Coronavirus

Streitthema Impfung: „Gegenüber ernst nehmen“

Diskussionen um Coronavirus-Maßnahmen und die Impfung enden häufig im Streit. Die Gräben können überwunden werden, sind sich die Experten Cornel Binder-Krieglstein und Paulus Hochgatterer einig. Wichtig sei es, sein „Gegenüber ernst zu nehmen“.

Bereits vorab: Die Aussöhnung und das Überwinden von tiefen Gräben sei auf alle Fälle möglich. Davon sind Cornel Binder-Krieglstein, Chefpsychologe des Roten Kreuz Niederösterreich, und Paulus Hochgatterer, Leiter der klinische Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tulln überzeugt, wie sie beim „Mittagsmagazin Spezial“ auf Radio Niederösterreich am Dienstag klarstellten. Die Frage ist nur: Wie beginnen?

„Der Ansatz ist, dass ich versuche das Gegenüber ernst zu nehmen – ernst zu nehmen als Mensch – und versuche zu verstehen und letztlich auch zu akzeptieren, dass er zu einem bestimmten Thema eine andere Meinung hat als ich“, erklärt Binder-Krieglstein. Schließlich könne man ja auch bei anderen Themen, wie Atomkraft, Naturschutz oder Nahrungsmitteln unterschiedlicher Meinung und trotzdem befreundet sein. „Solange die menschliche Basis passt, sollte man bloß wegen einer Diskussion nicht alles über Bord werfen“, rät der Rot-Kreuz-Chefpsychologe.

Paulus Hochgatterer
Tobias Mayr
Paulus Hochgatterer leitet die klinische Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Tulln.

„Wir alle machen Fehler“

So sieht es auch Paulus Hochgatterer: „Ich würde dafür plädieren, dass wir, wenn wir merken, dass es schwierig wird in einer Konfliktsituation, uns darauf besinnen, dass wir alle Fehler machen und alle unsere kleinen oder größeren Fehler haben.“ Dann fiele es einem selbst leichter die dezidiert anderen Meinungen zu akzeptieren, so Hochgatterer.

Dass sich der Streit besonders oft an der Impfung entzündet, ist für Binder-Krieglstein keine Überraschung: „Das ist ein Eingriff in eine höchstpersönliche Thematik, nämlich den eigenen Körper.“ Was für die einen ein Ausweg aus der Ohnmacht gegenüber einem scheinbar übermächtigen Virus sei, fühle sich für andere als eine Einschränkung über die Selbstbestimmung über den Körper an. „Da gehen die Wogen natürlich hoch.“

Impfpflicht ist emotionale Hochphase

Und besonders deutlich äußere sich das auch in der Debatte um die Impfpflicht. „Die Impfflicht fokussiert diese ganze Emotion auf einen Punkt“, sagt Binder-Krieglstein. Er plädiert dafür insgesamt den Nutzen für die gesamte Gesellschaft nicht aus den Augen zu verlieren. „Über andere Basisregeln wie Steuerpflicht oder die Straßenverkehrsordnung diskutieren wir ja auch nicht“, so der Psychologe. Binder-Krieglstein geht davon aus, dass die Debatte um die Impfflicht derzeit eine emotionale Hochphase ist. Anschließend würde jeder sein Arrangement damit finden.

Cornel Binder-Krieglstein
Tobias Mayr
Cornel Binder-Krieglstein ist der Chefpsychologe des Roten Kreuz Niederösterreich. Daneben arbeitet er als klinischer Gesundheitspsychologe und Psychotherapeut.

Damit Streit innerhalb der Familie über Impfung oder Impfpflicht nicht eskaliert, raten die Experten über negative Gefühle miteinander zu sprechen. „Das Schwierigste an negativen Gefühlen ist, dass sie zunehmen, wenn man sie nicht los wird. Das ist wie bei einem Druckkochtopf“, erklärt Hochgatterer. Das persönliche Gespräch sei das notwendige Ventil, um den Druck abzulassen.

„Humor nicht verlieren“

Trotz allem fällt der Blick in die Zukunft für die Experten positiv aus. „Wir erinnern uns daran, dass wir die letzten zehn, fünfzig oder hundert Jahre schon sehr viele Katastrophen und schwierige Situationen gemeistert haben“, sagt Binder-Krieglstein. Er macht sich keine Sorgen, dass es bei dieser Krise anders sei.

Und damit man seelisch gesund durch diese Phase kommt, rät Hochgatterer drei Dinge: „Erstens pflegen Sie die Routinen, die Sie üblicherweise auch pflegen. Zweitens, pflegen Sie die Beziehungen zu den Menschen, die Ihnen wichtig sind. Und das Dritte, und vielleicht Schwierigste ist: Verlieren Sie nicht den Humor.“ Es sei durchaus gesund sich, am besten gemeinsam mit anderen, ab und zu über die Dinge lustig zu machen, die einen belasten.