Politische Gäste beim Europaforum vor Stift Göttweig
ORF/Nina Pöchhacker
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Politik

Stimme für die Ukraine und den Westbalkan

Die Ukraine kämpft seit vier Monaten um ihre Existenz. Der EU-Kandidatenstatus verschafft dem Land im Krieg gegen Russland wieder Aufwind, heißt es beim Europa-Forum Wachau. Auf die EU-Kandidaten am Westbalkan dürfe aber nicht vergessen werden.

„Die EU-Mitgliedsstaaten haben die Kraft, die Zukunft Europas zu gestalten – nicht die Russen, nicht die Chinesen, es ist die Europäische Union, die den Ton angibt“, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba beim Europa-Forum Wachau. Er war zur Diskussion live aus der Ukraine zugeschaltet. Sein Land brauche weiterhin Unterstützung – er forderte Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen – aber der Kandidatenstatus zeige europäische Einigkeit und demonstriere Stärke gegenüber der russischen Bedrohung.

Die Ukraine habe sich immer als Teil Europas gesehen, so Kuleba, und wollte nie das „große Zarenreich, von dem der Kreml träumt“. Der Krieg in seinem Land sei ein Krieg gegen den europäischen Lebensstil und die europäische Stabilität. Die Vergabe des Kandidatenstatus an die Ukraine habe bewiesen, dass die EU in Europa die Regeln aufstellt, sagte der Außenminister.

Mit dem Kandidatenstatus beginnt aber erst ein jahrelanger, jahrzehntelanger Prozess. Westbalkan-Länder mit Kandidatenstatus, wie Albanien (seit 2014) oder Nordmazedonien (seit 2005), klopfen schon jahrelang erfolglos an die Türen der Europäischen Union. Auch der EU-Gipfel hat hier bislang nichts Neues gebracht.

Ukrainischer Außenminister Kuleba
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„Diese Entscheidung dreht sich nicht nur um die Ukraine, sondern um Europa“, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, der aus der Ukraine zugeschalten war

Westbalkan ist „frustriert und enttäuscht“

Deswegen herrsche am Balken eine sehr negative Stimmung, berichtete der EU-Sonderbeauftragte für den Westbalkan, Miroslav Lajcak. „Es gibt so viele objektive Bedenken bei der Ukraine und Georgien, aber wir haben uns entschieden, hier das große Ganze zu beachten – und das fehlt beim Balkan. Die Reaktionen am Balkan zur Entscheidung in Brüssel sind sehr negativ, sie sind frustriert und enttäuscht.“

So hätte sich etwa Bosnien-Herzegowina große Hoffnungen gemacht, ebenfalls zu einem EU-Beitrittskandidat ernannt zu werden. Misha Glenny, Vorstand des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen und früher Korrespondent im Jugoslawien-Krieg, erinnerte an jene Konferenz in Thessaloniki, wo dem Westbalkan der EU-Beitritt versprochen wurde.

Warnungen vor Eskalation des Ukraine-Kriegs

Er bezeichnete die Situation als „großes, großes Problem“: „Die Balkanstaaten warten und warten und bekommen nichts. Wir sollten ihnen etwas geben, damit sie sich integriert fühlen, ansonsten kommen Russland und China und üben Einfluss auf ihre Wirtschaft und Politik aus“, so Glenny. Er mache sich mehr Sorgen um die Langzeitfolgen der chinesischen Investitionen am Balkan – China würde etwa das Straßennetz finanzieren – als um den russischen Einfluss in der Region.

Glenny kritisierte, dass Wladimir Putin Hunger und Energie als Kriegswaffen einsetze und mit nuklearen Waffen drohe. In diesem Zusammenhang warnte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) davor, dass sich Russlands Pläne nicht nur auf die Ukraine, sondern auch auf andere Balkanländer erstrecken könnten. „Der brutale Angriff Russlands ist ein Angriff auf unsere europäische Lebensweise. Wir müssen aufpassen: Auf der ganzen Welt ist die Konfliktbereitschaft gestiegen.“

Der Ukraine müsse man aber jetzt beim Wiederaufbau helfen und nicht auf Kriegsende warten, sagte ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz, der die dramatischen Zustände in der Ukraine schilderte. „Die Ukraine braucht jetzt einen Marshallplan. Die Unternehmen leiden unter Kapitalknappheit, weil die Infrastruktur zerstört ist. Für gesunde Betriebe brauche ich einen Marshallplan, der aber westlich geführt werden muss, weil die Korruption dort dürfen wir nicht vergessen.“

Die Zeitenwende und Europas Rolle danach

Gleichzeitig müsse die Europäische Union diesen Umbruch nutzen, sagte etwa Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP). Der Kandidatenstatus sei nur der Beginn, denn „jetzt gibt es viel mehr zu tun. Jetzt müssen wir diese Chancen ergreifen, um es zu einem historischen Moment zu machen.“ Dafür müsse die EU aber ihre geopolitischen Interessen voranstellen und dem Westbalkan eine glaubwürdige Perspektive bieten.

„Die Karten werden neu gemischt“, so Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), die von einer Zeitenwende sprach. „Die EU muss sich dann besser behaupten gegen andere Kontinente, damit Europa mehr Gewicht in der Welt einnimmt. Wir dürfen nicht der Spielball der Weltpolitik sein, sondern Gestalter des Weltgeschehens“. Die Denkweise, dass starke, wirtschaftliche Verbindungen mit Ländern Kriege verhindern, habe sich als falsch herausgestellt, so die Landeshauptfrau.

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Kaiserstiege im Stift Göttweig, ZuschauerInnen beim Europaforum
Josef Bollwein
Die Diskussionsrunden finden im Stift auf der Kaiserstiege statt, Zuhörerinnen und Zuhörer werden rundherum platziert
Martin Klus, Johanna Mikl-Leitner, Karoline Edtstadler und Martin Eichtinger beim Europaforum
NLK Pfeiffer
Martin Klus, Staatssekretär im slowakischen Außenministerium, Landeshauptfrau Mikl-Leitner, Europaministerin Edtstadler und Europa-Forum-Präsident sowie Landesrat Martin Eichtinger (ÖVP) (v.l.)
Politische Gäste beim Europaforum
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Politikerinnen und Politiker aus dem In- und Ausland, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Journalisten sprachen beim zweiten Tag des Forums
Politische Gäste beim Europaforum
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Karas forderte Ende des Einstimmigkeitsprinzips

Um schneller auf die vielen Herausforderungen reagieren zu können, forderte Othmar Karas (ÖVP), Vizepräsident des europäischen Parlaments, dass Entscheidungen in der EU nicht mehr einstimmig, sondern mit Mehrheiten getroffen werden sollen. „Weil die Einstimmigkeit eher überall die Erpresser stärker macht, als die Demokraten stärkt.“

Die Krisen würden alle Menschen weltweit gleichzeitig treffen, Karas nannte u.a. Versorgungs- und Nahrungssicherheit, die Klimakrise und die Pandemie. Es brauche mehr Zusammenarbeit in Europa, um auf darauf Antworten geben zu können. Karas forderte dafür einen Konvent für die Zukunft Europas.

Generalthema: „Die Zukunft Europas absichern“

Am Eröffnungstag am Uni Campus in Krems war die Sicherheit in vielen Bereichen – Versorgung, Ernährung, innere Sicherheit, Pandemie, Energiewende – Thema. Dabei wurde die Kooperation innerhalb der Europäischen Union als wichtigstes Instrument für die Zukunft gesehen. Dass sich die EU seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs verändert habe und nun schneller und geeinter entscheide, wurde ebenfalls betont.

Nach den Diskussionen um die Bedeutung des Kandidatenstatus für die Ukraine und Moldau sowie die Aufrufe, sich um den Westbalkan stärker zu bemühen, geht es am Samstag noch um die Rolle der Regionen in Europa. Erwartet werden Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und sein albanischer Amtskollege Edi Rama, dessen Land seit acht Jahren EU-Beitrittskandidat ist. Bislang hatte Bulgarien den Beitrittsprozess für Nordmazedonien und Albanien blockiert – diese Blockade ist erst am Freitag gefallen.