Edi Rama
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Politik

Europa-Forum: EU-Beitritte beschleunigen

Das Europa-Forum Wachau beschäftigt sich am dritten Tag mit dem Warten der Westbalkan-Länder auf den EU-Beitritt. Gefordert wird ein schnellerer Aufnahmeprozess nach dem Kandidatenstatus. Analysiert wird auch die Zusammenarbeit der Regionen.

Die Ukraine solle sich wegen des Kandidatenstatus keine Illusionen machen, warnte Albaniens Ministerpräsident Edi Rama (Bild oben) in seiner Rede im Stift Göttweig (Bezirk Krems). „Sie haben vielleicht Antidepressiva bekommen, aber sie müssen sich der Realität stellen und sich Nordmazedonien ansehen – 17 Jahre EU-Kandidat. Albanien ist es seit acht Jahren. Ich hoffe, die Ukrainer müssen keine 170 Jahre warten“, sagte Rama.

Albanien sei froh, dass die Ukraine den Kandidatenstatus bekommen habe. „Aber der Kandidatenstatus wurde genau dafür erfunden: Dass du dich zwar wie ein Kandidat fühlst, aber niemand spricht mit dir. Eigentlich kann man kein Beitrittskandidat sein, wenn nicht mit dir gesprochen wird“, kritisierte der albanische Regierungschef beim Europa-Forum Wachau.

Ideen für die Entwicklung Europas aus der Wachau

Dieses setzt sich seit 26 Jahren für den Dialog zwischen Ländern ein und versteht sich als Denkwerkstatt zur Zukunft Europas. In diesem Jahr fand es gleichzeitig zum EU-Gipfel in Brüssel statt, bei dem der Ukraine der Kandidatenstatus zugesprochen wurde. Die bestimmenden Themen waren demnach der Ukraine-Krieg und die Erweiterung der Europäischen Union. Beim Westbalkan geht hier seit Jahrzehnten nichts weiter. Montenegro (seit 2012), Albanien (seit 2014) und Nordmazedonien (seit 2005) harren als Beitrittskandidaten im Wartezimmer der EU aus.

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Gruppenbild mit Kanzler Karl Nehammer und Edi Rama
Josef Bollwein
Politische Gäste am dritten Tag (v.l.): Europa-Forum-Präsident Martin Eichtinger (ÖVP), Landeshauptfrau Mikl-Leitner, Kanzler Nehammer, Albaniens Ministerpräsident Edi Rama, Christian Debève, Mitglied des Regionalrates der Region Grand-Est, und Juraj Droba, Präsident der selbstverwalteten Region Bratislava
Karl Nehammer
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Wirtschaft, Zusammenarbeit gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität sowie die Kultur nannte Bundeskanzler Karl Nehammer als Gründe, weshalb sich Österreich für den Westbalkan starkmache
Johanna Mikl-Leitner
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„Ohne unsere Partner am Westbalkan ist die EU nicht komplett", so Landeshauptfrau Mikl-Leitner

Dabei bescheinigte die EU-Kommission Albanien bereits 2018, alle nötigen Reformen durchgesetzt zu haben. Doch die Beitrittsgespräche sollen gleichzeitig mit jenen für Nordmazedonien eröffnet werden – und dagegen wehrte sich bislang Bulgarien. „Frustrierend und deprimierend“ sei das Treffen der Westbalkan-Länder mit der EU am Donnerstag gewesen, so Edi Rama. Er habe die „Machtlosigkeit der anderen 26 Regierungschefs gespürt, weil Bulgarien die zwei Länder Nordmazedonien und Albanien als Geiseln hält – inmitten eines heißen Kriegs an den Grenzen Europas“, so Rama.

Österreich als Stimme für die Länder am Westbalkan

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) machte sich im Vorfeld des EU-Gipfels für die Länder des Westbalkans stark. Es wäre aufgrund der wirtschaftlichen und kulturellen Nähe absurd, wenn er das nicht täte, so Nehammer im Stift Göttweig. Österreich sei einer der größten Investoren am Balkan. „Wir habe aber viele Konkurrenten. China, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Türkei, die etwa den Flughafen im Kosovo finanziert hat. Nicht nur aus reiner Nächstenliebe unterstützen wir den Balkan, sondern auch, um unsere geostrategischen Interessen zu verfolgen.“

26. Europaforum in der Wachau

Im Stift Göttweig in Niederösterreich tagt das 26. Europa-Forum Wachau. Traditionell wird hier mit Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur über die Zukunft Europas diskutiert. Heuer steht das Treffen ganz im Zeichen des EU-Beitritts-Kandidaten-Status für die Ukraine.

Österreichs Kultur sei geprägt von der Balkanregion, so der Bundeskanzler. „Der Kulturkreis verbindet uns, darauf können wir stolz sein“, betonte Nehammer das Verbindende, ließ aber nicht aus, dass es noch einige Fragen in Albanien zu klären gebe. Als problematisch gelten die Korruption und die organisierte Kriminalität.

„Kein Zaudern“ nach dem Kandidatenstatus

Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sagte in Richtung des albanischen Regierungschefs: „Unsere Position, dass Ihr Land Teil der EU werden soll, hat sich auch in diesen aufgewühlten Zeiten nicht verändert.“ Bei der Aufnahme neuer Mitglieder dürfe es kein Zaudern mehr geben, so Mikl-Leitner. Sobald die Länder die Vorgaben bei Rechtsstaatlichkeit und Wirtschaft erfüllen, müsse mit den Gesprächen begonnen werden.

Nehammer nannte explizit Bosnien-Herzegowina als Land, dem man eine europäische Perspektive bieten müsse. „Wir sind ihnen ebenso nahe, weil viele Bosniaken, Serben und Kroaten in Österreich leben. Wir haben Verpflichtung übernommen für diese Menschen“, sagte Nehammer, wobei Bosnien-Herzegowina mit der Annäherung an die EU nicht so weit sei wie Albanien oder Nordmazedonien.

Jan Grolich, Präsident der Region Südmähren
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Jan Grolich, Kreishauptmann des Kreises Südmähren in der Tschechischen Republik, erzählte von der Zusammenarbeit Niederösterreichs mit Südmähren, als dort ein Tornado wütete

Das eigentliche Samstagsthema – die Rolle der Regionen in Europa – geriet angesichts der Debatte um die EU-Beitritte der Westbalkan-Länder in den Hintergrund. Analysiert wurde etwa die niederösterreichisch-tschechische Zusammenarbeit nach dem Tornado in Südmähren vor genau einem Jahr. Der Kreishauptmann der Region Südmähren, Jan Grolich, sprach von der „besten Kooperation, durch die Leben gerettet wurden“. Niederösterreich schickte in dieser Nacht Hubschrauber und Sanitäter in den Süden Tschechiens – mehr dazu in Tornado: Tschechien ehrt Rettungshelfer (noe.ORF.at; 14.9.2021).

Grolich fügte aber hinzu, dass die Kommunikation bei anderen Themen – etwa der Atomkraft – problematisch sei. Tschechien betreibt im Süden zwei Atomkraftwerke nahe der niederösterreichischen Grenze. Diese Anlagen werden von österreichischen Politikern immer wieder scharf kritisiert. Grolich hofft, dass sich Österreichs Haltung hier wegen der Diskussion um die Energieunabhängigkeit von Russland ändere. So nah man sich bei der Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich und der Katastrophenhilfe ist, so weit entfernt ist man bei der Frage der Atomkraft.

Nichtsdestotrotz dürfe man nie das Wesentliche aus den Augen verlieren: die Nähe und was man dank dieser erreichen könne, sagte Juraj Droba, der Präsident der Region Bratislava. „Es hat nur ein Telefonat mit Martin Eichtinger (Landesrat für internationale Beziehungen; Anm) gebraucht und wir hatten drei Lkw mit Hilfsgütern für die Menschen an der slowakisch-ukrainischen Grenze – ohne Bürokratie, ohne Papierkram.“ Die Staatsgrenzen seien nicht mehr so wichtig, so Droba, sondern eher die Tatsache, „dass wir Nachbarn und Freunde geworden sind“. Eine Beziehung und Kooperation, die sich auch Westbalkan-Länder wie Albanien wünschen.