Container auf einem Güterzug
ORF.at/Carina Kainz
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Wirtschaft

„Totalausfall“: Betriebe erwarten hohe Verluste

Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland haben Auswirkungen auf Niederösterreichs Wirtschaft. Die Industrie stöhnt unter den horrenden Energiepreisen, Klein- und Mittelbetriebe sind im Export betroffen und erwarten teils hohe Verluste.

2020 war Russland für Niederösterreichs Betriebe auf Platz 17 bei den Exporten. Laut Wirtschaftskammer haben sie fast 320 Millionen Euro in der Russischen Föderation erzielt. Einzelne Betriebe spüren die aktuelle Lage aber durchaus stark.

Die Firma Gamma Dental mit Sitz in Klosterneuburg (Bezirk Tulln) produziert hochspezialisierte diagnostische Geräte für die Zahnmedizin. Der Exportanteil liegt bei 95 Prozent. Knapp 40 Prozent liefert Gamma Dental nach Russland, Weißrussland und in die Ukraine. „Wir gehen davon aus, dass wir dieses Jahr in diesen Märkten fast einen hundertprozentigen Ausfall haben“, sagt Geschäftsführer Christian Slavicek.

Suche nach neuen Märkten

Gezwungenermaßen müsse man sich nach neuen Märkten umschauen. „Man muss rechnen, dass wir drei bis fünf Jahre brauchen, bis wir einen Markt erobern. Es geht darum, zuerst einmal eine Marktzulassung für Medizinprodukte zu bekommen und dann müssen wissenschaftliche und fortbildungstechnische Kooperationen aufgebaut werden,“ erklärt Slavicek.

Medizinisches Gerät für die Zahnmedizin
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Die Firma Gamma Dental produziert Geräte für die Zahnmedizin und rechnet für heuer mit einem Totalausfall am russischen, ukrainischen und weißrussischen Markt

Er geht davon aus, dass diese Krise sehr lange dauern könnte. Instrumente wie Kurzarbeit würden da wenig helfen, ist der Geschäftsführer überzeugt. Er wünscht sich gezielte Unterstützung von Wirtschaftsministerium und Wirtschaftskammer bei der Erschließung neuer Märkte.

Agrana-Produktion in der Ukraine steht still

Der Frucht-, Stärke- und Zuckerkonzern Agrana betreibt in der Ukraine drei Standorte mit 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ist damit direkt vom Krieg betroffen. Von Kampfhandlungen sei man bisher zwar verschont geblieben, trotzdem stehe die Produktion still, erklärt Pressesprecher Markus Simak.

„Wir entscheiden kurzfristig, ob wir die Produktion temporär wieder hochfahren können, um die Versorgung mit Lebensmitteln in der Region aufrecht erhalten zu können“, so Simak. Die Agrana stellt Fruchtzubereitungen für Molkereien oder Fruchtsaftkonzentrate in der Ukraine her und zwar hauptsächlich für den lokalen Markt.

Agrana-Produktion in der Ukraine
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Ein Bild aus Vorkriegszeiten: Agrana hat die Produktion in der Ukraine ausgesetzt

Die Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter habe oberste Priorität. Ein Krisenstab tausche sich täglich über die aktuelle Lage aus, erzählt Simak. Es gehe auch um humanitäre Aktivitäten. „Wir haben bereits 40 bis 50 Kolleginnen und Kollegen, die das Land verlassen mussten, in Werksunterkünften der Agrana in Osteuropa beispielsweise in Polen oder der Slowakei aber auch in Österreich unterbringen können. Da gibt es eine sehr große Solidarität im Unternehmen und enorme Hilfsbereitschaft,“ schildert der Pressesprecher.

Auch in Niederösterreich stehen bereits Produktionen

Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland wirken sich laut dem Präsidenten der Industriellenvereinigung Niederösterreich, Thomas Salzer, vielfältig auf die heimischen Betriebe aus. Vor allem im Automotivzulieferbereich gebe es Probleme mit Lieferungen aus der Ukraine, die dazu führen, dass Produktionen stehen.

Eine Unabhängigkeit von russischem Gas bezeichnet Salzer im Interview mit Werner Fetz in der Fernsehsendung „Niederösterreich heute“ am Donnerstag als „in weiter Ferne“. Als Unternehmen habe man im Moment nur zwei Möglichkeiten: die hohen Energiepreise an die Kunden weiterzugeben oder die Produktion vorübergehend stillzulegen.

noe.ORF.at: Welche Branchen sind von den Energiekosten, den Sanktionen oder den unmittelbaren Kriegshandlungen am stärksten betroffen?

Thomas Salzer: Es gibt einige Unternehmen vor allem im Automotivzulieferbereich, wo Teile aus der Ukraine gar nicht mehr nach Europa kommen und daher auch in Niederösterreich Produktionen stehen, weil die Teile nicht weiterverarbeitet werden können. Das trifft indirekt auch später den Autohandel.

Dann gibt es indirekte Sanktionsauswirkungen, dass gewisse Produkte aus Russland oder der Ukraine nicht kommen, die die Vorlieferindustrie treffen und daher weniger Rohstoffe hergestellt werden, die dann auch wieder in der Industrie in Niederösterreich fehlen. Ein Beispiel dafür sind Holzspäne oder Holzabfälle aus der Ukraine, die nicht in slowakische Zellstoffwerke kommen und daher können die den Zellstoff nicht nach Niederösterreich liefern.

Und dann gibt es noch eine große Reihe an Unternehmen, die von den hohen Energiepreisen betroffen sind. Da leiden vor allem Grundstoffindustrien, die Papier-, aber auch die Stahl- und Metallindustrie ganz gewaltig darunter.

Thomas Salzer, Präsident der Industriellenvereinigung Niederösterreich
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Thomas Salzer, Präsident der Industriellenvereinigung Niederösterreich

noe.ORF.at: In diesen Bereichen gab es schon in den letzten Jahren Bemühungen, energieunabhängiger zu werden. Wie weit ist man dabei und was würde den Unternehmen helfen? Könnte der vielzitierte Spritpreisdeckel helfen?

Salzer: Die Unabhängigkeit von russischem Gas ist ein Thema, das wir uns alle wünschen, das aber in weiter Ferne steht. Selbst wenn wir die Windkraft, die Wasserkraft und Photovoltaik nach allen Möglichkeiten in Niederösterreich ausbauen, haben wir immer noch das Problem, dass wir im Winterhalbjahr zu wenig Strom produzieren und alternative Energiequellen brauchen. Das wird für den Zeitraum von 20 bis 30 Jahren leider weiterhin Gas sein müssen, denn Kohle und Öl sind viel schmutziger in der Verbrennung.

Ein Spritpreisdeckel würde uns nicht helfen. Erstens einmal sind die Spritpreise inflationsbereinigt gar nicht so hoch, wie sie auf der Tankstelle scheinen. Wir haben uns nur in den letzten zwei Jahren an überdurchschnittlich niedrige Energie- und Spritpreise gewöhnt. Auch der Staat wird es sich nicht leisten können, die Energiepreise auf Dauer querzufinanzieren.

noe.ORF.at: Wie wird sich das auswirken? Wird es temporäre Betriebsstilllegungen geben oder wird die aktuelle Situation Arbeitsplätze kosten?

Salzer: Es gibt im Prinzip zwei wesentliche Auswirkungen. Eine Möglichkeit, die man als Unternehmer hat, ist, dass man die Preise an die steigenden Energiekosten anpasst. Da hinkt man immer hinterher. Der Anstieg der Energiekosten ist so enorm, dass selbst, wenn Sie einen oder zwei Monate darauf die Preise anpassen, in der Zwischenzeit leichte Verluste machen.

Wenn ich das nicht kann, muss man Produktionen stilllegen. Es gibt in Niederösterreich bereits eine Papierfabrik, die eine große Papiermaschine abgedreht hat. Es gibt ernste Sorgen mit der Rohstoffversorgung ab Mitte April in vielen Bereichen, wo es etwa um die Verarbeitung von Weizen aus der Ukraine für Stärkeprodukte geht, aber auch im Bereich Papier, wo die Frage ist, ob genügend Zellstoff kommt.