wirtschaft

Experte: Zenit bei Firmenpleiten kommt erst

In keinem anderen Bundesland ist die Zahl der Firmeninsolvenzen im ersten Halbjahr so stark gestiegen wie in Niederösterreich. Unternehmensberater Gerald Zmuegg ortet Fehler bei CoV-Hilfen und prognostiziert einen weiteren Anstieg bei Insolvenzen.

noe.ORF.at: Die Milliardenhilfen in der Pandemie dürften einigen Unternehmen geholfen haben – immerhin war die Zahl der Insolvenzen in den letzten beiden Jahren niedrig. Trotzdem sind Sie einer, der immer wieder Fehler bei diesen Hilfen kritisiert. Welche Fehler sind denn passiert?

Gerald Zmuegg: Man sieht jetzt, dass die Hilfen teilweise nicht die Wirkung erzielt haben, Insolvenzen zu verhindern, sondern das Ganze nur verschoben haben. Am besten erkennbar ist das anhand der Corona-Überbrückungskredite. Zum 30. Juni mussten die Unternehmen erstmalig Raten bezahlen und 80 Prozent dieser Unternehmen konnten das nicht. Sie haben das jetzt als Minus bei der Bank stehen. Das betrifft in Niederösterreich rund 3.300 Unternehmen. Und das ist einer jener Brandbeschleuniger, die wir auch in weiterer Folge heuer noch für die Insolvenz-Statistik sehen.

Gerald Zmuegg
ORF

noe.ORF.at: 189 Prozent Steigerung bei den Firmeninsolvenzen klingen enorm. Wie beunruhigend ist das aus gesamtwirtschaftlicher Sicht?

Zmuegg: 2.500 Unternehmen sind per 30. Juni in Konkurs gegangen. Das ist sehr beunruhigend, weil – wie gesagt – bei einem Großteil Belastungen aus Krediten oder Steuerstundungen nicht bezahlt werden können. Die Dynamik der Inflation ist hier noch überhaupt nicht berücksichtigt. Damit wird sich dieser Trend fortsetzen, es wird zu weiteren Steigerungen kommen – zumindest im Bereich der Klein- und Mittelbetriebe.

noe.ORF.at: Sie haben gesagt, die Inflation ist noch nicht berücksichtigt. Das heißt, der Anstieg geht hauptsächlich auf die Corona-Hilfen zurück, aber noch nicht auf die massive Inflation?

Zmuegg: Es ist momentan ein Mischmasch. Ein bisschen ist es die Inflation, ein bisschen sind es die Corona-Hilfen. Zum Teil auch, weil Corona-Zahlungen noch nicht oder zu spät ausbezahlt worden sind. Das Gros, nämlich insbesondere die Überbrückungskredite, die Steuerstundungen und die Liquiditäts-Lücke, die durch Umsatzeinbrüche entsteht, sehen wir erst im dritten Quartal dieses Jahres. Da wird es dann noch einmal zu einer massiven Steigerung kommen.

noe.ORF.at: Das heißt, wir haben den Zenit noch nicht erreicht. Welche Steigerung steht uns auch noch bevor?

Zmuegg: In Niederösterreich sind per 30. Juni rund 500 Unternehmen in Konkurs gegangen, alleine den Überbrückungskredit betreffen 3.300 Unternehmen. Unsere Auswertungen zeigen, dass hiervon rund 80 Prozent diese Tilgungen nicht leisten können. Das heißt, das alleine wären rund 3.000 Unternehmen. Sie werden im nächsten halben Jahr bis Jahr schrittweise in Insolvenz gehen, wenn hier keine Lösung gefunden wird. Dabei ist die Inflation noch nicht berücksichtigt. Hier ist es entscheidend, inwieweit Liquidität, insbesondere Betriebsmittelrahmen von Banken zur Verfügung stehen, um Preissteigerungen kurzfristig zu finanzieren. Wenn das nicht der Fall ist – und darauf deutet momentan vieles hin –, wird es ein sehr spannendes und sehr zermürbendes drittes, viertes Quartal für Klein- und Mittelbetriebe in Österreich und auch in Niederösterreich werden.

Gerald Zmuegg
ORF
Unternehmensberater Zmuegg gibt sich im „NÖ heute“-Gespräch mit Katharina Sunk zuversichtlich, dass die Politik Lösungen gegen steigende Insolvenzen ausarbeitet

noe.ORF.at: Was muss man tun, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten?

Zmuegg: Wir sind positiv gestimmt. Die Politik erkennt durchaus, dass frische Liquidität momentan das Zauberwort ist, um Krisen zwischenzufinanzieren. Es wird notwendig sein, den Unternehmen Liquidität zur Verfügung zu stellen, neben längerfristigen, niedrig verzinsten Bankenfinanzierungen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Politik das bereits erkannt hat und entsprechende Instrumente ausarbeitet.

Das Gespräch führte Katharina Sunk.