Frau wehrt Gewalt mit der ausgestreckten Hand ab.
Pixabay/ Nino Carè
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Chronik

Gewaltschutz: Datenschutz oft ein Problem

War es zu verhindern, dass ein 38-jähriger Mann sich und seiner sechsjährigen Tochter das Leben nimmt? noe.ORF.at hat bei der Leiterin des Gewaltschutzzentrums, Michaela Egger, nachgefragt. Darüber hinaus sagt sie, dass Datenschutz oft ein Problem sei.

noe.ORF.at: Sie haben die Mutter des verstorbenen Mädchens betreut. Wie gehen Sie mit diesem schrecklichen Vorfall um?

Michaela Egger: Es ist für uns und meine Kolleginnen natürlich eine sehr belastende Situation, weil es einen kurzen Kontakt mit der Mutter gegeben hat. Als Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums ist es natürlich meine Aufgabe, solche Vorfälle gemeinsam mit meinen Kollegen aufzuarbeiten und die Situation gut abzufangen.

Natürlich stellt sich immer die Frage – und das ist auch ein Teil unserer Arbeit –, ob wir alles getan haben und ob wir das hätten verhindern können. Man darf aber eines nie übersehen: Die Tat wurde vom Täter begangen, und somit ist es immer in seiner Verantwortung und in seiner Schuld, dass dieser Mord passiert ist.

noe.ORF.at: Kann man etwas Derartiges überhaupt verhindern?

Egger: Wenn man die Gedanken und Abläufe eines Täters kennen würde und hineinschauen könnte, könnte man es verhindern. Wir können als Institution den Spielraum, den ein Täter hat, so gering wie möglich halten. Wir können mit allen Möglichkeiten präventiv arbeiten und schauen, dass es Polizeieinsätze gibt, dass die Polizei Annäherungs- und Betretungsverbote ausspricht, dass begonnen wird, mit den Gefährdern zu arbeiten und dass es zwischen den Einrichtungen einen Austausch gibt.

Und dennoch können wir das Ende nie voraussehen, weil wir einfach nicht wissen, ob etwas passiert oder nicht. Wenn wir uns Fälle mit Suizid und erweitertem Suizid ansehen, ist das immer auch als Racheakt an der Ex-Partnerin zu sehen, um hier noch einmal eine Bühne zu bekommen. Es ist eine schreckliche Bühne, sie bewirkt bei den Hinterbliebenen, dass ihnen das Liebste genommen wurde. Im konkreten Fall trifft das ein Mutterherz, wenn das Kind zu Tode kommt. Das zeigt, wie kaltblütig hier vorgegangen worden ist.

Michaela Egger
ORF / Screenshot
Michaela Egger beim Interview via Videotelefonie. Sie sagt, dass es wichtig sei, Opfer immer wieder wachzurütteln.

noe.ORF.at: Im konkreten Fall war der Mann bereits vorbestraft, bevor er im Sommer 2021 mit dem Tod der Tochter gedroht und damit seine Ex-Lebensgefährtin genötigt hat. Vor Gericht war er jedes Mal geständig und reumütig – hat er alle getäuscht?

Egger: Natürlich täuschen Täter etwas vor. Man muss auch als Institution gut aufpassen, wachsam zu sein und dieser Täuschung nicht nachzugeben. Täter versuchen immer, die Schuld anderen zu geben und sagen, nur deshalb so gehandelt zu haben, weil sie zum Beispiel die Partnerin verlassen habe und sie so arm seien.

Täter machen also immer die Betroffenen für ihr Handeln verantwortlich. Deshalb ist es wichtig, Opfer immer wieder wachzurütteln und zu sagen, dass es nicht deren Schuld ist. Die Schuld liegt bei dem, der die Tat begangen oder ein Gewaltverbrechen verübt hat.

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Die Psychiatrische Soforthilfe bietet unter 01/313 30 Rat und Unterstützung im Krisenfall, ebenso das Kriseninterventionszentrum unter 01/406 95 95.

Die Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet Rat auf Draht unter der Nummer 147.

noe.ORF.at: Das besonders Perfide an gefährlichen Drohungen ist, dass man immer erst am Ende weiß, ob diese ernst gemeint waren oder nicht. Wann muss man hier handeln?

Egger: Gefährliche Drohungen sind tatsächlich perfide. Es ist ein Spiel mit den betroffenen Personen, aber auch mit uns Einrichtungen. Denn die Frage ist: Wann bekommt eine gefährliche Drohung genau dieses „Mascherl“, dass sie ernst gemeint ist? Es ist eine Strategie der Täter, sich bei Gericht gut zu verkaufen, zu sagen, dass man etwas nicht so gemeint hat und dass man diese gefährliche Drohung nie umsetzen könnte.

Wann ist also dieser Punkt erreicht, dass man eine Drohung ernst nehmen muss? Es gibt genug Parameter wie eine Trennungssituation, existenzielle Themen oder das Verhalten in der Beziehung – dazu gehören Eifersucht, Kontrollverhalten oder Rollenbilder. Am Ende sind wir aber auch auf die Rückmeldungen von Betroffenen angewiesen und gleichzeitig muss die Justiz hinschauen, wofür es wiederum einen Austausch unter den Einrichtungen braucht.

noe.ORF.at: Ist der Austausch von Informationen angesichts der immer strengeren Datenschutzbestimmungen überhaupt noch möglich?

Egger: Damit wir wissen, wer welchen Wissensstand hat, braucht es diesen Austausch. Die sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen sind hier schon sehr dienlich, aber es braucht auf der Ebene der Einrichtungen ein Aufbrechen des Datenschutzes. Denn es kann nicht sein, dass eine Institution sagt, dass sie etwas weiß, aber nichts sagen kann. Gerade in Fällen häuslicher Gewalt erschwert das unsere Arbeit ungemein. Letztlich geht es auch darum, dass wir hier rasch handeln können, wenn es Gefährdungen gibt.

noe.ORF.at: Wäre auf gerichtlicher Ebene eine Art Automatismus sinnvoll, sobald Kinder im Spiel sind? Also ein Automatismus, der vorsieht, dass Strafgerichte Pflegschaftsgerichte und Behörden über Verurteilungen im Zusammenhang mit Drohungen oder Gewalt informieren müssen?

Egger: Ich glaube, man muss sich das im Größeren ansehen. Es hat einen guten Grund, warum es sowohl das Zivilgericht als auch das Strafgericht gibt. Wenn es Anzeichen gibt, hat es sicherlich Sinn – und das sehen wir auch bei den Fallkonferenzen –, dass es einen Austausch gibt. Aber man muss auch aufpassen, dass die Unabhängigkeit nicht von Informationen überrollt wird. Ich glaube, es braucht hier einen größeren Diskurs.