Frauen umarmen sich
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Ukraine-Krieg

Künstlerinnen: Kriegstrauma und Hoffnung

Unter den Geflüchteten aus der Ukraine sind auch bekannte Künstlerinnen. Manche wollen gleich wieder auf der Bühne stehen, um die schrecklichen Bilder zu verarbeiten, andere wissen nicht, ob sie je wieder künstlerisch tätig sein können.

Es war ein berührendes Wiedersehen unter traurigen Umständen. Opernsängerin Nadiia Slavinska traf in Krems auf ihre Freundin Viktoria Ratsiuk, eine bekannte Dirigentin, die wie Slavinska aus Kiew stammt. Zehn Jahre haben sich die beiden nicht gesehen. Zufällig landeten beide nach ihrer Flucht aus der Ukraine im Raum Krems.

Als der Krieg begann, war Viktoria Ratsiuk gerade wegen eines künstlerischen Engagements in Budapest tätig. Eigentlich wollte sie sofort zurück nach Kiew, doch ihr Ehemann riet ihr ab. „Mein Mann sagte am Telefon: ‚Nein, bitte komm nicht zurück, weil hier jetzt Krieg ist. Nur die Männer müssen hierbleiben, nicht die Frauen. Und du bist so eine talentierte Dirigentin und Regisseurin, du hast so viele Projekte. Also bitte gehe in ein anderes Land und lebe dein Leben‘“, erzählt Ratsiuk.

Dirigentin Viktoria Ratsiuk
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Dirigentin Viktoria Ratsiuk war gerade in Budapest, als der Krieg in ihrer Heimat begann

„Weiß nicht, ob ich derzeit singen könnte“

Die ukrainischen Künstlerinnen, die derzeit im Raum Krems – unter anderem dank des Soroptimisten Clubs Krems – in Privatquartieren untergekommen sind, versuchen sich gegenseitig Halt zu geben. Wie es weiter geht, ist unklar. „Ich hatte ein Leben vor dem Krieg und jetzt habe ich wohl ein Leben nach dem Krieg. Ich weiß nicht, was ich nachher mache. Vorher hatte ich eine sehr gute Karriere“, erzählt die Dirigentin.

Nadiia Slavinska war als Opernsängerin an Opernhäusern in Kiew und St. Petersburg tätig. Doch jetzt kann sie sich gar nicht vorstellen zu singen. „Die Situation ist sehr belastend. Seit einem Monat habe ich kein Hungergefühl mehr. Ich merke gar nicht, ob ich etwas essen sollte oder nicht. Und auch mit dem Singen ist es nicht einfach, weil das ja ein physischer Prozess ist. Der Kopf hat die Kontrolle über meinen Körper übernommen, ich weiß nicht, ob ich derzeit singen könnte.“

Opernsängerin Nadiia Slavinska
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Opernsängerin Nadiia Slavinska spürt, wie sich die belastende Situation auf ihren Körper auswirkt

Bei Flucht mit Baby und Mann zwei Wochen im Auto

Anastasiia Bohomazova wiederum war erfolgreich als Musiklehrerin tätig. Am 5. März verließ sie mit Ehemann, Mutter und Baby die ukrainische Stadt Mariupol, in der Hoffnung, einen Fluchtkorridor nutzen zu können. Ihre Schilderungen sind beklemmend. „Wir hatten zwar ein Auto, aber kaum Benzin. Wir wussten, wir würden es nur für eine kurze Strecke schaffen, also beschlossen wir, zu jenem Ort zu fahren, wo die Evakuierung stattfinden sollte. Als wir ankamen, waren schon viele Menschen dort. Schließlich sagten uns Polizisten, dass keine Evakuierung stattfinden würde. Rund um uns waren russische Truppen. Wir waren also mitten im Zentrum des Krieges und konnten auch nicht mehr zurück. Also beschlossen wir, im Auto zu bleiben“, erzählt die Musiklehrerin unter Tränen über ihre Flucht aus der völlig zerbombten Stadt in der Ukraine.

„Wir haben dann zwei Wochen wie Obdachlose im Auto gelebt, mit einem kleinen Kind. Ich bin eine Musiklehrerin, ich habe mir einen guten Namen gemacht und plötzlich war es so, dass ich Essen auf der Straße aufklauben musste, weil wir einfach nichts mehr hatten. Und eines Tages gab es kein Wasser mehr, kein Essen für das Baby und ich habe dann zu meinem Mann gesagt: ‚Wenn wir nichts mehr zu essen haben, dann werden wir einen Straßenhund töten müssen, um zu überleben.‘“

Anastasiia Bohomazova, Musiklehrerin
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Die Musiklehrerin Anastasiia Bohomazova hat eine dramatische Flucht aus Mariupol hinter sich

So weit kam es dann zum Glück nicht. Die Familie konnte einen Weg finden. Bohomazovas Mann musste allerdings in der Ukraine bleiben, der Musiklehrerin gelang die Flucht. Gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter und ihrer Mutter landete sie schließlich in Niederösterreich. Sie hofft wie alle ihre Kolleginnen, dass der Krieg bald vorbei ist. Ob sie ihre Karriere in der Ukraine fortsetzen kann, ist ungewiss.

„Der Tanz hilft mir, mich abzulenken“

Beim Europaballett in St. Pölten haben junge Balletttänzerinnen aus der Ukraine eine künstlerische Heimat gefunden. „In erster Linie schauen wir, dass sie sich von den dramatischen Gedanken ein bisschen ablenken können und dass sie auch in guter tänzerischer Form bleiben können. Michael Fichtenbaum, unser künstlerische Leiter, hat beschlossen, dass wir für 20 Personen Platz haben, und mittlerweile sind schon 16 hier. Ich glaube also, sie fühlen sich sehr wohl bei uns“, erzählt Anastasia Irmiyaeva, die Managerin des Europaballetts St. Pölten.

Balletttänzerinnen
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Beim Europaballett in St. Pölten haben einige junge Balletttänzerinnen aus der Ukraine eine künstlerische Heimat gefunden

Das Training in St. Pölten wird den jungen Tänzerinnen in der Ukraine für die Ballettausbildung angerechnet. Das sei sehr wichtig, sagt Viktoria Babenko, eine Tänzerin aus der Ukraine. „Es ist gut, dass ich weiter tanzen kann, denn das ist ja mein Lebensinhalt. Wenn ich nicht tanze, weiß ich gar nicht, was ich tun soll. Natürlich geht es auch um die körperliche Form. Wenn ich nicht weiter tanze, kann ich die Ausbildung nicht fertigmachen.“ Auch Balletttänzerin Sofiia Chervonchuk ist froh hier zu sein: „Der Tanz hilft mir, mich abzulenken. Das Tanzen hat mir schon oft geholfen, mit schwierigen Situationen fertigzuwerden. Und wenn ich im Ballettsaal trainiere, geht es mir besser, als wenn ich in der Unterkunft sitze und ständig an mein Zuhause in der Ukraine denke.“

Auch für Tänzerin Yaroslava Hadiatska ist es wichtig, weiterhin zu tanzen. „Beim Training kann ich alle Emotionen rauslassen, das hilft mir, die Situation zu verarbeiten“. Die ukrainischen Balletttänzerinnen dürfen bereits in der aktuellen Produktion des Europaballetts, „Cinderella“, mitwirken. Für alle ukrainischen Künstlerinnen und Künstler, die in Niederösterreich sind, geht es früher oder später auch darum, Arbeit zu finden, und da darf sich die niederösterreichische Kulturszene über großes Potential freuen, das es bestmöglich zu nutzen gilt.

Ukrainische Künstler fern der Heimat

Etliche Künstlerinnen aus der Ukraine sind derzeit in Niederöstererich untergebracht. Auch sie wollen so schnell wie möglich arbeiten und zurück auf die Bühne. Doch viele sind traumatisiert.