Getreidefeld mit Blumenwiese in der Mitte
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Umwelt & Klima

Kritik an Getreideanbau auf Brachflächen

Landwirtschaftlich ungenützte Brachflächen können künftig für den Getreideanbau verwendet werden. Diesem Vorhaben hat Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) zugestimmt. Heftige Kritik daran kommt vom Österreichischen Biodiversitätsrat.

Die Idee, ungenützte Brachflächen für den Anbau von Getreide freizugeben, ist nicht neu. Bereits im Mai unterbreitete die EU-Kommission ihren Mitgliedsstaaten einen entsprechenden Vorschlag dafür. Jetzt soll die Brachflächennutzung für die landwirtschaftliche Produktion bis Ende 2023 ausgedehnt werden. Österreich hat dem Plan zugestimmt, bestätigte das zuständige Ministerium Ende Juli.

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) erklärte seine Zustimmung mit einem "wichtigen Beitrag zur globalen Ernährungsversorgung. Jede zusätzliche Tonne Getreide und Lebensmittel ist entscheidend“. Die nationale Umsetzung dieser Ausnahmeregelung werde nun vorbereitet.

Biodiversitätsrat befürchtet „Eigentor“

Deutliche Kritik an den Plänen äußert nun der Österreichische Biodiversitätsrat. Auf Brachflächen Getreide und Mais anzubauen, würde mehr Schaden als Nutzen bringen, so die Argumentation.

Ökologe Franz Essl von der Universität Wien und Leitungsmitglied des Diversitätsrates bezeichnete die Entscheidung des Landwirtschaftsministers als „Eigentor“: „Sie zerstört den Lebensraum der Tiere und entzieht sich dabei selbst die wichtigen Bestäuber für Obst- und Gemüsearten. Die Brachenfreigabe ist daher eine Bedrohung für die langfristige Ernährungssicherheit – und sie verschärft dabei auch die Biodiversitätskrise.“

Blumen im Windschutzgürtel Jägerkreuz nahe eines Feldes
Ungenützte Brachflächen sind Lebensraum vieler Tier- und Pflanzenarten

Rückendeckung erhält Essl dabei von seinem Kollegen Thomas Wrbka, Experte für Botanik und Landschaftsökologie an der Universität Wien und zudem Vorstand beim niederösterreichischen Naturschutzbund, wo er für Naturschutzforschung zuständig ist. Er erinnert daran, dass es in Österreich bis vor kurzem noch unterstützt wurde, Flächen stillzulegen und als Brachen zu nutzen.

"Brachen sind Lebensräume mit hoher Biodiversität in Agrarlandschaften, die beispielsweise Vögeln, Insekten oder Wildbienen Schutz bieten.“ Die Freigabe von Brachflächen für die Landwirtschaft würde dem Ziel entgegenwirken, einen „sorgfältigen und maßvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen“ zu finden, der aber Kernelement von Strategien sei, „die der Überwindung der globalen Herausforderungen dienen soll – allen voran Biodiversitätsverlust und Klimawandel“.

Nutzen der Ausnahmeregelung umstritten

Den Nachteilen einer Nutzung von Brachflächen würden den Experten des Österreichischen Biodiversitätsrat wenig Vorteile gegenüberstehen. Die Argumentation von EU-Kommission und Landwirtschaftsministerium, dass es jede Tonne Getreide dringend brauche, teilen sie nicht – zumindest nicht in der Schlussfolgerung. Die Brachflächen seien aufgrund ihrer Lage schwer zu bewirtschaften und daher bisher auch als Brachflächen auserkoren gewesen.

Zudem berufen sich Essl und Wrbka auf eine Schätzung der AMA, der zufolge der Mehrertrag überschaubar ausfallen würde. Sollte es gelingen, zwei Drittel der Brachfläche bald tatsächlich zu bewirtschaften, würde Österreichs Getreideanbaufläche inklusive Mais um lediglich 0,81 Prozent wachsen, rechnet der Biodiversitätsrat vor. „Der Beitrag zur Ernährungssicherheit wäre daher sehr gering“, so deren Resümee.

Leerstehender Supermarkt Straßwalchen
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In Österreich werden täglich Flächen in der Größe von 16 Fußballfeldern versiegelt. Expertinnen und Experten fordern, alte Bestände zu nützen statt neu zu bauen.

Gegenvorschlag: Weniger Anbau von Tierfutter

Seiner Kritik an der Ausnahmeregel hängt der Österreichische Biodiversitätsrat zwei alternative Vorschläge an, die zur Ernährungssicherheit beitragen könnten. Zum einen fordern die Experten, einen größeren Teil der landwirtschaftlich bereits genutzten Fläche für menschliche Ernährungszwecke vorzusehen. „Laut einer Einschätzung der AMA fließen fast 80 Prozent der heimischen Getreideernte in Tiernahrung und Industrie“, heißt es. Somit diene nur jedes fünfte bestellte Feld der Ernährung der Bevölkerung. „Hier kann eine rasche Umlenkung von Nahrungsströmen erfolgen“, so Essl und Wrbka.

Zum zweiten schließen sie sich der langen Reihe jener an, die einen bewussteren Umgang mit Bodenversiegelung fordern. Österreich verliere jährlich 5.500 Hektar an produktiven Böden durch Bautätigkeit. „Eine Einschränkung der Verbauung und Zersiedelung wird für einen deutlich größeren Beitrag zur Ernährungssicherheit sorgen“ als die Nutzung von Brachflächen, sind die Experten überzeugt.