Frau steht vor einem Fenster
Getty Images/EyeEm/John Encarnado
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Gesundheit

Massive Versorgungsmängel in Kinderpsychiatrie

Auf dramatische Versorgungsmängel machen Kinder- und Jugendpsychiater aufmerksam. Die Zahl der Kassenstellen im niedergelassenen Bereich sei viel zu gering, auch in den Spitälern könne man dem Ansturm nicht gerecht werden.

Österreichweit gibt es 37,5 Kassenstellen für Kinder- und Jugendpsychiatrie, in Niederösterreich sind es acht. Laut Weltgesundheitsorganisation wären etwa dreimal so viele notwendig: 112 in Österreich, 21 in Niederösterreich.

Auch im stationären Bereich steht Österreich verhältnismäßig nicht gut da. Stationär stehen in Österreich 401 Plätze zur Verfügung, in Niederösterreich 30. Vergleich man die Situation mit Deutschland, wo die Situation besser ist, müssten es in Österreich zumindest 700 Betten sein, erklärt Kathrin Sevecke, die Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Sie warnte, gemeinsam mit anderen Kinder- und Jugendpsychiatern, am Montag in einer Online-Pressekonferenz davor, dass aufgeschobene Behandlungen zu immer mehr Fällen von chronisch Kranken führen würden. Wegen der CoV-Pandemie sei mittlerweile jeder dritte Jugendliche psychisch belastet. Die Wartezeiten auf Behandlungen sind allerdings lange – und das hat Folgen.

Studiogespräch mit Judith Noske

Im „Niederösterreich heute“-Studio ist zum Thema Versorgungsmangel in Kinderpsychiatrien die Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Landesklinikum Baden-Mödling, Primaria Dr. Judith Noske.

Lange Wartelisten für Therapieplätze

Deutlich macht das etwa der Fall der 15-jährigen Julia, den Judith Noske, Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Landesklinikums Baden-Mödling, beschreibt. Sie musste wegen Bettenmangels nach einem Suizidversuch bereits nach zwei Tagen aus dem Spital entlassen werden.

Die Wartezeit auf einen Termin bei einem Facharzt im niedergelassenen Bereich betrug in ihrem Fall drei Monate, die auf einen Kassen-Therapieplatz mindestens sechs Monate. Nach fünf Monaten wurde Julia schließlich im Spital aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war sie allerdings bereits stark abgemagert und hatte begonnen sich selbst zu verletzen.

Jeder Zweite zeigt depressive Symptome

Schon vor Ausbruch der Pandemie fehlten in Österreich 50 Prozent der benötigen Krankenhausbetten, wurde bei der Pressekonferenz am Montag betont. Nicht nur durch die Pandemie, sondern auch durch den Ukraine-Krieg oder durch drohende Armut, seien nun weitere Belastungen dazu gekommen.

Im Februar 2021 wiesen bereits mehr als die Hälfte, nämlich 55 Prozent der Jugendlichen, depressive Symptome auf. 47 Prozent litten unter Angstsymptomen, 22,8 Prozent unter Schlaflosigkeit und bei 59,5 Prozent offenbarte sich ein gestörtes Essverhalten.

Grafik: Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen
60 % gestörtes Essverhalten
55% depressive Symptome
47% Angstsymptome
23% Schlaflosigkeit
Quelle:  ÖGKJP
ORF
Eine Studie aus dem Jahr 2021 zeigt die häufigsten psychischen Probleme von Kindern- und Jugendlichen

„Die Anzahl an Akutbegutachtungen und stationären Krisenaufenthalten hat sich teilweise mehr als verdoppelt“, sagt Judith Noske. „Gleichzeitig nimmt auch die Bedrohlichkeit von Krisen mit einer akuten Selbst- und Fremdgefährdung zu.“ Krisen seien mittlerweile deutlich heftiger, in den Spitälern müsse man triagieren. „Die durchschnittliche Dauer für Akutaufnahmen sind ein bis drei Tage, wir können kaum noch längerfristige therapeutische Aufenthalte anbieten“, so Noske.

Gefordert wird daher doppelt so viel Personal in allen Berufsgruppen der Kinderpsychiatrie (Ärztinnen, Pflegepersonal, Psychologinnen, Therapeutinnen, Pädagogen, Sozialarbeiter) sowie eine flächendeckende Psychotherapie auf Krankenschein. Weiters würde die Einrichtung eines Koordinators für die Kinder- und Jugendpsychiatrie auf Ministeriumsebene dabei helfen, die zuständigen Stellen zu koordinieren.