Verkehr

Bahnübergänge als „unterschätzte Gefahr“

Mehr als 260 Personen sind seit 2010 an einem Bahnübergang in Niederösterreich verunfallt, jeder fünfte starb. Eine neue Kampagne soll jetzt für mehr Sicherheit sorgen. Die Gefahren am Bahnübergang werden nämlich oft unterschätzt.

Es sind nur wenige Sekunden Unachtsamkeit, doch sie können Leben kosten. Allein seit 2019 sind in Niederösterreich 16 Personen an einer Eisenbahnkreuzung ums Leben gekommen. Im hektischen Alltag oder aus Gewohnheit, würden die Gefahren des Bahnübergangs häufig vergessen, so Verkehrslandesrat Ludwig Schleritzko (ÖVP): „Ein Zug kann aber nicht ausweichen und kommt auch bei einer Vollbremsung nicht sofort zum Stehen.“

Das zeigt auch ein vom Land, den Niederösterreich Bahnen und dem ÖAMTC durchgeführter Versuch in Ober-Grafendorf (Bezirk St. Pölten): Unter optimalen Bedingungen und einer Geschwindigkeit von 80 km/h führten ein Auto und eine Zuggarnitur der Mariazellerbahn eine Vollbremsung durch. Das 1,4 Tonnen schwere Auto kam auf dem rauen Asphalt bereits nach 20 Metern zum Stillstand, der 90 Tonnen schwere Zug erst nach 194,5 Metern.

„Autofahrer missachten häufig die Regeln“

Angesichts der Länge des Bremswegs könne der Lokführer kaum noch etwas unternehmen, wenn sich eine Person oder ein Fahrzeug auf den Gleisen aufhält, sagt Barbara Komarek, Geschäftsführerin der Niederösterreich Bahnen: „Es ist schlicht und ergreifend eine unterschätzte Gefahr.“ Häufig würden Autofahrer die Regeln an Bahnübergängen missachten, Fußgänger verhielten sich oft zu unbedarft.

Um die Aufmerksamkeit und das Gefahrenbewusstsein an Eisenbahnkreuzungen zu schärfen, haben Land und Niederösterreich Bahnen die Kampagne „Sei g’scheit. Nimm dir Zeit. Am Bahnübergang“ ins Leben gerufen. „Es geht um das Vermeiden von gefährlichen Situationen, um die Prävention von Unfällen mit Todesfolge und es geht vor allem auch um die Vorbildwirkung für die Kinder“, so Schleritzko.

Matthias Nagler (ÖAMTC), Barbara Komarek (Niederösterreich Bahnen), Ludwig Schleritzko (Verkehrslandesrat)
NB/Bollwein
Matthias Nagler (ÖAMTC), Barbara Komarek und Ludwig Schleritzko (v.l.) präsentierten die Kampagne

Lokführerin: „Es fühlt sich an wie ein Herzinfarkt“

Neben Unaufmerksamkeit sei auch Fehleinschätzung ein Grund für die Unfälle, sagt Komarek. „Es kommt eh kein Zug, der Zug ist eh nicht so schnell, und das geht sich noch aus – das sind die Klassiker“, so die Geschäftsführerin der Niederösterreich Bahnen. Sie stört, dass ein Verstoß gegen die Verkehrsregeln am Bahnübergang nach wie vor als Kavaliersdelikt empfunden würde. „Kein Verkehrsteilnehmer würde an einer Straßenkreuzung eine rote Ampel überfahren“, so Komarek: „Bei uns passiert das jeden Tag mehrfach.“

Die Leidtragenden seien die Lokführerinnen und Lokführer, heißt es. „Wir haben in solchen Situationen einen absoluten Schockmoment, es fühlt sich an wie Herzinfarkt“, erzählt zum Beispiel Lokführerin Astrid Sulzbacher. Sie arbeitet auf der Strecke der Mariazellerbahn und erlebt brenzlige Situationen täglich. Nach Unfällen stehen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschulte Betreuungspersonen zur Seite. Denn besonders wichtig sei der Austausch und das Reden über das Erlebte, erzählt die Lokführerin.

65 Millionen Euro für mehr Sicherheit

In den vergangenen fünf Jahren haben Land, Gemeinden und ÖBB zudem 65 Millionen Euro in verbesserte Sicherheitssysteme an Bahnübergängen investiert. „Jeder Euro ist gut investiert, wenn man dadurch die Sicherheit erhöhen kann“, so Schleritzko.

Welches Sicherungssystem eine Eisenbahnkreuzung erhält – ob Stopptafel, Signallicht oder Schranken – ist dabei behördlich per Bescheid geregelt. Die Sicherheitsstandards werden von den Bahnbetreibern und Behörden regelmäßig evaluiert.