Arbeitslosen bei der Frage hilft, wo er hin will oder hin muss?

Eichtinger: Es geht auch darum, dass wir den Bedarf an Arbeitskräften in der Wirtschaft abdecken müssen. Gerade dafür haben wir mit den Sozialpartnern und dem AMS Niederösterreich eine mittelfristige Arbeitsmarktstrategie bis 2027 erarbeitet, wo wir als Land ganz große Schwerpunkte setzen. Das betrifft zum Beispiel die Ausbildungs- und Weiterbildungsförderung oder die Lehrlingsförderung. Wir machen sehr viel Bildungsberatung und Karenzberatung. Und wir haben einen großen Schwerpunkt – und das ist ganz wichtig – im Pflegebereich.

noe.ORF.at: Stichwort Pflegekräfte: Österreichweit werden in den nächsten Jahren zigtausende Pflegekräfte benötigt werden, wie will man das bewerkstelligen?

Eichtinger: Natürlich gibt es hier nicht nur die Möglichkeit, dass man Arbeitslose in die Pflegeausbildung bringt, sondern auch Personen, die sich beruflich umorientieren wollen. Wir haben im vergangenen Jahr bereits die Ausbildungsplätze – und da geht es um Pflegeassistenz, Pflegefachassistenz bzw. Diplomierte und Bachelors an FHs – weiter ausgebaut. Das werden wir uns in Zukunft natürlich weiter genau ansehen müssen.

noe.ORF.at: Stand heute wird für Niederösterreich ein Wirtschaftswachstum von 4,4 bis 4,8 Prozent vorhergesagt. Besteht zugleich aber nicht die Gefahr, dass der Markt überhitzt und die Arbeitskräfte, die jetzt gebraucht werden, dann wieder abgestoßen werden?

Eichtinger: Nein, das glaube ich nicht. Das Wachstum ist etwa dreimal so hoch wie die damaligen Prognosen. Unser Thema ist also viel mehr: Wie decken wir den Bedarf an Arbeitskräften ab? Das heißt: Ich habe weniger Sorge, dass die Arbeitsplätze nicht zur Verfügung stehen, sondern dass wir diesen Arbeitskräftebedarf abdecken können. Da werden wir als Land alles unternehmen, damit wir entsprechende Förderangebote zur Verfügung stellen.

noe.ORF.at: Das Arbeitslosengeld soll reformiert werden. Geplant ist zunächst ein höheres Arbeitslosengeld, das dann kontinuierlich sinkt. Wird es dadurch Arbeitslose geben, denen es nach der Reform finanziell schlechter geht?

Eichtiger: Das glaube ich absolut nicht. Ich glaube, dass es sinnvoll ist, dass man in den ersten Monaten, wo Personen oft übergangsmäßig in der Arbeitslosigkeit sind, ein höheres Arbeitslosengeld zur Verfügung stellt. Man muss natürlich auch genau abwägen, dass dieses Modell nicht dafür missbraucht wird, dass man Personen vorübergehend in die Arbeitslosigkeit schickt. Ich glaube, das ist auch das Vorhaben von Arbeitsminister Martin Kocher, dass diese Möglichkeit ausgeschlossen werden soll.

Ich halte das degressive Arbeitslosengeld also für sehr, sehr gut. Es gibt natürlich noch andere Überlegungen, an gewissen Stellschrauben zu drehen, um mehr Mobilisierung am Arbeitsmarkt zu erreichen. Aber insgesamt unterstützen wir das degressive Arbeitslosengeld aus niederösterreichischer Sicht.

noe.ORF.at: „Mobilisierung am Arbeitsmarkt“ – ist das eine elegante Umschreibung dafür, dass es natürlich auch darum geht, Arbeitssuchende unter Druck zu setzen, einen Job zu ergreifen?

Eichtinger: Es gibt beim AMS eine ganz klare Regelung, dass Personen, die arbeiten können, arbeiten sollen. Es gibt genug Unterstützungen, und es gibt auch Weiterbildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, dass man Personen in den Arbeitsmarkt zurückbringt. Aber ich glaube, es ist uns allen klar, dass Arbeit zu unserer Gesellschaft einfach dazugehört und dass es für die Personen, die arbeiten können, auch eine Arbeitsverpflichtung geben soll.

Interview mit Landesrat Martin Eichtinger
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Der für den Arbeitsmarkt zuständige Landesrat Martin Eichtinger im Gespräch mit Gernot Rohrhofer in der Burg Perchtoldsdorf

noe.ORF.at: Eine große Sorge vieler Arbeitgeber war zuletzt, dass möglicherweise so viele Menschen in Quarantäne müssen, dass der Betrieb nicht aufrecht erhalten werden kann. Jetzt hat man die Quarantänebestimmungen gelockert – hat man das aus Ihrer Sicht ausreichend getan?

Eichtinger: Ich glaube, dass es ein gutes Maßnahmenpakt ist. Wir müssen jetzt natürlich die Wirksamkeit dieses Maßnahmenpaketes abwarten, aber ich gehe davon aus, dass die Wirtschaft auch im Jahr 2022 eine gute Entwicklung haben wird.

noe.ORF.at: Eine Möglichkeit, sich vor Ansteckungen am Arbeitsplatz zu schützen, ist Homeoffice. Im Moment heißt es nur, dass Homeoffice dort verrichtet werden soll, wo es möglich ist. Sind Sie für verpflichtendes Homeoffice?

Eichtinger: Ich glaube, wir haben damit eine gute Regelung. Das Homeoffice ist mittlerweile ein Standard in der Arbeitswelt geworden, auch bei uns in der Landesregierung. Ich glaube auch, dass es diesbezüglich keine sehr großen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben wird, denn Unternehmen, aber auch Verwaltungen, haben gelernt, mit Homeoffice zu leben – und es ist eine gute Maßnahme.

noe.ORF.at: Anfang Februar soll eine Impfpflicht kommen. Was es nicht geben wird, ist eine 2G-Regel am Arbeitsplatz. Halten Sie diese Vorgehensweise für sinnvoll?

Eichtiger: Das ist eine Entscheidung, die letztlich bei der Bundesregierung und den Experten liegt. Wir haben die Regelung, wie sie ist, und wir müssen abwarten, wie sehr die Bundesregierung hier dann entsprechende weitere Schritte unternehmen wird.

noe.ORF.at: Sie wollen hier also keine Präferenz abgeben, ob Sie es für sinnvoller gehalten hätten, die 2G-Regel am Arbeitsplatz einzuführen?

Eichtinger: Es ist letztlich etwas, das wir im Land nicht regeln können. Das ist eine Aufgabe des Bundesgesetzgebers bzw. der Bundesregierung, und die werden das auf Basis der Expertenmeinungen entscheiden.