Zwei Burschen spielen auf der grünen Wiese Badminton, andere werfen sich im Kreis Bälle zu – seit drei Monaten sind Anna und Olena mit ihren Kindern im SOS-Kinderdorf in der Hinterbrühl (Bezirk Mödling). Das Haus „Miraculix“, in dem sie untergebracht sind, wurde seither zu einem zweiten und vor allem sicheren Zuhause.
„Wir können hier für unsere Kinder sorgen, sie haben alles, was sie brauchen. Aber am wichtigsten: Sie haben hier Sicherheit und eine normale Kindheit“, erzählt Anna, eine zweifache Mutter aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew. „Wir waren verzweifelt, verloren und mussten schnell unser Zuhause verlassen“, ergänzt Schwester Olena. An der Grenze mussten sie sich dann von ihren Ehemännern verabschieden.
„Außergewöhnliche Hilfe“
Umso erfreulicher sei die Welle der Hilfsbereitschaft gewesen, die sie in Österreich erfuhren. „Wir konnten uns nicht erträumen, in eine so freundliche Umgebung zu kommen, die Hilfe ist außergewöhnlich“ erzählt Anna, die in ihrer Heimat als Englisch-Lehrerin gearbeitet hatte. „Wir schätzen die Hilfe der Regierung und der Bevölkerung.“
Die Mitarbeiter des SOS-Kinderdorfes helfen den insgesamt acht Erwachsenen und sieben Kindern, die derzeit am Standort leben, bei der Grundversorgung, bei Behördengängen, wie etwa für die Anträge auf eine E-Card, oder der Schulsuche, Deutschkursen oder Arztkosten. Die Unterkunft ist für die Betroffenen kostenlos, doch darüber hinaus müssen sie finanziell auf eigenen Beinen stehen.
Anna und Olena kümmern sich derzeit neben ihrem Deutschkurs fast ausschließlich um ihre Kinder: „Das ist ein Vollzeitjob für uns, weil die Kinder in die Schule gehen und auch Home-Schooling haben, weil sie auch jene Aufgaben machen müssen, die sie von ihren ukrainischen Lehrern bekommen“, sagt Anna. Arbeitengehen sei so nicht möglich. „Es gibt derzeit keine Betreuung für meine Kinder.“
Bessere Rahmenbedingungen
Für die Familien brauche es deshalb bessere Rahmenbedingungen, etwa den Anspruch auf Familienbeihilfe, fordert der Leiter des SOS-Kinderdorf Hinterbrühl, Thomas Wick, „damit die Möglichkeit besteht, sich hier wirklich wieder auf die eigenen Beine zu stellen.“ Zudem müssten Kinderbetreuungsplätze erweitert werden, damit die Frauen auch erwerbstätig werden können. „Da wünschen wir uns, dass der politische Wille, der angekündigt wurde, auch umgesetzt wird.“
Niederösterreichweit sind derzeit etwa 12.000 Menschen aus der Ukraine – vor allem Frauen und Kinder – in der Grundversorgung. Die Zahl habe sich zuletzt stabilisiert, heißt es vom Land. Dazu kommen knapp 2.000 Asylwerber aus anderen Ländern. Angesichts dieser Zahlen stehe Niederösterreichs Asylsystem „vor dem Kollaps“, warnte am Donnerstag Asyllandesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) und verwies bei einer Pressekonferenz auf ein von ihm initiiertes Frühwarnsystem.
Waldhäusl kappt Übernahme
Derzeit würden pro Woche mehr als 2.000 Asylanträge in Österreich gestellt. Die Unterkünfte in Niederösterreich seien aber beinahe voll ausgelastet. Als Reaktion will Waldhäusl keine weiteren Asylwerber aus Bundesbetreuungsstellen übernehmen. „Auch wenn wir wollten, wir können nicht, weil wir keine Plätze haben, weil wir diejenigen wenigen Plätze, die es noch gibt, für Frauen und Kinder aus der Ukraine brauchen und weil wir es uns finanziell nicht mehr leisten können.“
Die Kosten der Grundversorgung seien heuer von budgetierten 30 auf 100 Millionen Euro gestiegen, betont der Landesrat, der zum einen nun die anderen Bundesländer gefordert sieht, Asylwerber aufzunehmen. Andererseits fordert Waldhäusl einmal mehr EU-Aufnahmezentren an den Außengrenzen, in denen das komplette Asylverfahren abgewickelt werden soll.
Sehnsucht nach der Heimat
Im Kinderdorf in der Hinterbrühl haben Anna und Olena hingegen ganz andere Pläne. Die Schwestern hoffen, schon bald wieder in ihre richtige Heimat zurückkehren zu können. „Das optimistische Szenario ist, dass die Kinder die Schule im September wieder in der Ukraine beginnen können, aber wir wissen noch nicht genau, was uns bis dahin erwarten wird.“
Denn vor zwei Wochen dachten die beiden noch, dass sie vielleicht schon im August zurückfahren. „Dann sind wieder zwei Raketen nur einen Kilometer von unserer Wohnung entfernt eingeschlagen, das sind einfach dramatische Erfahrungen und wir können derzeit wenig planen“, sagt Anna. Doch bis es so weit ist, wollen sie mit ihren Kindern die Zeit im SOS-Kinderdorf – soweit es geht – genießen.