ORF-Korrespondent Paul Krisai im Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein
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„Ganz Persönlich“

Krisai: „Geisterhafte Stimmung" in Moskau

Er ist der Mann des ORF in Russland: Paul Krisai berichtet derzeit täglich über die Lage in Russland. Sein Job als Korrespondent wird schwieriger und gefährlicher – in einem Land, das sich immer mehr Richtung Diktatur bewegt.

Paul Krisai ist in Mödling aufgewachsen. Nach dem Gymnasium in Perchtoldsdorf (Bezirk Mödling) studierte er in Graz Journalismus und verbrachte ein Semester in St. Petersburg. Seine Laufbahn im ORF begann Krisai vor fünf Jahren mit einem Praktikum in der Außenpolitik der „Zeit im Bild“.

Danach wechselte er in die Auslandsredaktion der Radioinformation. Er ist seit 2019 ORF-Korrespondent in Russland, seit letztem Jahr leitet er das Korrespondenten-Büro in Moskau. Krisai ist 27 Jahre alt.

noe.orf.at: Seit gestern ist Ihr Leben in Russland als Journalist ein Stück weit gefährlicher geworden, denn es gibt ein neues Mediengesetz, das Medien u.a. untersagt, den Krieg in der Ukraine auch als solchen zu bezeichnen. Ausländische Medien, wie CNN und BBC, haben ihre Berichte aus Russland eingestellt. Sie bleiben, aber haben Sie Angst?

Paul Krisai: Angst nicht, aber es wird schwieriger aus Russland zu berichten. Das Gesetz, das Sie angesprochen haben, bedeutet eine sehr umfassende Zensur aller Themen, die den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine betreffen. Für uns ist klar, wir halten uns an Gesetze, die in diesem Land gelten, aber wir wollen unbedingt vor Ort bleiben, solange das möglich ist. Es gibt den ORF hier in Moskau jetzt schon seit 50 Jahren. Das muss man sich vorstellen, also schon seit Sowjetzeiten. Unser Ziel ist es natürlich, die schon seit Jahrzehnten bewährte Berichterstattung weiterzuführen.

ORF-Korrespondent Paul Krisai im Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein
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Während des Studiums entfachten ein Sprachkurs und ein Auslandssemester Krisais Faszination für Russland

noe.orf.at: Es drohen aber lange Haftstrafen, wenn man sich nicht an diese neuen Mediengesetze hält.

Krisai: Es ist eine sehr, sehr ernste Lage, die mit diesem Gesetz entsteht. Aber für Ausländer und Ausländerinnen ist zu erwarten, dass es sich um eine Ausweisung handeln würde, wenn es so weit käme. Wir werden sehr vorsichtig und bedacht vorgehen und die Lage neu bewerten. Meine Kollegin Miriam Beller ist auf dem Weg nach Wien, um von dort aus berichten zu können, um immer einsatzfähig zu bleiben – egal, wie sehr sich die Lage hier in Russland verschärft.

noe.orf.at: Mit dem Gesetz will Präsident Wladimir Putin verhindern, dass die russische Öffentlichkeit über den Krieg informiert wird. Wie ist denn die Stimmung im Land?

Krisai: Es ist schon eine sehr geisterhafte Stimmung. Uns droht hier keine physische Gefahr, aber was schon nachdenklich stimmt ist, wie viele Menschen derzeit das Land verlassen. Jeder, der gut ausgebildet ist, andere Sprachen spricht oder auch finanziell die Möglichkeiten hat, versucht Russland zu verlassen, weil jetzt schon sichtbar wird, was sich da für eine Lawine anbahnt. Russland steht eine sehr, sehr ernste Wirtschaftskrise bevor. Auch in dem Sinn, dass viele junge und gescheite Menschen jetzt gehen. Das wird sich für die nächsten Jahre und vielleicht Jahrzehnte drastisch auswirken.

noe.orf.at: Warum mögen Sie das Land so?

Krisai: Die Faszination für dieses Land hängt sicher damit zusammen, dass es ein irrsinnig vielfältiges Land ist. Die größte Freude an diesem Beruf ist, dass wir reisen dürfen, dass wir viele Gespräche führen dürfen mit Menschen in verschiedensten Regionen. Zum Beispiel war ich vergangenes Jahr zwei Mal in Sibirien und habe da spannende Berichte über den Klimawandel machen dürfen. Russland ist eine Weltregion, die fast ein Sechstel der Landoberfläche des Planeten bedeckt.

ORF-Korrespondent Paul Krisai im Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein
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Paul Krisai im Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein für die „NÖ heute“-Interviewserie „Ganz Persönlich“

noe.orf.at: Ist Russland Ihre zweite Heimat geworden?

Krisai: Natürlich. Ich lebe jetzt schon drei Jahre in diesem Land. Ich habe hier meine Freunde, ich kenne hier viele Menschen. Mir sind diese Menschen sehr nahe und ans Herz gewachsen. Ich bin froh, dass ich hier sein kann, dass ich hier als Journalist atmen, riechen und schmecken kann, wie dieses Land tickt. Selbst in diesen Zeiten, in denen wir uns leider in die Vergangenheit zurückbewegen.

noe.orf.at: Haben Sie manchmal Heimweh nach Österreich?

Krisai: Was mir manchmal fehlt, ist ein Schnitzel oder andere Dinge, wie zum Beispiel guter Käse. Wegen der Sanktionen ist es relativ schwierig mit der Einfuhr der europäischen Lebensmittel. Das liegt auch an den Gegensanktionen, die Russland verhängt hat. Es ist also schwierig, guten österreichischen Käse zu bekommen. Aber ich will meine eigenen Probleme nicht zu hochstellen.

noe.orf.at: Was wünschen Sie sich für Russland?

Krisai: Ich wünsche mir Frieden und, dass die Menschen, die sehr viel Potential haben und gescheit sind, dass sie eine Zukunft haben in diesem Land. Es ist ein Land mit wahnsinnig vielen Ressourcen, die aber sehr ungerecht verteilt sind. Viele der 146 Millionen Einwohner bekommen von diesem Reichtum nichts zu spüren.