Kinderarzt untersucht Baby
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Gesundheit

Kassen-Kinderärzte fehlen: Höheres Honorar gefordert

Zwölf von 36 Kassen-Kinderarztstellen sind derzeit nicht besetzt. Die Gründe seien vielschichtig, heißt es. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Gefordert wird, dass die Kosten der Einzelleistungen angepasst werden, da nach Leistung und nicht nach Zeit bezahlt wird.

Das Wartezimmer bei Kinderarzt Robert Weinzettel im Primärversorgungszentrum (PVZ) St. Pölten ist voll. Seit vergangenem Dezember arbeiten er und eine weitere Kollegin hier. Zuvor hatte es in der Region St. Pölten monatelang keinen Kassen-Kinderarzt gegeben. Die Suche nach einem Kinderarzt gestaltet sich für Eltern im ganzen Bundesland schwierig.

Judith Damböck, deren fünf Wochen alter Sohn im PVZ zum ersten Mal vom Kinderarzt untersucht wird, kennt das Problem nur zu gut. „Es war ehrlich gesagt sehr schwierig, wir haben bei vielen Ärzten angerufen und wurden abgewiesen, weil sie schon voll sind“, erzählt sie. Darunter waren auch Wahlärzte, die keine neuen Patientinnen und Patienten mehr aufnehmen.

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Kinderarzt Robert Weinzettel ist seit Dezember im Primärversorgungszentrum in St. Pölten tätig

Ein Jahr lang ist die kinderärztliche Versorgung ihres Sohnes nun gesichert, wie es danach weitergeht, ist noch unklar. So gehe es auch vielen Personen in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, sagt Damböck: „Soweit ich weiß, haben einige Freundinnen Kinderärzte, die jetzt aber in Pension gehen. Sie stehen vor demselben Problem.“

Kassenärzte: Bezahlung nicht nach Zeit

Der Mangel an Kinderärzten dürfte mehrere Gründe haben. „Es gibt Daten, dass die Studienreform eine ganz andere Gruppe von Kolleginnen und Kollegen herausgebracht hat und gleichzeitig werden weniger Leute fertig. Weiters bleiben manche Leute – man schätzt bis zu einem Drittel – gar nicht in der Kernmedizin, also werden gar nicht Ärzte, sondern machen irgendetwas anderes“, sagt Kinderarzt und Fachgruppenobmann für Kinder- und Jugendheilkunde, Robert Weinzettel.

Viele Kinderärztinnen und Kinderärzte entscheiden sich außerdem für eine Tätigkeit als Wahlarzt, heißt es. „Ein Wahlarzt kann sich das Honorar selbst gestalten, er kann sich das Zeitmanagement selbst gestalten, er kann alles selbst gestalten“, so Weinzettel. Bei Kassen-Kinderärzten sei das anders. Sie würden nicht nach Zeit bezahlt, sondern nach Einzelleistungen, etwa pro Ultraschalluntersuchung. Die entsprechenden Geräten seien aber sehr teuer. Sollten bei einer Untersuchung einmal längere Gespräche und somit mehr Zeitaufwand notwendig sein, wirke sich das nicht auf den Lohn des Arztes aus.

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Kassen-Kinderärzte werden nach Leistung und nicht nach Zeit bezahlt – das sei ein Problem, heißt es

Hinzu komme, dass sich viele angehende Ärztinnen und Ärzte aus unterschiedlichsten Gründen nicht für das Fachgebiet Kinder- und Jugendheilkunde interessieren würden. „Wir haben in dem Ambulatorium, in dem ich auch arbeite, viele Studenten und ich frage jeden aus Interesse, ob er Kinderarzt oder Allgemeinmediziner werden möchte und ich bekomme immer die Antwort: Nein“, berichtet Weinzettel.

Leistungsverträge seit 50-er Jahren nicht überarbeitet

Dietmar Baumgartner, Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der Ärztekammer Niederösterreich, war vor seinem Pensionsantritt mehrere Jahrzehnte lang als Kinderarzt tätig. Auch er weiß, dass das Problem vielschichtig ist. So würden etwa die Leistungskataloge der Sozialversicherungen, in denen Kosten für die Einzelleistungen festgelegt sind, aus den 1950er-Jahren stammen und seien seitdem kaum überarbeitet worden.

„Aus diesem Grund sind jene Fachgruppen, die hauptsächlich damit beschäftigt sind, dass sie mit den Eltern reden und Aufklärungsgespräche führen, jenen gegenüber benachteiligt, die technische Leistungen erbringen“, hält er fest. Dennoch habe Niederösterreich bereits deutlich nachgebessert, sagt er: „Wir haben es in den letzten drei oder vier Jahren geschafft, vom ursprünglich vorletzten Platz auf den zweiten Platz Österreichs vorzurücken“, so Baumgartner. Die finanzielle Komponente sei also nicht die einzige, die zu dem Mangel an Kinderärzten geführt habe.

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Eltern, die derzeit keinen Kassen-Kinderarzt finden, wird geraten, bei Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen zu einem Wahlarzt zu gehen. Die Kosten dieser Leistung würden nämlich zur Gänze rückerstattet

Einen „absoluten Mangel an Kinderärzten“ gebe es aber nicht. Immerhin würden sie mit 1.559 Personen die viertgrößte Ärztegruppe in Österreich stellen, nach Innerer Medizin (4.628), Anästhesiologie und Intensivmedizin (3.046) und Frauenheilkunde und Geburtshilfe (1.931). Das größere Problem ist ihm zufolge, dass viele Kassenarztstellen nicht nachbesetzt werden können. Unter anderem, weil viele junge Ärzte lieber im Angestelltenverhältnis blieben.

Anpassung der Einzelleistungen gefordert

Wie es weitergeht, weiß derzeit keiner genau. Besonders dramatisch ist die Lage im Bezirk Lilienfeld. Dort gibt es bereits seit 2017 keinen Kassen-Kinderarzt mehr. Erst kürzlich machte der Verein „KiB children care“ in einer Aussendung auf die prekäre Lage in ganz Österreich, besonders aber in Niederösterreich und Wien, aufmerksam. Mit einer Petition möchte er der Entwicklung gegensteuern. Man fordert unter anderem, dass Kosten für Privat- und Wahlkinderärzte zur Gänze rückerstattet werden.

Einer weiteren Forderung der Petition stimmen auch Robert Weinzettel und Dietmar Baumgartner zu: Die Kosten der Einzelleistungen müssten angepasst werden. Laut Weinzettel sei es außerdem sinnvoll, eine Lehrpraxis, wie es sie in der Allgemeinmedizin gibt, einzuführen, um so die jungen Kolleginnen und Kollegen an die Arbeit in der Kinder- und Jugendheilkunde heranzuführen.

Eltern, die derzeit keinen Kassen-Kinderarzt finden, rät Dietmar Baumgartner unter anderem, bei Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen zu einem Wahlarzt zu gehen. Die Kosten dieser Leistung würden nämlich zur Gänze rückerstattet. Außerdem gebe es private Krankenversicherungen für Kinder, die nicht teuer seien und auch jene Impfungen, die kostenpflichtig sind, beinhalten würden. Seitens der Ärztekammer Niederösterreich heißt es außerdem, dass alternativ auch Allgemeinmediziner Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen durchführen könnten.