gesundheit

Gewalt in der Pflege: „Öfter, als man denkt“

Ob zu Hause, im Spital oder im Heim: Pflegebedürftige Personen erfahren oft Gewalt. Ein Problem, das durch die Überalterung der Gesellschaft und den Pflegemangel immer brisanter wird. Ein Symposium in Tulln hat Lösungswege aufgezeigt.

Nicht immer ist Gewalt so offensichtlich zu erkennen wie in ihrer körperlichen oder sexuellen Form: Gewalt habe viele Gesichter, sagte der Sozialwissenschaftler Josef Hörl in seinem Vortrag. Auch der Zwang, fröhlich zu sein, das Abrasieren des Bartes gegen den Willen des Pflegebedürftigen oder die Weigerung, die Brille zu putzen, könnten als Gewalt interpretiert werden. Die Abgrenzung zur groben Belästigung sei dabei nicht immer leicht.

Rund 70 Prozent der Pflegekräfte hätten in einer deutschen Studie angegeben, sich gegenüber Pflegebedürftigen gewalttätig oder vernachlässigend verhalten zu haben, sagte Cornelia Palmetzhofer, Pflegedirektorin der Landeskliniken Klosterneuburg und Tulln bei der Eröffnung des Symposiums. „Sowohl seitens der Pflegebedürftigen als auch seitens der Pflegenden kommt es zu Gewalt, und das öfter, als man denkt“, so Palmetzhofer. „Hinschauen statt Wegschauen“ lautete daher das Motto des vom Landesklinikum Tulln und der Landesgesundheitsagentur veranstalteten Symposiums.

Landesrätin Christiane Teschl-Hofmeister am Podium vor Publikum
ORF
Das Symposium wurde vom Landesklinikum Tulln und der Landesgesundheitsagentur veranstaltet

„Da steckt oft keine Bösartigkeit dahinter“

Und nicht immer sei den Beteiligten bewusst, dass sie Gewalt ausüben. Viktoria Wentseis, klinische Psychologin am Landesklinikum Tulln und Mitinitiatorin des Symposiums, gibt ein Beispiel: „Ein Pflegebedürftiger liegt im Krankenhaus. Man kommt rein, stellt ihm das Essen auf den Tisch, geht raus und später räumt man das Essen wieder weg. Der Pflegebedürftige hat aber nicht gegessen, weil er alleine gar nicht zum Teller kommt – das ist auch eine subtile Form von Gewalt. Da steckt aber oft keine Bösartigkeit dahinter.“

Gewalt ist aber nicht nur in Institutionen, sondern auch zu Hause durch pflegende Angehörige möglich. Der Grund ist hier oft Überlastung. Jeder sechste Pflegebedürftige über 60 Jahren hat im privaten Umfeld Gewalt erlebt, sagt der Sozialwissenschaftler Josef Hörl. Aus Scham und aufgrund von Abhängigkeiten würden sich Opfer aber nur selten Hilfe holen. „Die Beratungsstellen werden zu 90 Prozent von Nachbarn oder anderen Angehörigen, also gewissermaßen von Zeugen, kontaktiert“, so Hörl.

Teschl-Hofmeister: „Verbreiten von Wissen essenziell“

Zwar gäbe es in Niederösterreich zahlreiche Beratungsstellen und Opferschutzgruppen, sagt Landesrätin Christiane Teschl-Hofmeister, aber: „Ganz viele Leute wissen noch zu wenig davon, deswegen ist eine möglichst niederschwellige Information, eine möglichst leichte Erreichbarkeit dieser Stellen, und ein Verbreiten dieses Wissens ein essenzieller Teil.“ Das ist eine Herausforderung, der sich auch das Symposium in Tulln stellt – richtet es sich doch nicht nur an Pflegekräfte, sondern auch an Angehörige pflegebedürftiger Personen.