Michelhausen
ORF/Thomas Koppensteiner
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Chronik

Tullnerfeld: Kampf gegen hohe Grundstückspreise

Die Nähe zu Wien, die Natur vor der Haustür: Beides ist mit ein Grund dafür, dass das Tullnerfeld in Niederösterreich die stärkste Zuzugsregion ist. Ein Quadratmeter Bauland kostet bereits mehr als 400 Euro. Die Gemeinden sagen der Kostenexplosion den Kampf an.

Vor zehn Jahren ging im Tullnerfeld der neue Bahnhof in Betrieb, 20 Minuten dauert die Fahrt von hier mit dem Zug zum Wiener Hauptbahnhof. Die Region erlebt seitdem einen Boom. Die Gemeinde Michelhausen (Bezirk Tulln), auf deren Gemeindegebiet der Bahnhof liegt, war mit einem Plus von mehr als 40 Prozent in den vergangenen zehn Jahren die Gemeinde mit dem stärksten Bevölkerungswachstum in Niederösterreich.

Wo vor Jahren noch Wiesen, Felder und Äcker waren, schießt mittlerweile ein Wohnhaus nach dem anderen aus dem Boden. Das Wohngebiet rückt näher in Richtung Bahnhof. Die Kosten für Grundstücke haben sich zum Teil vervierfacht. Alleine in der Katastralgemeinde Pixendorf werden Baugründe zum Teil bereits um 300 bis 400 Euro pro Quadratmeter zum Verkauf angeboten.

Michelhausen: Gesellschaft wickelt Verkäufe ab

Um der Kostenexplosion etwas entgegenzusetzen, hat die Gemeinde Michelhausen bereits vor der Eröffnung des Bahnhofs Tullnerfeld eine ausgelagerte Gesellschaft gegründet, die Grundstücke kaufen und zu finanzierbaren Preisen weiterverkaufen soll. Die KommReal steht zu 100 Prozent im Eigentum der Gemeinde und muss dem Gemeinderat einmal im Jahr Bericht erstatten.

„Wir haben die Gesellschaft gegründet, um flexibler und rascher arbeiten zu können. Sollte sich ein Angebot auftun, wo ein Baugrund zu erwerben wäre, könnten wir das über die Gesellschaft schnell machen und müssen nicht durch politische Gremien, was mehr Zeit in Anspruch nimmt“, sagt der Bürgermeister von Michelhausen, Bernhard Heinl (ÖVP).

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Baustelle für Wohnbau beim Bahnhof Tullnerfeld in Pixendorf
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In Pixendorf in der Nähe des Bahnhofs Tullnerfeld wird derzeit ein riesiger Wohnpark gebaut
Bernhard Heinl, Bürgermeister von Michelhausen
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Bürgermeister Bernhard Heinl: „Die Grundstückspreise setzen die Gemeinden unter Druck. Es ist schwierig, an Grundstücke heranzukommen.“
Wohnbauten in Michelhausen
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Die Gesellschaft, die in Michelhausen die Grundstücksverkäufe abwickelt, kann derzeit keinen einzigen Baugrund anbieten

Die Gefahr einer Intransparenz sieht er bei der Gesellschaft nicht. „Es gibt zwei Geschäftsführer, die nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden, die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft im Auge haben müssen, im Auftrag und im Dienste für die Gemeinde. Ich sehe wenige Probleme, dass es hier zu Geschäften am Gemeinderat vorbei kommt oder die in dunklen Hinterzimmern getroffen werden.“

Die Gesellschaft, die nicht auf Gewinn ausgelegt ist, hat derzeit aber keinen einzigen Baugrund, den sie verkaufen könnte. „Zum einen ist es schwierig, an Baugrundstücke heranzukommen. Zum anderen ist die Konkurrenz durch private Mitbewerber auf dem Markt, durch Wohnbauträger oder Spekulanten, so groß, dass wir als Gemeinde nicht mitbieten können und wollen“, sagt Heinl.

Judenau-Baumgarten: Einheimische „first“

In Judenau-Baumgarten (Bezirk Tulln), einer Nachbargemeinde von Michelhausen, wickelt die Gemeinde die Grundstücksverkäufe selbst ab. Sie kauft Grünland an, widmet es in Bauland um und verkauft dieses weit unter dem aktuellen Marktpreis weiter. Die letzten sechs Baugründe gingen um 165 Euro pro Quadratmeter an ihre neuen Besitzer.

Die Warteliste ist lang. Die Entscheidung darüber, wer ein Grundstück erhält, trifft der Gemeinderat in seinen sechs bis acht Sitzungen im Jahr. „Es gibt ganz klare Richtlinien“, sagt Bürgermeister Georg Hagl (ÖVP), „es gibt eine Warteliste, auf der sich die Leute registrieren können. Der Gemeinderat beschließt aufgrund dieser Warteliste – chronologisch und auch danach, welchen Bezug die Leute zur Gemeinde haben – die Vergabe der Grundstücke.“

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Daniela Zöllner und Josef Pölsterl auf ihrem Baugrund in Freundorf in der Gemeinde Judenau-Baumgarten
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Daniela Zöllner und Josef Pölsterl haben nach langem Suchen ein Grundstück in Freundorf in der Gemeinde Judenau-Baumgarten bekommen – um 165 Euro pro Quadratmeter
Bauparzellen in der Beethovengasse in Freundorf in Judenau-Baumgarten
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Die Gemeinde kauft Grundstücke und verkauft sie per Gemeinderatsbeschluss bevorzugt an junge Einheimische weiter
Georg Hagl, Bürgermeister von Judenau-Baumgarten
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Bürgermeister Georg Hagl: „Junge Leute hätten sonst keine Chance, sich ein Grundstück zu leisten“
Bauparzelle in Freundorf in der Gemeinde Judenau-Baumgarten
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Teilweise werden Grundstücke in Judenau bereits um bis zu 450 Euro pro Quadratmeter angeboten

Leute, die sich also bereits in der Gemeinde engagieren – sei es in der Feuerwehr oder im Musikverein etwa –, haben somit bessere Chancen auf einen Baugrund. „Es ist nicht von Nachteil. Natürlich freuen wir uns, wenn Menschen, die sich schon in der Gemeinde engagieren, hier bleiben können. Unsere Vereine leben davon“, sagt Hagl.

Rechtlich sieht er dabei kein Problem. „Es ist keine Bevorzugung, sondern es gibt eine chronologische Reihenfolge, die abgearbeitet wird. Wenn es zwei gleichwertige Bewerber gibt, dann kommt der zum Zug, der mehr Bezug zur Gemeinde hat. Am Ende des Tages ist es aber eine Entscheidung des Gemeinderates.“

Die sechs Baugründe, die man zuletzt vergeben hat, seien vom Gemeinderat „alle einstimmig“ vergeben worden. „Wenn wir es dem freien Markt überlassen würden, hätten die jungen Leute keine Chance, sich ein Grundstück zu leisten“, sagt Hagl. Zum Teil werden in Judenau-Baumgarten Grundstücke bereits um bis zu 450 Euro pro Quadratmeter verkauft.

Sieghartskirchen will kein Makler sein

Auch in Sieghartskirchen (Bezirk Tulln) ist die Nachfrage nach Grundstücken enorm. Die Gemeinde geht allerdings einen völlig anderen Weg. Sie überlässt den Kauf und Verkauf von Grundstücken komplett dem freien Markt. „Für mich ist dieses Immobiliengeschäft keine hoheitliche Aufgabe der Gemeinde“, sagt Bürgermeisterin Josefa Geiger (ÖVP). „Wir haben ganz andere Aufgaben. Die Gemeinde ist für die Bürger da. Und wenn Sie mir entgegenhalten, Sie schaffen kein günstiges Bauland, dann ist das klar. Wenn aber das Gespräch gesucht wird, haben wir schon oft ganz gute Lösungen gefunden.“

Für Geiger ist es trotz der großen Nachfrage nach Grundstücken wichtig, die „Balance zwischen Altbürgern und Neubürgern“ zu halten. „Es sollen sich beide Seiten in der Gemeinde wohl fühlen. Wenn der Zuzug zu stark ist, kommen die Altbürger nicht zurecht. Daher muss es unsere Aufgabe sein, mit Bedacht vorzugehen.“

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Sieghartskirchen
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Sieghartskirchen lässt den freien Markt walten
Josefa Geiger, Bürgermeisterin von Sieghartskirchen
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Bürgermeisterin Josefa Geiger: „Das Immobiliengeschäft ist keine Aufgabe der Gemeinde“
freies Grundstück in Sieghartskirchen
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70 Hektar bereits gewidmetes Bauland sind in Sieghartskirchen nicht bebaut

Sieghartskirchen zählt mittlerweile 7.781 Einwohner, alleine im vergangenen Monat gab es 81 Neuanmeldungen. Damit wachsen aber auch die Herausforderungen für die Gemeinde. „Wir eröffnen im September die 15. Kindergartengruppe, wir haben schon Grund angekauft, um die Volksschule erweitern zu können, wir haben irrsinnigen Zulauf in der Musikschule. In Sieghartskirchen lässt es sich leben, und da muss man bedacht vorgehen, dass das weiter so ist“, sagt die Bürgermeisterin.

Gemeinden wollen Zugriff auf „Baulandreserven“

Auch wenn die Zugänge bezüglich der Grundstückspreise in den drei Gemeinden unterschiedlich sind, so ist man sich in einem einig: Man brauche Instrumente und Regeln, um vorhandenes, bereits gewidmetes Bauland in den Gemeinden verwerten zu können. In Sieghartskirchen sind 74 Hektar Bauland nicht bebaut, in Judenau-Baumgarten 30 Hektar, in Michelhausen über 20 Hektar.

„Wir arbeiten gemeinsam mit dem Land an einer Lösung, um den Menschen, die diese Flächen besitzen, die Möglichkeit zu geben, diese zu verwerten oder rückzuwidmen“, sagt der Bürgermeister von Judenau-Baumgarten, Hagl. Wichtig sei bei Neuwidmungen, dass diese Grundstücke „in absehbarer Zeit“ – zwischen zwei und fünf Jahren – bebaut werden müssen.

Der Bürgermeister von Michelhausen, Heinl, spricht das Thema Bodenverbrauch an. „Da muss es Regelungen, Wege, Hebel geben, um dieses Bauland verfügbar zu machen. Ansonsten werden wir immer vor der Situation stehen, immer weiter an den Ortsrändern hinaus zu widmen und so wertvollen Boden zu verbrauchen.“

Auch die Bürgermeisterin von Sieghartskirchen, Geiger, will vorhandenes Bauland verwerten, bevor neues gewidmet wird. „Wir haben all das nur geliehen. Wenn wir stark versiegeln, all das als Gewinnoptimierung betreiben, dann wird vielleicht unsere nächste Generation nicht so glücklich sein.“