Gerald Gartlehner in einem Interview am 31. März 2022
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Coronavirus

„Zweiter Booster für alle vor dem Herbst“

Ab Freitag kann jeder und jede nur noch zehn kostenlose CoV-Tests pro Monat machen. Damit verliere man aber keine Sicherheit, sagt Epidemiologe Gerald Gartlehner von der Donau-Universität Krems. Er rät auch zum zweiten Booster für alle vor dem Herbst.

Anstatt großflächiger, kostenloser Tests führen die Ausnahmen zur Zehn-Test-Regel dazu, dass nur mehr in sensiblen Bereichen regelmäßig und unbeschränkt getestet wird: So wird die Zahl der Tests etwa in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Behinderteneinrichtungen, Kurhäusern, Flüchtlingseinrichtungen oder Kindergärten nicht limitiert.

Weiterhin unbegrenzt bleibt das Testen ebenso für Mitarbeitende von Rettungsdiensten und 24-Stunden-Betreuerinnen und -Betreuer. Hier zahlt der Bund weiter. Auch wer Symptome hat, bekommt weiterhin einen kostenlosen Test.

Ausnahme glaubhaft machen

Die zusätzlichen Tests kann man über die Plattform „NÖ gurgelt“ oder in Apotheken machen. Dabei muss man glaubhaft machen, dass man den Test tatsächlich wegen einer Ausnahme benötigt. Kann man sich etwa vor einem Besuch in einem Pflegeheim rechtzeitig keinen Test organisieren, soll es auch direkt vor der Einrichtung Antigen-Tests geben, heißt es vom Land. Wer noch alte Gurgeltests zu Hause hat, kann fünf davon im April zusätzlich abgeben.

All diese Änderungen werden die Zahl der Tests reduzieren und sich damit auf die Statistik und den Überblick über das Infektionsgeschehen auswirken. Epidemiologe Gerald Gartlehner hält aber das gezielte Testen in vulnerablen Bereichen für sinnvoller. „NÖ heute“-Moderatorin Claudia Schubert sprach mit ihm über die Teststrategie, den Ausblick auf die kommenden Monate und die Notwendigkeit des zweiten Boosters bzw. der vierten Impfung.

Neue Teststrategie

Ab Freitag wird das Gratis-Test-Angebot deutlich reduziert, wir haben in den vergangenen Tagen schon berichtet. Pro Person und Monat sind dann nur noch fünf PCR- und fünf Antigen-Tests kostenlos. Es gibt aber einige Ausnahme.

„Jeder und jede sollte über vierten Stich nachdenken“

noe.ORF.at: Wenn wir ab morgen weniger testen, verlieren wir dadurch nicht Sicherheit?

Gerald Gartlehner: Ich würde es nicht so sehen. Das viele Kreuz-und-Quer-Testen, das in den letzten Monaten in Österreich passiert ist, war mit ziemlicher Gewissheit nicht sehr sinnvoll. Wichtig ist beim Testen, dass wir uns auf jene Personengruppen konzentrieren, die gefährdet sind, vulnerabel sind und diese weiter schützen.

noe.ORF.at: Wir hören in letzter Zeit öfter, dass wir uns gut auf den Herbst vorbereiten sollen. Das kennen wir ja schon aus dem letzten Frühling. Da ist uns das nicht so gut gelungen. Was heißt das denn konkret – gut vorbereitet sein?

Gartlehner: Es gibt natürlich noch viele Unbekannte. Wenn Omikron bleibt, dann wird der Herbst eher leichter. Wenn eine andere Variante auftaucht, dann wird das mit dem Vorbereiten schwieriger sein.

Gerald Gartlehner in einem Interview am 31. März 2022
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Epidemiologe Gerald Gartlehner lehrt und forscht an der Donau-Universität Krems

noe.ORF.at: Kann sich denn jeder Einzelne, jede Einzelne auch vorbereiten?

Gartlehner: Natürlich. Jeder und jede sollte irgendwann über den vierten Stich nachdenken. Personen, die vulnerabel sind, besser früher als später. Aber wir sollten alle vor dem Herbst den zweiten Booster irgendwann bekommen.

„90 Prozent hat eine Art von Immunität“

noe.ORF.at: Da hat man den Eindruck, dass man sich da nicht sicher ist. Im Moment wird die vierte Impfung eher den Vulnerablen empfohlen. Wird das aber doch, aus Ihrer Sicht, für jeden notwendig sein?

Gartlehner: Der vierte Stich für die Vulnerablen wäre eigentlich schon jetzt wieder notwendig, weil wir in den Studien sehen, dass der Schutz nach drei Impfungen nach vier Monaten relativ schnell wieder nach unten geht. Und vulnerable Personen sollten deswegen schon jetzt über den vierten Stich nachdenken. Für alle anderen gibt es dann hoffentlich im Herbst eine angepasste Impfung, die uns auch gegen Omikron besser schützt.

Die Lage in Niederösterreich

  • Aktuell Infizierte: 76.202
  • Neuinfektionen: 5.463
  • Neugenesene: 8.686
  • Todesfälle: 2.889
  • Spitalspatienten: 676
  • Davon Intensivpatienten: 39

Stand: 31.3.2022

noe.ORF.at: Aber eben eher im Herbst, wenn eine mögliche nächste Welle näher rückt?

Gartlehner: Ja, genau. Also für alle gesunden Personen ist es dann wirklich erst im Herbst sinnvoll. Damit wir dann im Herbst, wenn die nächste Welle auf uns zukommt, optimal geschützt sind.

noe.ORF.at: Die Impfpflicht wurde kurz nach Inkrafttreten im Februar wieder ausgesetzt. Das Argument hat gelautet, mit Omikron gebe es keine Grundlage mehr. Sie haben damals von einem richtigen Schritt gesprochen. Werden wir die Impfpflicht im Herbst doch brauchen?

Gartlehner: Das wird davon abhängen, mit welcher Variante wir im Herbst konfrontiert sind. Wenn weiterhin Omikron dominant ist, dann werden wir die Impfpflicht mit großer Wahrscheinlichkeit nicht brauchen. Wenn eine neue Mutation auftritt, dann muss das neu bewertet werden und dann muss vielleicht auch die Impfpflicht kommen.

noe.ORF.at: Aber so schnell geht das dann ja nicht. Wenn ich im Herbst eine neue Variante habe, kann ich ja nicht innerhalb eines Monats wieder die Impfpflicht einführen. Wie soll man da vorgehen?

Gartlehner: Im Spätsommer kann man relativ gut abschätzen, welche Variante auf uns zukommen wird. Nachdem der Großteil der österreichischen Bevölkerung, mehr als 90 Prozent, irgendeine Art von Immunität hat – durch Impfung oder Erkrankung – brauchen diese Personen nur einen Booster, einen Stich, und man kann damit dann relativ rasch die Bevölkerung auf ein gutes Immunitätsniveau bringen.