Menschen kaufen im Sozialmarkt ein
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Soziales

Sozialmärkte: Mehr Kunden, weniger Waren

Die Pandemie und der Ukraine-Krieg stellen die Sozialmärkte vor eine besondere Herausforderung. Die Zahl der Kunden steigt, zugleich sinkt das Warenangebot, vor allem Grundnahrungsmittel fehlen. Die Preise werden aber trotz Teuerung nicht erhöht.

Lokalaugenschein beim „Soogut“-Sozialmarkt in Tulln: Bereits vor Öffnung des Geschäfts warten Kunden vor dem Eingang. „Ich habe in der Woche insgesamt 15 Euro für Lebensmitteleinkäufe zur Verfügung“, erzählt eine Mindestpensionistin. „In einem normalen Markt würde ich dafür nicht genug bekommen.“ Die Teuerungsrate, die mit 7,2 Prozent aktuell so hoch ist wie zuletzt vor 40 Jahren, spüren Menschen mit geringem Einkommen besonders stark.

„Die Semmerl kosten beim Diskonter jetzt 19 Cent statt wie zuvor 15 Cent. Das klingt nicht besonders viel, aber ist doch deutlich teurer“, klagt eine Mutter. „Das kann ich mir nicht mehr leisten. Ich habe vier kleine Kinder, mein Mann ist Alleinverdiener. Sein Einkommen reicht nicht für alle Ausgaben. Wir leben in einem Haus, das schlecht isoliert ist und mit Öl beheizt wird. Früher mussten wir etwa 100 Euro für das Heizen bezahlen, jetzt sind es fast 300 Euro. Das geht sich nicht aus.“

Menschen warten vor dem Sozialmarkt
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Schon vor Öffnung des Marktes warten die Kundinnen und Kunden

Etwa 40.000 Menschen sind Kundinnen und Kunden der „soogut“-Sozialmärkte in Niederösterreich. Einkaufen darf hier nur, wer nachweisen kann, sozial bedürftig zu sein. Bei Einpersonenhaushalten liegt die Grenze bei einem Nettomonatseinkommen von 1.240 Euro, bei Zweipersonenhaushalten sind es 1.630 Euro. Für jede weitere erwachsene Person im Haushalt kommen 195 Euro dazu, für jedes Kind 300 Euro.

Selbstständige und Studierende verloren Einkommen

Neben Alleinerzieherinnen, Mindestpensionisten und Menschen mit Migrationshintergrund kommen seit Beginn der Pandemie vermehrt auch Selbstständige und Studierende in die Sozialmärkte, berichtet „soogut“-Geschäftsführer Wolfgang Brillmann.

„Das sind Kleinstunternehmer, die durch die Pandemie ihr Einkommen verloren haben, und auch Studierende, die keinen Nebenjob mehr haben", so Brillmann. „Vor zwei Jahren hatten wir etwa 36.000 regelmäßige Kunden, jetzt sind es mehr als 40.000. Dazu kommt, dass Menschen, die früher nur manchmal bei uns waren, jetzt wirklich jeden Cent umdrehen müssen und wesentlich häufiger einkaufen kommen.“

Menschen kaufen im Sozialmarkt ein
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Vor zwei Jahren kamen etwa 36.000 regelmäßige Kunden, jetzt sind es mehr als 40.000

Vom Dachverband der österreichischen Sozialmärkte heißt es, dass die Zahl der Kundinnen und Kunden in West- und Südösterreich um etwa zehn Prozent gestiegen sei. In Niederösterreich, Wien und dem Burgenland seien es etwa 20 Prozent, da auch aus der Ukraine geflüchtete Menschen die Voraussetzungen erfüllen, in Sozialmärkten einkaufen zu dürfen.

Die Regale im Sozialmarkt schauen gut gefüllt aus. Das täuscht aber, da oft mehrere Reihen vom gleichen Produkt nebeneinander stehen. Es handelt sich um nicht mehr aktuelle Saisonware, jetzt sind etwa Osterartikel zu finden – außerdem Produkte mit fehlerhaften Verpackungen und Lebensmittel mit knapp überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum.

Weniger Waren seit Beginn des Ukraine-Krieges

Auf den Tiefkühl-, Milch- und Joghurtprodukten klebt meist noch das „minus 50 Prozent“-Pickerl, mit dem sie bereits im regulären Handel angeboten, aber nicht mehr verkauft wurden. In den Sozialmärkten liegen die Preise im Cent-Bereich: 20 Teebeutel kosten zehn Cent, tiefgefrorene Weißwürste 60 Cent. Trotz hoher Inflation bleiben die Preise in den Sozialmärkten niedrig. Die Waren sind etwa zwei Drittel günstiger als in Diskontmärkten.

„Seit einigen Wochen merken wir, dass der Warenfluss deutlich geringer wird“, berichtet Wolfgang Brillmann. „Insbesondere Grundnahrungsmittel wie Mehl, Nudeln und Öl gibt es auch im regulären Handel nicht mehr im Überfluss. Das ist der Grund, warum bei uns fast keine Grundnahrungsmittel mehr in den Regalen landen.“ Auch übrig gebliebenes Obst und Gemüse werde weniger. Im Sozialmarkt in Tulln sind besonders begehrte Produkte wie Tomaten bereits wenige Minuten nach Geschäftsöffnung Mangelware.

Kassabereich im Sozialmarkt
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95 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ehrenamtlich tätig

„Mittagessen um zwei Euro ist wie ein Lottogewinn“

„Man darf sich nicht beschweren, wenn es etwas nicht gibt. Man sollte sich freuen, dass es etwas gibt. Wenn ich nur ein paar Erdäpfel und Zwiebel bekomme, ist mir schon geholfen“, sagt die Mindestpensionistin, die nur 15 Euro pro Woche für Lebensmittel zur Verfügung hat. „Ich muss nicht Lotto spielen, ich gehe zwei Mal in der Woche hierher. Und wenn ich für zwei Euro ein gutes Mittagessen bekomme, habe ich schon gewonnen.“

„Wir können nur das anbieten, was wir gespendet bekommen“, erklärt Brillmann. „Wir kaufen nichts zu, weil wir nicht mit Handel und Industrie in Konkurrenz treten wollen. Um unsere Kosten niedrig zu halten, arbeiten 95 Prozent unserer Mitarbeiter ehrenamtlich.“

Die wachsende Kundenzahl bei gleichzeitig geringer werdendem Warenangebot sei eine große Herausforderung für die Sozialmärkte. „Wir wissen, dass es momentan auch für die Groß- und Einzelhändler eine schwierige Situation ist,“ sagt Brillmann. „Trotzdem bitte ich alle, auch an uns zu denken und übrig gebliebene Waren zu spenden. Ein Anruf genügt, wir holen die Produkte direkt bei den Produzenten und Supermärkten ab.“