Ein Rechtsanwalt, Kinderbetreuerinnen, ein Journalist, mehrere Köche, Hilfsarbeiter – die Hintergründe der Bewohnerinnen und Bewohner des Wohnverbunds Baden könnten unterschiedlicher nicht sein, und haben doch so viel gemeinsam. Alle 32 waren obdachlos oder von Obdachlosigkeit bedroht, sie sind arbeitslos oder haben weniger als 1.500 Euro brutto Einkommen pro Monat und sie sind über 50 Jahre alt.
Bei vielen kommen noch Schulden und Krankheiten dazu. Martin Bruno Walther wurde etwa ein Bein amputiert. Daraufhin zerbrach seine Beziehung und der Reisejournalist fand in der Pandemie auch keine Arbeit mehr. „Der Job hat nicht mehr existiert. Es gab keine Reisen mehr, ich hatte zwei Jahre lang keine Aufträge.“
Ein zweites Leben beginnen
Er ist der erste Bewohner des Projekts, das im Oktober 2020 von der Organisation pro mente gegründet wurde. In einem ehemaligen Seniorenwohnheim leben nun 32 Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher, die wohl nie geglaubt hätten, dass sie einmal kein Dach über dem Kopf haben werden, so wie Günter Hamader: „Ich war Konsulent für eine Hotelkette und war fast 45 Jahre in den Vereinigten Staaten. Ich übersetze heute noch Texte ins Englische und Französische. Und jetzt bin ich hier und baue mir mein Leben neu auf und dann geht’s weiter.“
Das Projekt bietet nicht nur vorübergehend Wohnraum – für maximal fünf Jahre –, sondern soll zurück in ein geregeltes Leben helfen. Psychologinnen, Sozial- und Lebensberater betreuen die Bewohnerinnen und Bewohner. Sie erlernen alltägliche Aufgaben zu meistern: einkaufen, mit Geld auskommen, kochen, Wäsche waschen, Rechnungen zahlen. Ziel ist es, sich sein Leben wieder zu strukturieren und zu ordnen, damit man aus dem Wohnverbund ausziehen und selbstständig in einer Wohnung leben kann. In etwa eineinhalb Jahren ist das noch bei keinem Bewohner passiert.

„Sagen von sich selbst, sie sind nichts wert“
Motivation und der Aufbau von Selbstwertgefühl seien aber mitunter das Wichtigste, das man im Haus vermitteln kann, sagt der Leiter des Projekts, Thomas Hofströßler: „Die Bewohnerinnen und Bewohner sagen von sich selbst, sie seien nichts wert. Und das heißt es ja auch von der Gesellschaft. Sobald jemand gescheitert ist oder auf der Straße landet, dann ist er Dreck, wenn man es krass ausdrückt. Und jeder kann es herausschaffen. Wir sind die Profis, die ihnen helfen, damit sie es schaffen.“
Die Bewohner organisieren und versorgen sich selbst: Sie teilen Aufgaben wie Koch-, Müll- und Einkaufsdienste untereinander auf. „Das passt schon so, sonst hat man ja nichts zu tun“, sagt Bewohnerin Brigitte Jedlicka. Zum Einkaufen benutzen sie das Auto des Heimleiters Hofströßler: „Da schauen mich dann manche an und fragen mich, warum ich mein Auto dafür hergebe. Aber wieso nicht? Das sind ganz normale Menschen! Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit und es trägt auch zum Vertrauen und Selbstwertgefühl bei.“
Genug Bewerbungen für zweites Haus
Arbeit haben Hofströßler und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genug. Allein im Jänner mussten sie bereits zehn Personen absagen, weil keine Zimmer mehr frei sind. Der Bedarf sei viel größer als erwartet: „Das Coronavirus hat es massiv verschärft. Wir beginnen jetzt mit einer Warteliste, das ist traurig. Aber das hat auch mit den Schulden zu tun, die sich während der Pandemie bei manchen anhäufen. Darauf folgt die Delogierung und ohne Wohnung und Arbeit hast du keine Chance.“
Hofströßler hofft, dass künftig mehr öffentliche Mittel für Resozialisierungsprojekte freigegeben werden – vor allem mit Fortschreiten der Pandemie. „Wir haben so viele Anmeldungen, wir könnten ein zweites Haus aufmachen. Wir hoffen, dass das Land Niederösterreich noch weiter ausbaut.“ Der Wohnverbund finanziert sich durch Förderungen. Jeder Bewohner muss zudem 80 Prozent seines monatlichen Einkommens beisteuern. Dafür gibt es keine laufenden Kosten.