Caritas-Geschäftsführer Klaus Schwertner
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Ukraine-Krieg

Schwertner: „Kein Sprint, sondern Hilfsmarathon“

Klaus Schwertner, Chef der Caritas der Erzdiözese Wien, geht davon aus, dass die Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine noch Monate, wenn nicht Jahre benötigt wird. Er fordert Integrationsmaßnahmen sowie ausreichend Kindergarten- und Schulplätze.

Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass Österreich Wohnplätze für 200.000 Geflüchtete aus der Ukraine benötigen wird. In Niederösterreich wurde bisher 7.000 private Plätze angeboten, weitere 450 stehen in organisierten Unterkünften von Land und Bund zur Verfügung.

Um die Verteilung der Flüchtlinge kümmern sich die Caritas und die Diakonie. Die angebotenen Unterkünfte müssen bestimmte Mindeststandards erfüllen, Quartiergeber sollten sie mindestens drei Monate entbehren können, sagt Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas der Erzdiözese Wien, zu der auch große Teile Niederösterreichs gehören, am Dienstag im „Niederösterreich heute“-Interview mit Katharina Sunk.

Schwertner verweist darauf, dass die Hilfe aus seiner Sicht noch längere Zeit in Anspruch nehmen wird. „Das ist kein Sprint, das ist ein Marathon – vielleicht der größte Hilfsmarathon, den wir in Niederösterreich, in Österreich und Europa bisher gelaufen sind“, so der gebürtige Niederösterreicher. „Wir werden einen langen Atem der Hilfe brauchen.“

Herr Schwertner, die Caritas kümmert sich unter anderem um die Verteilung der Flüchtlinge in Privatquartiere. Wie gut funktioniert das im Moment?

Klaus Schwertner: Die Solidarität und Hilfsbereitschaft ist wirklich enorm. Ein riesengroßes Dankeschön an alle, die schon unterstützt haben – mit Geldspenden, mit Sachspenden, aber auch mit Wohnraum. Tausende Quartiere sind mittlerweile über „Niederösterreich hilft“ alleine in Niederösterreich gemeldet worden.

Diese Daten gehen an die Hilfsorganisationen – die Diakonie und die Caritas – weiter. Wir schauen uns das alles durch, nehmen Kontakt auf mit den Personen, die Quartiere oder Wohnraum zur Verfügung stellen. Da bitte ich aber um etwas Geduld, weil die Abarbeitung etwas Zeit in Anspruch nimmt, weil es, gerade wenn es um Frauen, Kinder und geflüchtete ältere Menschen geht, auch Mindeststandards braucht, die beachtet werden müssen.

Sie haben die Mindeststandards angesprochen. Reicht es aus, ein Bett zur Verfügung zu stellen oder muss man noch mehr Voraussetzungen erfüllen?

Schwertner: Wichtig ist, dass das Zimmer, der Wohnraum, die Wohnung über einen längeren Zeitraum zur Verfügung gestellt werden kann, für mindestens drei Monate. Es soll entsprechend möbliert sein, damit nicht erst die Möbel herbeigeschafft werden müssen. Wir beraten natürlich auch, was das Matching anlangt. Man kann sich nicht aussuchen, wer zu einem kommt.

Das Ganze läuft intensiv an. Man sieht, wie groß der Bedarf an Wohnraum ist, und es ist eine ganz wichtige Unterstützung, dass viele Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher schon Wohnraum zur Verfügung gestellt haben.

Klaus Schwertner und Katharina Sunk
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„Die Solidarität ist enorm“: Der Chef der Caritas der Erzdiözese Wien, Klaus Schwertner, im Interview mit Katharina Sunk am Dienstag in „Niederösterreich heute“

Der Krieg wird höchstwahrscheinlich nicht so schnell vorbei sein. Wie ist das gegebenenfalls, wenn ich mein Zimmer oder meine Wohnung in ein paar Monate wieder selbst brauche?

Schwertner: Die Bitte ist, dass es zumindest drei Monate zur Verfügung gestellt wird. Wir sehen insgesamt, dass der Bedarf ganz groß ist. Alle Expertinnen und Experten und auch wir gehen davon aus, dass es in ganz Österreich für 200.000 Geflüchtete entsprechende Quartiere und Wohnraum braucht.

Das ist also kein Sprint, das ist ein Marathon – vielleicht der größte Hilfsmarathon, den wir in Niederösterreich, in Österreich und Europa bisher gelaufen sind. Das heißt, auch ein bisschen Geduld, wenn wir uns nicht sofort bei Menschen melden, die einen Wohnraum zur Verfügung stellen. Wir werden einen langen Atem der Hilfe brauchen, das ist schon jetzt klar.

Mit Wohnraum alleine ist es nicht getan. Schulbesuche, Arbeitsmöglichkeiten, Grundversorgung – es tauchen viele Fragen auf. Bekommt man als Quartiergeber dabei Unterstützung?

Schwertner: Wir haben unter der Telefonnummer 05-1776380 eine österreichweite Hotline eingerichtet, an die man sich wenden kann, wenn es um asylrechtliche Fragen, Fragen in der Betreuung und Unterbringung geht. Diese Hotline wird schon von vielen Freiwilligen unterstützt, dafür sind wir sehr dankbar. Dort kann man sich ganz unkompliziert hinwenden.

Wird all das, was man bisher tut, auch von politischer Seite, ausreichen, um alle Flüchtlinge zu versorgen oder braucht es noch mehr? Diskutiert wird zum Beispiel immer wieder über eine nochmalige Erhöhung der Tagsätze für Quartiergeber.

Schwertner: Oberste Priorität muss jetzt die Unterbringung in entsprechenden Quartieren haben. Es muss alles unternommen werden, dass Obdachlosigkeit unter allen Umständen vermieden wird und ausgeschlossen werden kann. Man sieht, dass die Nachbarländer der Ukraine extrem gefordert sind, speziell Polen und die Republik Moldau. Wenn Österreich einen Beitrag leisten kann, um die Nachbarländer zu unterstützen, wäre das sehr wichtig.

Die ersten Flüge aus der Republik Moldau nach Österreich sind schon erfolgt, erste Menschen sind aufgenommen worden. Auch wir als Caritas haben etwa in Hollabrunn schon 45 Kinder teilweise mit schwerer Behinderung aufgenommen. Auch da war stark spürbar, dass alle zusammenhelfen, die ganze Gemeinde hat unterstützt. Dann war diese Hilfe kurzfristig möglich.

Aber diese Hilfe wird vermutlich Monate, vielleicht sogar Jahre brauchen. Da geht es dann auch um Integrationsmaßnahmen, um Schul- und Kindergartenplätze. Auch die Schulen und Kindergärten werden hier entsprechend Unterstützung brauchen.