ATLAS Detektor in CERN
CERN / Maximilien Brice
CERN / Maximilien Brice
Wissenschaft

Mit Lichtgeschwindigkeit zur Krebstherapie

Gemeinsam mit der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) werden die Bestrahlungsmethoden bei MedAustron in Wiener Neustadt laufend weiter entwickelt. Zwei neue Kooperationen wurden am Mittwoch in der Schweiz unterzeichnet.

Wie ist das Universum entstanden? Warum gibt es uns? Und warum gibt es nicht nichts? Es sind die großen Fragen der Physik, denen die Europäische Organisation für Kernforschung (CERN) in Meyrin in der Schweiz nachgeht. Die endgültigen Antworten auf diese Fragen kennt man freilich noch nicht, viele andere Antworten wurden hier allerdings schon gefunden – immerhin nahm sogar das World Wide Web bei CERN seinen Anfang.

Für Laien ist es nur schwer zu verstehen, was dort, nahe der Grenze zu Frankreich, genau passiert. Kleinste Teilchen werden auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, um dann voller Energie mit anderen Teilchen zusammenzustoßen. Im Large Hadron Collider, dem Herzstück von CERN, – ein ringförmiger Teilchenbeschleuniger mit 27 Kilometer Umfang – passiert das mehr als eine Milliarde Mal pro Sekunde.

Es verwundert also nicht, dass ein Besuch des „Mekkas der Teilchenphysik“ eine ganze Delegation in Staunen versetzt. Beim Besuch einer Delegation aus Niederösterreich diese Woche ging es vor allem um zukunftsweisende Kooperationen. Immerhin ist CERN seit Jahren „wichtiger Partner, wenn es um Innovationen vor allem im medizinischen Bereich geht“, wie Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) betont.

Fotostrecke mit 3 Bildern

Besuch Mikl-Leitners bei CERN
NLK Burchhart
Der Large Hadron Collider (LHC) ist das Herzstück bei CERN: Ein ringförmiger Teilchenbeschleuniger mit 27 Kilometer Umfang, der sich in etwa 100 Meter Tiefe im Grenzgebiet der Schweiz und Frankreichs nahe Genf befindet.
Teilchenbeschleuniger in CERN
ORF / Sunk
Es ist bei weitem aber nicht der einzige Teilchenbeschleuniger, der bei CERN im Einsatz ist – auch viele kleinere sollen hier dazu beitragen, irgendwann die großen Fragen der Physik zu beantworten, und die Medizin zu revolutionieren.
Landeshauptfrau Mikl-Leitner im Kontrollraum von CERN
NLK Burchhart
Ein Blick in den Kontrollraum des LHC: Jede Sekunde werden mehr als eine Milliarde Zusammenstöße von Teilchen verzeichnet, etwa 1.000 davon werden aufgezeichnet.

Die Erkenntnisse, die aus den erwähnten Zusammenstößen gewonnen werden, sollen nämlich nicht nur irgendwann die großen Fragen der Physik beantworten können, sondern kommen derzeit vor allem in der Medizin zum Einsatz. „Ein wichtiger Teil unserer Mission ist der Wissens- und Technologietranfer in andere Bereiche und den sozialen Einfluss unserer Forschung zu maximieren“, sagt Mike Lamont, Direktor für Beschleuniger und Technologie bei CERN.

Kooperation mit CERN geht in die nächste Runde

Davon profitieren seit 2016 auch Krebspatientinnen und -patienten in Österreich. Mehr als 1.300 Patientinnen und Patienten wurden seit dem Start von MedAustron in Wr. Neustadt bereits mittels Ionenbestrahlung behandelt. Im Vergleich zur konventionellen Strahlentherapie können diese Ionenstrahlen besser gesteuert werden, weshalb das Gewebe rund um Tumore weniger geschädigt wird. Dadurch wird die Behandlung von Tumoren im Gehirn und in der Nähe des Rückenmarks erleichtert oder sogar erst ermöglicht. Im heurigen Jahr rechnet man bereits mit mehr als 500 Behandlungen.

Es wäre aber nicht CERN wenn man hier nicht laufend an neuen, noch besseren Anwendungsmöglichkeiten arbeiten würde. Gemeinsam mit Landeshauptfrau Mikl-Leitner, MedAustron-Geschäftsführer Alfred Zens und Partnern in Italien – dem Nationalen Institut für Kernphysik (INFN) und dem Nationalen Zentrum für Partikeltherapie (CNAO) – wurden am Mittwoch zwei weitere Kooperationsverträge für die kommenden Jahre unterzeichnet. „Es geht darum, die wissenschaftliche Expertise auszutauschen und daraus noch mehr Innovation zu generieren“, so Mikl-Leitner.

Unterzeichnung Kooperationsvereinbarung durch Mikl-Leitner
NLK Burchhart
Zwei neue Kooperationsvereinbarungen sollen die Zusammenarbeit zwischen CERN, MedAustron und Niederösterreich weiterhin sichern und die Entwicklung des SIGRUM-Projekts voran treiben

SIGRUM-Projekt soll Krebsbehandlung revolutionieren

Große Zukunftshoffnung ist das sogenannte SIGRUM-Projekt. SIGRUM steht in diesem Fall für „Superconducting Ion Gantry with Riboni’s Unconventional Mechanics“. „Es geht bei dieser Technologie darum, dass wir Ionenstrahlen um den Patienten drehen möchten. Wir wollen aus verschiedenen Richtungen auf den Patienten einstrahlen, um seinen Tumor zu behandeln“, erklärt MedAustron-Geschäftsführer Alfred Zens.

Bisher gibt es bei MedAustron zwei Behandlungsräume, in denen Bestrahlungen mit fixen Strahllinien – horizontal und vertikal – durchgeführt werden. Ein dritter Behandlungsraum wird in den kommenden Wochen in Betrieb genommen. Schon dieser soll eine Bestrahlung aus verschiedenen Richtungen ermöglichen. SIGRUM soll hier noch einen Schritt weiter gehen und diese Rundum-Bestrahlung nicht nur mit Protonen, sondern auch mit Kohlenstoffionen ermöglichen.

Behandlungsraum im MedAustron
MedAustron/T. Kaestenbauer
1.300 Patientinnen und Patienten wurden bei MedAustron in Wiener Neustadt bereits behandelt. Bestrahlungen sind bisher horizontal und vertikal möglich. Künftig sollen sich die Strahlen auch um die Patienten drehen können.

Für Krebspatientinnen und -patienten würde das eine weitere Verbesserung bedeuten. „Wir wollen die nächste Generation entwickeln“, sagt Zens, „leistungsfähiger und wirtschaftlicher“. Eine solche Entwicklung ist freilich nicht von heute auf morgen möglich. Das „Schöne“ an dieser Entwicklungsarbeit sei aber, dass schon die Zwischenschritte in die bestehenden Therapiemöglichkeiten eingebaut werden können. „Das heißt wir werden Jahr für Jahr erleben, wie alles besser und schneller wird und wir noch mehr und unterschiedliche Krebsarten behandeln können“, so Zens.

Von der Krebstherapie zum Ukraine-Krieg

Im Rahmen der Delegationsreise stand am Mittwoch auch ein Besuch beim Schweizer Bundespräsidenten Ignazio Cassis auf dem Programm und es verwundert wohl nicht, dass dort vor allem das Thema Ukraine besprochen wurde. „Die Welt hat sich nicht in die richtige Richtung entwickelt“, merkte Cassis an.

Die Themen Versorgungssicherheit – mit Energie und Lebensmitteln –, Neutralität und der Umgang mit Vertriebenen eint die Schweiz und Österreich beziehungsweise Niederösterreich. „Das wird nicht nur für die Politik, sondern auch für die Gesellschaft eine große Herausforderung“, so Mikl-Leitner. Wichtig sei jetzt vor allem, dass in der Ukraine Landwirtschaft passieren könne, nicht zuletzt auch, damit Afrika versorgt werden kann.