Politik

Bereitmachen für Flüchtlinge aus der Ukraine

Am Samstag spitzte sich die Situation im Ukraine-Krieg weiter zu. Hilfsorganisationen rechnen mit vielen Menschen, die das Land verlassen werden. Auch Niederösterreich werde Flüchtlinge aufnehmen, sagte Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) am Samstag.

Fachleute im Innenministerium gehen derzeit nicht davon aus, dass es zu einer „großen Bewegung ukrainischer Flüchtlinge nach Österreich“ kommen wird. Dennoch treffe man Ministeriumssprecher Patrick Maierhofer zufolge bereits Vorkehrungen zur Unterbringung in den Bundesbetreuungseinrichtungen.

Es seien in mehreren Betreuungsstellen des Bundes in verschiedenen Bundesländern Maßnahmen für die Unterbringung getroffen, Gespräche mit den Ländern für weitere Quartiere laufen, so Maierhofer am Samstag gegenüber wien.ORF.at – mehr dazu in „Keine große Fluchtbewegung“ erwartet (wien.ORF.at; 25.2.2022).

Waldhäusl: Derzeit maximal 80 Plätze für Flüchtlinge

Laut Jürgen Högl, dem Nothilfekoordinator für Europa des Roten Kreuzes, wurde bereits wichtige Infrastruktur des Landes zerstört. Mittlerweile sei die lebensnotwendige Versorgung mit Trinkwasser, Nahrung oder Medikamenten im Land gefährdet. „Wir müssen damit rechnen, dass sich die Lage in der Ukraine in naher Zukunft dramatisch verschärft und dass es jeden Tag schwerer wird, in der Ukraine zu leben.“

Auch Niederösterreich würde Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen, kündigte Asyllandesrat Gottfried Waldhäusl am Samstag an. Quartiere gebe es derzeit aber nur für 70 bis 80 Menschen, weshalb sich der Bund entscheiden müsse, ob man weiterhin Menschen aus Syrien und Afghanistan aufnehmen wolle oder eben Flüchtlinge aus der Ukraine.

Gottfried Waldhäusl
APA/HERBERT PFARRHOFER
Gottfried Waldhäusl sieht in Niederösterreich derzeit Kapazität für weniger als 100 Flüchtlinge

„Wir sind gerne bereit, mehr Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen, allerdings nur dann, wenn nicht jede Woche auch tausende Menschen aus Syrien oder Afghanistan zu uns kommen“, so Waldhäusl. Der Asyllandesrat kann sich auch vorstellen, „eine gesamteuropäische Lösung“ zu unterstützen und schlägt dazu Quartiere an der Grenze zur Ukraine vor. Mehr als 100.000 Menschen dürften das Land bereits verlassen haben.

Honorarkonsul von rascher Eskalation selbst überrascht

Marc-Milo Lube, Honorarkonsul für die Ukraine in Niederösterreich, war selbst vor zwei Wochen erst in Kiew. Dass seine Mitarbeiter in der Ukraine wenige Tage nach seinem Besuch bereits in Lebensgefahr sind, sei für ihn selbst kaum zu glauben, erzählte er im Interview mit noe.ORF.at. Ihm zufolge seien weite Teile der Bevölkerung bereit, sich den russischen Angriffen entgegenzustellen.

noe.ORF.at: Zuletzt hat sich die Lage speziell in Kiew zugespitzt. Was wird Ihnen derzeit von dort berichtet?

Honorarkonsul Marc-Milo Lube
ORF
Honorarkonsul Marc-Milo Lube

Marc-Milo Lube: In der Tat spitzt es sich zu. Seit der Nacht hat das begonnen, was man als Straßen- und Häuserkampf bezeichnen kann. Die Schüsse haben ein paar Stunden angedauert und die Stimmung ist jetzt eine Mischung aus Verzweiflung und Furcht. Auf der anderen Seite gibt es bewundernswerten Kampfgeist und Entschlossenheit. Es wurden ja massiv Waffen an die Bevölkerung verteilt und die Bereitschaft, sich dem Feind zu stellen anstatt sich zu verstecken, ist groß – und folglich auch für dieses Land und die Freiheit dieses Landes zu sterben.

Man muss verstehen, dass das Land seit 2014 in einer Art kriegerischen Auseinandersetzung ist, die damit angefangen hat, sich mühsam über Monate am Maidan die Freiheit zu erkämpfen. Die Generation, die das geleitet hat, will jetzt nicht auf der falschen Seite des Eisernen Vorhangs aufwachen. Sie will, dass ihre Kinder in Freiheit leben und dafür sind die Menschen bereit, alles zu geben.

noe.ORF.at: Die Menschen sind tatsächlich bereit, ihr Leben zu geben, um Russland den Einzug nicht zu ermöglichen?

Lube: Das ist ganz sicher so und ich habe mit Menschen aus unterschiedlichen Städten gesprochen. Unabhängig davon, wo diese liegen. Ich kann nicht bestätigen, dass der Osten der Ukraine prorussisch und der Westen des Landes prowestlich wäre. Überall gehen Leute auf die Straße, um ihr Land zu verteidigen. Ich glaube, das ist auch etwas, das die Russen bisher überrascht hat.

noe.ORF.at: Haben Sie viele Bekannte direkt in Kiew? Wie kann man sich die Straßenkämpfe dort jetzt vorstellen?

Lube: Ich habe ein Büro mit Angestellten sowie Freunde in Kiew. Das kann man sich so vorstellen, dass die Verteidigung in der Stadt sektoral organisiert ist – neben den militärischen Aktionen. Die Männer haben dort Waffen bekommen, auch viele Frauen tragen Waffen und bewachen einzelne Abschnitte. Und dort, so scheint es – aber ganz klar ist der Hergang noch nicht –, als hätten eingeschleuste Saboteure angefangen, in manchen Bereichen loszuschießen und die Straßenkämpfe zu eröffnen. Das scheint aber noch nicht großes Militär gewesen zu sein.

noe.ORF.at: Aus Kiew sieht man Bilder von Menschen, die sich entschlossen haben, nicht aus der Stadt zu fliehen, sondern sich unter der Erde zu verstecken – etwa in U-Bahn-Stationen. Wo harren die Menschen derzeit aus?

Lube: Einige bleiben in ihren Wohnungen, weil sie glauben, dass sie dort flexibler sind und mehr mitbekommen. Speziell Ältere oder Frauen mit kleinen Kindern gehen in die Metrostationen, die sehr weit unterirdisch liegen. Kiew hat ein extrem gut ausgebautes U-Bahn-System, die Stationen sind sehr geräumig, und während der Ausgangssperren zwischen 17.00 und 8.00 Uhr harren die Leute dort aus und übernachten in den Stationen – natürlich in schrecklicher Ungewissheit und permanent am Handy, um mitzuverfolgen, was passiert.

noe.ORF.at: Worauf stellt man sich in den nächsten Tagen ein? Immerhin ist den Menschen etwas passiert, womit man bis zuletzt nicht wirklich gerechnet hat.

Lube: Das ist in der Tat so! Ich war selbst vor zwei Wochen noch in Kiew und war erstaunt, als mir viele meiner ukrainischen Freunde gesagt haben, dass es nun sehr ernst wird, weil man bis zuletzt eigentlich nicht geglaubt hat, dass passieren könnte, was jetzt dort geschieht. Man muss sich vorstellen, dass die Ukraine und Russland lange brüderliche, verwandtschaftliche und historische Gemeinsamkeiten haben. Es ist für viele Menschen schlicht unvorstellbar, dass sie von Russen überfallen werden. Das geht in die Köpfe vieler Menschen nicht hinein.

Deswegen war es so überraschend, hat sich aber nach den ersten Angriffen auch schnell umgestellt. Hier ist eine große Bewunderung für die Armee und die Staatsführung. Selenskyj (Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, Anm.) ist in diesem Amt sehr gewachsen und führt das Land durch diese Krise, sodass sich viele daran aufbauen. Laut Nachrichten gab es Angebote, ihn zu evakuieren, die er aber durchwegs abgelehnt haben soll. Und die Armee hält militärisch bisher deutlich besser Stellung, als man vermutet hatte. Das stärkt den Willen im Volk, jetzt nicht an Russland zu fallen und auf der falschen Sete des Vorhangs aufzuwachen.

noe.ORF.at: Wie geht es Ihnen persönlich damit, wenn Sie diese Bilder aus der Ukraine zu sehen bekommen?

Lube: Emotional nimmt es mich extrem mit. Seit zwei Tagen bin ich nonstop am Telefon mit Mitarbeitern und versuche, mentale Unterstützung zu geben. Daneben versuchen wir, das eine oder andere mit der Landesregierung zu organisieren und aufzubauen. Das Organisatorische lenkt zwar ab, aber es ist bestürzend! Ich bin selbst ein Nachkriegskind und hätte mir nie vorgestellt, dass so etwas im Herzen von Europa noch möglich ist. Ich glaube, die Ukraine kämpft einen Kampf für uns alle, dass unser Europa so bleibt wie es ist – nämlich frei.