Wirtschaft

Ukraine: Mitarbeiter kämpfen oder fliehen

Bei niederösterreichischen Unternehmen, die in der Ukraine produzieren, wächst die Sorge um die Mitarbeiter vor Ort. Einige Mitarbeiter seien bereits auf der Flucht, andere kämpfen an der Front, heißt es. Die meisten Produktionsstandorte sind still gelegt.

Besonders dramatisch ist die Lage rund um die umkämpfte Hauptstadt Kiew. Der Baustoffkonzern Baumit aus Waldegg (Bezirk Wiener Neustadt) betreibt hier ein Werk für Trockenmörtel, Putz und Beton. „Es ist absoluter Produktionsstopp“, sagt Geschäftsführer Gerald Prinzhorn. Die Mitarbeiter seien fast alle noch in Kiew, die meisten müssten aber zur Armee einrücken. Ihre Familien versuchten vielfach, ins Ausland zu gelangen.

Um sie zu unterstützen, werden bei der Firma alle Ressourcen gebündelt. „Wir haben unsere Mitarbeiter an den Standorten in Rumänien, Ungarn, der Slowakei und in Polen an die Grenze geschickt“, erzählt Prinzhorn: „Dort nehmen sie die Familien in Empfang und bringen sie in eine Unterkunft oder ein Hotel.“ Schon zwanzig Familien hätten so die Grenze passieren können, weitere vierzig warten auf die Ausreisemöglichkeit. An den Grenzen herrsche Chaos: „Wir haben von einer Mitarbeiterfamilie mit kleinen Kindern gehört, dass sie 24 Stunden dort verbracht haben“, erzählt Prinzhorn: „Aber sie sind überglücklich, in Sicherheit zu sein.“

Produktion auf Sparflamme

Auch 500 Kilometer südöstlich von Kiew, in Dnipro, ist die Lage angespannt. In der Nacht habe es dort wieder Schüsse gegeben. Das haben Geschäftsführer Johannes Michael Wareka Mitarbeiter berichtet. Das Traiskirchner (Bezirk Baden) Verpackungsunternehmen Marzek betreibt hier seit 2009 ein Werk mit 130 Mitarbeitern. Wareka ist mehrmals täglich mit ihnen in Kontakt. „Alle sind zum Glück wohlauf“, erzählt der Geschäftsführer. Nur einer sei bis jetzt an die Front berufen worden.

In Dnipro wähnt man derzeit das schlimmste hinter sich. Vergangenen Donnerstag hätten russische Einheiten den Militärflughafen der Stadt zerstört, erzählt Wareka: „Seither ist es Gott sei Dank ruhig.“ Seit Sonntag laufe deshalb auch die Produktion wieder – wenn auch auf Sparflamme. Die Firma stellt Verpackungen für Lebensmittel- und Medizinprodukte für den regionalen Markt her. Produkte, die im Krieg benötigt werden.

Werk Marzek 2018
ORF
Die Fertigungshalle des Werksstandorts der Firma Marzek in Dnipro auf einer Aufnahme von 2018.

Beobachten und ausharren

Auch bei der Agrana, die im westukrainischen Vinnitsa eine Fruchtsaftproduktion betreibt, überwiegt die Sorge um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aktuell stehe die Produktion still, am Dienstag wolle man weitere Entscheidungen treffen. „Wir beobachten die Situation weiter sehr genau und sind auf verschiedene Krisenszenarien vorbereitet. Wo notwendig, werden Lieferpläne angepasst oder Kunden aus anderen Standorten beliefert“, so Agrana-Chef Markus Mühleisen.

Und geschlossen bleibt vorerst auch der Kiewer Vertrieb der Naturkosmetikfirma Styx aus Ober-Grafendorf (Bezirk St. Pölten). „Drei Mitarbeiter sind miteinander nach Polen entkommen, unser Chauffeur ist zum Militär einberufen worden“, berichtet Geschäftsführer Wolfgang Stix. Der Rest der 14 Mitarbeiter harre vor Ort in ihren Wohnungen aus.

Werk gegen Gefechte gesichert

Wie genau es in den nächsten Tagen in den verschiedenen Werken weitergeht, sei derzeit nicht abschätzbar, heißt es. Bei Marzek trifft man erste Vorbereitungen, um das Werk gegen Gefechte zu sichern. „Wir haben vorgesorgt, indem wir unsere Maschinen abdecken, damit die Hochtechnologie vor Ort nicht sofort beschädigt wird, wenn die Fenster kaputt gehen oder wenn das Dach undicht wird“, erzählt Geschäftsführer Wareka: „Aber wenn die Rakete von oben kommt, können wir ohnedies nichts machen“. Im stillgelegten Baumit-Werk ist jetzt nur noch der Wachdienst zum Schutz vor Plünderungen vor Ort. „Man kann nur hoffen, dass das Werk nicht zu stark beschädigt wird. Wir werden am Schluss sehen, wie das aussieht“, sagt Baumit-Geschäftsführer Prinzhorn.