Jenischer Martin Flicker
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„Menschen im Blickpunkt“

Jenische hoffen auf Zeitenwende

Die Jenischen sind ein fahrendes Volk, das jahrhundertelang diskriminiert und ausgestoßen wurde. Viele Angehörige verleugnen ihre Herkunft in der Öffentlichkeit, Martin Flicker aber steht zu seiner Kultur – und hofft auf eine Zeitenwende für sein Volk.

Martin Flicker ist Gärtner und Gartengestalter in Amaliendorf (Bezirk Gmünd). Er kommt aus einer der rund 15 Jenischen-Familien in dieser Region und wuchs bei seiner Urgroßmutter auf, die ihm das Wissen um die Kraft der Kräuter weitergab.

„Sie lehrte mich, welche Pflanzen man essen kann, wie man welche Pflanzen für medizinische Zwecke weiterverarbeiten kann. Dass man Tinkturen, Salben, Tees daraus machen oder Schnäpse ansetzen kann, um Krankheiten zu behandeln.“ Ein altes Wissen, das großteils verloren ging, weil sich die Menschen immer mehr auf die Schulmedizin verlassen hätten, sagt Martin Flicker, der sich auch als „Pflanzenflüsterer“ bezeichnet.

Martin Flicker im Gespräch mit Robert Salzer
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Martin Flicker (l.) im Gespräch mit Robert Salzer (ORF Niederösterreich): „Viele ältere Jenische verstecken sich in der Gesellschaft“

Arzt braucht er keinen, sagt er, das leisten die 5.000 Kräuter in seinem Garten. Als Beispiel nennt er den gelb blühenden Besenginster, dessen Blüten verarbeitet zur Behandlung von Herzkrankheiten verwendet werden. Ein Wissen, das ihn auch als Gartengestalter gefragt macht. Er spricht von einer Bewusstseinsänderung bei seinen Kunden: „Die Leute legen viel mehr Wert darauf als früher, dass sie Kräuter und Heilpflanzen im Garten haben, auch Plätze für Wildpflanzen schaffen. Das ist anders als früher.“

Sendungshinweis

„NÖ heute“, 29.5.2022

Offizielle Anerkennung steht bevor

Diese Bewusstseinsänderung gelte auch für die Jenischen als Volksgruppe, sagt er. Früher als Fahrende ausgestoßen aus der Gesellschaft, wurden in den vergangenen Wochen Schritte zur offiziellen Anerkennung als Volksgruppe durch das Parlament gesetzt.

„Die Kultur ist ja noch da, sie wird nur innerhalb der jeweiligen Gruppen gelebt, meistens in der Familie, wo es die Bräuche noch gibt und auch die jenische Sprache gesprochen wird. Deshalb hoffe ich so auf diese Anerkennung, damit das künftig auch ganz offen getan werden kann, ohne Repressalien fürchten zu müssen. Denn viele der älteren Jenischen verstecken sich in der Gesellschaft, weil sie Ausgrenzung fürchten. Ich hoffe da auf die Jungen, die diese Situation schon viel entspannter sehen.“

Martin Flicker im Interview

„Die Kultur ist nach wie vor aktiv, nur ist sie beschränkt auf die Gruppe“, sagt Martin Flicker, der offen zu seiner Herkunft steht

Sein offensiver Umgang mit seiner Kultur war auch die Grundlage für eine Reihe von Romanen des Gmünder Autors Thomas Sautner über die Kultur und Geschichte der Jenischen, etwa „Milchblume“ oder „Fuchserde“. Flicker: „Wir kennen uns schon, seit ich 19 Jahre alt war. Irgendwann hat er gesagt, er schreibt ein Buch, und ich habe gesagt ‚Ja, träum weiter‘. Dann hat er wirklich eines geschrieben und dabei ist es nicht geblieben.“ Diese Bücher könnten ein Mosaikstein für die Anerkennung der Jenischen als Volksgruppe in Österreich sein.