Balletttänzerinnen
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Chronik

Brückenbau zwischen Kriegsgegnern

Ob beim Ballett oder Eishockey – in Sport und Kultur gibt es viele Beispiele für friedliche Zusammenarbeit zwischen Menschen aus der Ukraine und Russland. Auch nach Ausbruch des Krieges demonstrieren sie, wie Brückenbau zwischen Nationen gelingt.

Hört man sich unter in Niederösterreich lebenden Russinnen und Russen sowie unter Ukrainerinnen und Ukrainern um, so hätten vor einer Woche noch die wenigsten von ihnen den Krieg in der Ukraine für möglich gehalten. Heute verfolgen sie die täglich neuen Entwicklungen und Eskalationen mit Schrecken und Bangen.

Die meisten von ihnen distanzieren sich von der Gewalt, doch nicht alle. Am Dienstag wurde bekannt, dass der putinfreundliche Dirigent Valery Gergiev beim heurigen Grafenegg Festival nicht am Pult stehen wird. Das gaben die Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft und ihr künstlerischer Leiter Rudolf Buchbinder bekannt. Für Gergiev ist es nicht die erste Absage – mehr dazu in „Grafenegg lädt Putin-Unterstützer Gergiev aus“ (noe.ORF.at; 1.3.2022).

Ballett „spricht eine friedliche, verbindende Sprache“

Der Ukrainekrieg bewegt die international geprägte Kunst-, Kultur- und Sportwelt, in der Menschen vieler verschiedener Nationalitäten Seite an Seite arbeiten, leben, trainieren und miteinander auftreten. Unvorstellbar wäre etwa die weltweite Ballettszene ohne ukrainische und russische Tänzerinnen und Tänzer. Beim Europaballett in St. Pölten ist „etwa ein Dutzend Nationen vertreten – und natürlich auch Menschen aus Russland und der Ukraine“, so Michael Fichtenbaum, der künstlerische Leiter. Konflikte in seinem Team gäbe es seit Kriegsbeginn nicht, erzählt er, „ganz im Gegenteil“.

Bestätigung bekommt er von den beiden Ballettlehrerinnen Julia Bauer – sie ist gebürtige Ukrainerin – sowie ihrer besten Freundin Tschulpan Usmanova, gebürtige Russin. Was an den kriegerischen Fronten derzeit unvorstellbar scheint, funktioniere im Probenraum, so Usmanova: „Julia ist meine beste Freundin hier in Österreich. Wir haben einander gefunden und es tut mir sehr weh, das ganze Leid zu sehen. Wir wünschen uns alle, dass der Krieg möglichst bald wieder aufhört.“

Balletttrainerin Tschulpan Usmanova mit einer Schülerin
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Ballettlehrerin Tschulpan Usmanova (re.) ist gebürtige Russin und spendet ihrer Kollegin und besten Freundin, einer Ukrainerin, täglich Trost

Julia Bauer fällt es schwer, über die aktuellen Entwicklungen in ihrem Heimatland zu sprechen. Mit Tränen in den Augen berichtet sie, dass sie sich besonders zerrissen fühle. „Meine Mama ist Russin, mein Vater ist Ukrainer. Also habe ich Verwandte und Freunde sowohl in Russland als auch in der Ukraine. Ich kommuniziere täglich mit ihnen und alle stehen unter Schock.“

Beide Trainerinnen sind überzeugt, dass Kunst und Kultur das Potenzial hätten, um Brücken zu bilden. „Jede Kunst hat eine universelle Sprache – die einzige Sprache, mit der Leute friedlich zusammenleben können.“ Anastasia Irmiyaeva, künstlerische Assistentin im Europaballett und ebenfalls geborene Russin, ergänzt: „Wir Künstlerinnen und Künstler sind dafür da, um Menschen zu vereinen und glücklich zu machen. Wir haben einfach keinen Platz für solche Konflikte – weder auf noch hinter der Bühne.“

Ukrainische und russische Künstler über den Krieg

Viele verfolgen den Krieg in der Ukraine mit Schrecken, insbesondere jene mit ukrainischem oder russischem Hintergrund. Die meisten distanzieren sich von der Gewalt, doch nicht alle.

Internationale Schüler fernab ihrer Familien

Besonders belastend ist jeder Krieg für betroffene Kinder und Jugendliche. Auch in Niederösterreich leben ukrainische und russische Kinder, manche gehen hier in internationale Schulen. Im Schulleistungssportzentrum in St. Pölten werden alleine in der Eishockey-Akademie 80 Kinder aus 25 Nationen unterrichtet und trainiert. Auch hier finden sich zahlreiche Russen und Ukrainer, deren Familien zu Hause leben.

Von den Lehr- und Betreuungspersonen in Schule, Internat und Trainingszentrum erfordere die aktuelle Situation „viel Einfühlungsvermögen“, ist Klassenvorstand Jürgen Pfleger im Gespräch mit noe.ORF.at überzeugt. „Man muss auf die Schülerinnen und Schüler noch näher eingehen und mehr auf sie zugehen.“ Die Wahrheit über die Geschehnisse sei ihnen definitiv zumutbar, „aber in Portionen und entsprechend aufbereitet“. Die Rolle aller für die Jugendlichen verantwortlichen Personen habe sich durch den Krieg „intensiviert“, so Pfleger. „Die Coach- oder Mentorenstellung ist definitiv noch wichtiger geworden – und ja, manchmal braucht es auch eine Schulter zum Ausweinen.“

Ukrainischer, russischer und österreichischer Eishockeyhelm
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In der Hockey Akademie in St. Pölten leben und trainieren Jugendliche aus 25 verschiedenen Ländern miteinander. Konflikte zwischen ukrainischen und russischen Schülern gab es bisher nicht.

Sport könne den Jugendlichen jetzt zweifach helfen, ist Kanadier Oly Hicks, der sportliche Leiter der Hockey Akademie, überzeugt. Zum einen verbinde er die Schülerinnen und Schüler, zum anderen lenke er sie auch ab. „Mir ist in den letzten Tagen aufgefallen, dass speziell die Kinder aus der Ukraine noch häufiger in die Eishalle kommen oder noch länger bleiben. Ich glaube, es spielt eine Rolle, dass sie etwas zu tun haben und dass der Sport sie auch ein Stück von der Realität wegbringen kann.“

Konflikte zwischen russischen und ukrainischen Schülerinnen und Schülern habe es laut Pfleger bisher nicht gegeben, „worüber ich auch sehr froh bin. Man würde nicht merken, dass sich hier diese beiden Nationalitäten gegenüberstehen würden. Sie helfen einander und halten zusammen. Ausgrenzung aufgrund der Herkunft gibt es in der Schule nicht“.