Kultur

Krieg und Weltschmerz beim Donaufestival

Nach zwei schwierigen Jahren geht das Donaufestival in Krems wieder (fast) regulär über die Bühne. Am ersten Tag bewies es mit „fehlerhaftem Afrobeat“, Kriegsspielen und einigem Weltschmerz seine Bandbreite. Inhaltlich geht es heuer um „Gegenaneignungen“.

Es gehe bei seiner Installation um die Frage der Gewalt von Geschichte, sagt der Künstler und Kulturanthropologe Julian Warner – „wie wir als Individuen gemacht werden von Geschichte, von Konstellationen von Geschichte, und wie wir mit unseren mickrigen Leben in den Kriegsspielen der mechanisierten Welt zermalmt werden“.

Warner ist beim diesjährigen Donaufestival gleich mehrfach zu erleben. Zum einen als Musiker mit seinem Projekt „Fehler Kuti“, mit dem er auf den Nigerianer Fela Kuti Bezug nimmt, zum anderen mit ebenjener Installation namens „The Kriegsspiel“, die auch interaktive Performances beinhaltet. Seine Vorliebe für denglische Wortkreationen versteckt der in Deutschland lebende Künstler nicht.

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Erster Tag es Donaufestivals in Krems
ORF/Felix Novak
Der Künstler Julian Warner eröffnete mit seinem Musikprojekt „Fehler Kuti“ – in Anspielung auf den Afrobeat-Begründer Fela Kuti – das diesjährige musikalische Festivalprogramm in Krems
Erster Tag es Donaufestivals in Krems
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Im Inneren der Kunsthalle ist unterdessen seine Installation „The Kriegsspiel“ zu sehen, mit der er auf die universelle Anwendung der Kriegslogik und -metaphorik hinweist
Erster Tag es Donaufestivals in Krems
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Das erste Festivalwochenende war bereits ausverkauft, das machte sich sowohl am Standort der Kunsthalle bemerkbar…
Erster Tag es Donaufestivals in Krems
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…als auch bei der „Zentrale“ am Minoritenplatz…
Erster Tag es Donaufestivals in Krems
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…und in der Kremser Innenstadt
Erster Tag es Donaufestivals in Krems
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Künstlerisch reichte die Bandbreite von der akustisch und visuell beeindruckenden Geigerin Galya Bisengalieva in der Minoritenkirche…
Erster Tag es Donaufestivals in Krems
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…bis zur musikalischen Performance „The Sadness“ von Ula Sickle am Messegelände
Erster Tag es Donaufestivals in Krems
ORF/Felix Novak
Das Festival läuft dieses und kommendes Wochenende, insgesamt bis zum 8. Mai

Seine Arbeiten für das Donaufestival sind auch massiv persönlich geprägt. Beide Eltern waren Soldaten, „meine Mutter war die Vorgesetzte meines Vaters“. Während Warner bereits mit den Festivalprojekten beschäftigt war, starb sein Vater an den Folgen einer Covid-Erkrankung. Diese Erfahrungen, den „Kampf gegen das Virus“ und andere Kriegsmetaphern, verarbeitete er in seinem Werk. Die zusätzliche Aktualität mit dem Krieg in der Ukraine war hingegen Zufall.

„Damals waren ja alle Impf- und Pandemieexperten und wussten alles über Impflogistik. Jetzt sind wir auf einmal Kriegswirtschaftsexpertinnen und -experten und wissen alles darüber“, sagt der Künstler. „Was ich erfahren habe in diesem Kriegsspiel, in diesem Spielen des Krieges – das Planen, das logistische Umherfahren von Figuren, die Fragen von Taktik und Strategie – war eine Reise in die Vergangenheit meines Vaters.“

Kein Festivaltag für unverbesserliche Optimisten

Auch abgesehen davon dominierte ein diffuses Gefühl von Traurigkeit den ersten Tag des Festivals. Auf den Punkt brachte das die Performance „The Sadness“ von Ula Sickle. Sidney Barnes, Ashley Morgan und Amber Vanluffelen machten darin auf einem Haufen Erde liegend die Verzweiflung einer ganzen Generation sicht- und hörbar.

Kaum optimistischer, dafür aber visuell noch beeindruckender war die Show der kasachisch-britischen Geigerin Galya Bisengalieva. Sphärische Klänge ihrer Violine bzw. Viola verbreiteten sich, elektronisch unterstützt, in der Minoritenkirche in Krems-Stein und erzeugten einen raumfüllenden Klangteppich, der in der Grundstimmung Sickles Performance in nichts nachstand. Daran änderte auch der Hauptact des ersten Tages, die heimische Musikerin Soap&Skin, nichts.

„Gegenaneignungen“ als produktiver Lösungsansatz

„Stealing the stolen“ lautet heuer das Festivalmotto – damit geht es um die sogenannte kulturelle Aneignung, um die nicht nur in den Feuilletons und Universitäten immer wieder emotional geführte Debatten entbrennen. Im Kern dreht sich der Diskurs meist um diese Frage: Dürfen westliche Künstlerinnen und Künstler auf die Kultur unterdrückter Bevölkerungsgruppen im Globalen Süden zugreifen oder wird dadurch die hegemoniale Unterdrückung aus der Zeit der Kolonialisierung fortgesetzt?

Angst vor einem Shitstorm habe man bei diesem Thema nicht gehabt, sagt Thomas Edlinger, der künstlerische Leiter des Festivals, im Gespräch mit noe.ORF.at. „Wir gehen ja davon aus, dass eine gewisse Kritik an der Kulturellen Aneignung berechtigt ist und auch intuitiv einleuchtet.“ Ziel sei es gewesen, mit dem Festival jenseits von Ächtungen und Verboten konstruktive Lösungsvorschläge zu bieten.

Erster Tag es Donaufestivals in Krems
ORF/Felix Novak
Festivalleiter Edlinger (Mitte) will heuer neue Diskussionsansätze rund um Kulturelle Aneignung bieten

Der Ansatz des Festivals sind sogenannte Gegenaneignungen, erklärt Edlinger: „Wir verstehen darunter Aneignungen von unten und von anderswo, die sozusagen die Richtung verkehren, die zum Beispiel aus dem Globalen Süden oder sozial benachteiligten Schichten stammen. Das können Aneignungsformen sein, die etwas Verlorenes oder einem nie Zugestandenes zurückholen.“ Diesen Ansatz habe man in Hinblick auf Cancel Culture „politisch eben nicht heikel“ gefunden, „sondern interessant und verfolgenswert“.

Keine Kultur ohne Diebstahl?

Denkanstöße statt Denkverboten also – „zumal Kultur an sich etwas ist, das von Verunreinigungen lebt und nichts Statisches ist, sondern etwas Dynamisches, das sich quasi immer von etwas anderem speist“, sagt Edlinger.

Ein Beispiel dafür ist der tunesische Musiker und Produzent AMMAR 808, der am zweiten Festivalwochenende auftreten soll. „Er stammt aus Afrika, interessiert sich aber für indische Musik und arbeitet mit elektronischen Mitteln auf Basis des Drumcomputers 808, deswegen der Name“, erklärt Edlinger. „Hier ist der Westen nur noch in Form eines standardisierten Geräts im Spiel – also, wenn man so will, zweimal Globaler Süden, der sich sozusagen anreichert.“

Am Programm stehen im weiteren Verlauf des Festivals auch etwa Savages-Sängerin Jehnny Beth mit einem Soloprojekt und Ariel Efraim Ashbel mit einer fünfstündigen Performance in der Dominikanerkirche im Zentrum von Krems. Dazu kommen unter anderem zusätzliche Aufführungen von Julian Warner, Ula Sickle und den Kids of the Diaspora.

Publikum kehrt scharenweise nach Krems zurück

Damit geht das Festival nach zwei irregulären Jahren weitgehend wieder seinen gewohnten Gang. 2020 war es pandemiebedingt abgesagt, im folgenden Jahr in den Herbst verschoben und abgeändert worden. „Es ist heuer leichter als im letzten Jahr“, sagt Festivalleiter Edlinger. „Ich glaube, wir haben es geschafft, ein Programm zu machen, das fast so wirkt, als wäre es von Covid gar nicht so groß beeinflusst.“

Allerdings habe man sehr wohl mit Reiseschwierigkeiten von Künstlerinnen und Künstlern und kurzfristigen Absagen gekämpft, „so wie alle Kulturveranstalter“. Beim Publikum ist von Krisenstimmung jedenfalls nichts zu spüren. „Wir sind am ersten Wochenende ausverkauft und das zweite wird auch sehr gut besucht sein“, erwartet Edlinger.