Wirtschaft

AMS: Kurzarbeit wäre „wieder Mittel der Wahl“

Noch ist die Arbeitslosigkeit niedrig, doch Risikofaktoren bedrohen diese Situation. Im Fall einer Krise wäre Kurzarbeit jedenfalls wieder Mittel der Wahl, sagt AMS-Niederösterreich-Chef Sven Hergovich. Große Änderungen am Arbeitsmarkt erwartet er ab 2027.

Etwa 35.700 Arbeitslose wurden im Juni 2022 in Niederösterreich verzeichnet – das entspricht nicht nur einem Rückgang im Vergleich zum Vorjahr, sondern auch im Vergleich zur Situation vor der Coronavirus-Pandemie. Die Arbeitslosenquote ist mit 5,1 Prozent so niedrig wie seit 2008 nicht mehr. Nicht alle profitieren allerdings gleichermaßen – während die Zahl der Langzeitarbeitslosen spürbar zurückgegangen ist, ist die Quote bei jugendlichen Arbeitslosen seit dem Vorjahr kaum gesunken.

Zur gleichen Zeit suchen viele Betriebe händeringend neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Knapp 22.000 offene Stellen sind beim AMS gemeldet, das Lehrstellenangebot ist gut doppelt so hoch wie die Zahl der Lehrstellensuchenden. Allerdings werden dem AMS nur etwa zwei Drittel der verfügbaren Lehrstellen gemeldet, der Mangel an Nachwuchs dürfte also noch dramatischer sein. Über diese Entwicklungen und die längerfristige Prognose hat Werner Fetz im „NÖ heute“-Interview mit AMS-Niederösterreich-Geschäftsführer Sven Hergovich gesprochen.

Fotostrecke mit 2 Bildern

Grafik der Arbeitslosenzahlen in Niederösterreich
ORF
Gegenüber dem Vorjahr ist die Arbeitslosigkeit in Niederösterreich um knapp ein Viertel zurückgegangen
Grafik der Arbeitslosenzahlen in Niederösterreich
ORF
Gegenüber dem Vorkrisenniveau 2019 ist es immerhin ein Rückgang um ein Fünftel

noe.ORF.at: Pandemie, Ukraine-Krieg, Teuerungen, Energieversorgung – es gibt all diese turbulenten Wirtschaftsszenarien, aber gleichzeitig optimistisch stimmende Arbeitslosenzahlen. War das so zu erwarten?

Sven Hergovich: Im Moment haben wir tatsächlich noch eine sehr gute Situation am niederösterreichischen Arbeitsmarkt. Das hat damit zu tun, dass jene zwei Drittel der Beschäftigten, die auch während der Pandemie nicht in Kurzarbeit waren, Geld sparen konnten. Das hätten sie sonst anderweitig ausgegeben, zum Beispiel für einen Urlaub am Mittelmeer. Das wird jetzt zum Beispiel in Sanierungen von Häusern, in Zubauten oder eben in zusätzliche Konsumnachfrage investiert. Deshalb haben wir im Moment so viele Beschäftigte in Niederösterreich wie nie zuvor.

noe.ORF.at: Gleichzeitig steigen aber die Kosten und die Leute fragen sich, ob wir im Herbst noch Gas haben. Muss man fürchten, dass sich diese guten Zahlen mittelfristig verschlechtern?

Hergovich: Ich rechne damit, dass die Arbeitslosigkeit in Niederösterreich während des gesamten Sommers weiterhin sinken wird. Wir gehen aber auch davon aus, dass wir im Winter saisonbedingt wieder einen Anstieg erleben werden. Sie haben es erwähnt, wir haben mehrere Risikofaktoren. Das Eine ist die Ukrainekrise, das Zweite die Teuerung. Das Dritte sind mögliche weitere Lockdowns. Wir müssen uns tatsächlich auf alle Szenarien vorbereiten.

noe.ORF.at: Rechnen Sie mit neuerlichen Lockdowns? Welche Szenarien sind andererseits dafür vorgesehen, falls zu wenig Energie da ist und etwa Hochenergie-Industriezweige stillgelegt werden?

Hergovich: Sollte es solche Einschränkungen geben, dann werden wir wieder auf das bewährte Instrument der Kurzarbeit setzen. Ein Drittel aller Arbeitsplätze konnte am Höhepunkt der CoV-Krise in Niederösterreich durch die Kurzarbeit abgesichert werden. Das wird wieder das Mittel der Wahl in einer allfälligen neuen Krise sein.

noe.ORF.at: Für beide Varianten, Energie und Pandemie?

Hergovich: Für beide Varianten, ja.

Sven Hergovich im Studiogespräch
ORF
Sven Hergovich (r.) im „NÖ heute“-Interview mit Werner Fetz

noe.ORF.at: In vielen Bereichen zeichnet sich schon ab, dass besonders geburtenstarke Jahrgänge das Pensionsalter erreichen. Glauben Sie, dass wir generell in eine Phase des Arbeitskräftemangels kommen?

Hergovich: Das hängt auch an der konjunkturellen Entwicklung, aber wenn die Konjunktur weiterhin so gut läuft, dann wird das tatsächlich der Fall sein. Dann werden wir sehen, dass dieser Arbeitskräftemangel weiter zunimmt. Insbesondere ab 2027 gehen wir noch einmal von einer spürbaren Verschärfung der Situation aus – wobei ich dazusage, dass die Situation für viele Betroffene auch etwas Erfreuliches ist. Immerhin arbeiten in Niederösterreich jetzt 22.000 Personen mehr als noch vor Beginn der CoV-Krise.

noe.ORF.at: Im Bereich der Gastronomie wird händeringend Personal gesucht. Warum gerade dort?

Hergovich: Das hat damit zu tun, dass viel mehr Menschen arbeiten. Wenn ich gefragt werde, wo all die Arbeitskräfte hingekommen sind, antworte ich, dass der Großteil von ihnen tatsächlich arbeitet. 22.000 Beschäftigte mehr als vor Beginn der CoV-Krise ist ein beachtlicher Wert, der erklärt, wieso wir im Moment eine so niedrige Arbeitslosigkeit haben. Wir sind nicht nur deutlich unter Vorkrisenniveau, sondern haben im Mostviertel und Waldviertel sogar Vollbeschäftigung.

noe.ORF.at: Wie stark können die Langzeitarbeitslosen von dieser enormen Nachfrage profitieren?

Hergovich: Langzeitarbeitslose haben sehr stark von dieser guten Situation profitiert. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist nicht nur deutlich niedriger als vor der Krise, sondern konnte gegenüber dem Vorjahr mehr als halbiert werden. Darauf sind wir sehr stolz. Die Langzeitarbeitslosigkeit sinkt im Moment nirgendwo schneller als in Niederösterreich.

noe.ORF.at: Danke für Ihre Einschätzungen.