Pittsburgh Symphony Orchestra
Michael Sahaida
Michael Sahaida
Kultur

Grafenegg Festival: Gastspiel aus Pittsburgh

Am kommenden Wochenende gastiert das Pittsburgh Symphony Orchestra unter seinem Musikdirektor Manfred Honeck beim Grafenegg Festival. Als Solisten treten mit dem US-amerikanischen Orchester Hélène Grimaud und Gautier Capuçon im Wolkenturm auf.

Am Samstag tritt das Pittsburgh Symphony Orchestra (Bild oben) mit der international gefeierten Pianistin Helene Grimaud auf, die vor der Pause Maurice Ravels 1932 uraufgeführtes Konzert für Klavier und Orchester G-Dur spielt. „Deutlich spürbar sind in dem Werk die verschiedensten Einflüsse aus ganz aktuellen musikalischen Strömungen, darunter nicht zuletzt des Jazz, mit dem Ravel bereits in Frankreich in Berührung kam. Vor allem aber wirkten sich jene Eindrücke aus, die er während einer groß angelegten Amerika-Tournee 1928 sammelte. Nicht weniger bedeutsam ist seine (auf Gegenseitigkeit beruhende) Wertschätzung für die Musik George Gershwins, dessen eigenes Klavierkonzert 1925 entstanden war“, schreibt Christian Heindl im Programmheft über das Klavierkonzert.

Helene Grimaud
Mat Hennek
Helene Grimaud

1931 hatte Maurice Ravel an zwei Klavierkonzerten gleichzeitig gearbeitet. Neun Tage, bevor jenes in G-Dur zum ersten Mal aufgeführt wurde, gelangte im Großen Wiener Musikvereinssaal das von Ravel auf Wunsch des prominenten einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein komponierte Klavierkonzert für die linke Hand in D-Dur zur Uraufführung.

Erwin Schulhoff: Im NS-Internierungslager gestorben

Das Konzertprogramm in Grafenegg beginnt jedoch mit Erwin Schulhoffs Fünf Stücken für Streichquartett. Der 1894 in eine deutsch-jüdische Kaumannsfamilie in Prag Geborene gehörte in den 1920er- und 1930er-Jahren in das Umfeld des in der Stadt an der Moldau wirkenden Wiener Dirigenten und Komponisten Alexander Zemlinksky. Ab 1933 blieb ihm Deutschland als künstlerisches Betätigungsfeld verwehrt, ab März 1939 auch Tschechien.

„Dass die verheerende politische Entwicklung nicht nur seine Arbeit, sondern auch seine Freiheit und sein Leben bedrohen würde, erkannte Schulhoff zu spät. Noch während er die Emigration in die Sowjetunion vorbereitete, deren Staatsbürgerschaft er wenige Wochen zuvor erhalten hatte, wurde er im Juni 1941 verhaftet. Infolge der Gefangenschaft an Unterernährung und Tuberkulose leidend, starb er am 18. August 1942 im Alter von nur 48 Jahren im Lager Wülzburg“, so der Musikwissenschafter Christian Heindl.

„‚Elektra‘ ist erschütternde emotionale Intensität“

Die 1909 uraufgeführte „Elektra“ sei eine der bedeutendsten Opern der Musikgeschichte, so Manfred Honeck, seit 2008 Musikdirektor des Pittsburgh Symphony Orchestra: „Sie ist unglaublich dramatisch, hochkomplex und stößt an die Grenzen von Tonalität und Harmonie. Sie gibt uns zudem einen Einblick in die außergewöhnliche Brillanz des Opern- und Tondichtergenies Richard Strauss’." Die Geschichte der Elektra ist griechische Tragödie pur, in der es um Mord, Rache, Leidenschaft, Ekstase und Liebe geht.

Manfred Honeck
Felix Broede
Erwin Honeck

2016 bearbeitete Honeck die Oper und schrieb „Elektra“. Symphonische Suite für großes Orchester, orchestriert von Tomas Ille. Manfred Honecks Ziel war es, das Volumen des symphonischen Orchesters zu bewahren: „Die instrumentale Klangfarbe war eines der wichtigsten Mittel, um die extreme Dramatik und die erschütternde emotionale Intensität der Geschichte zum Leben zu erwecken. Dissonanz und klangliche Komplexität waren nicht nur dekorativ, sondern mächtige Werkzeuge, um das fesselnde Drama dieser griechischen Tragödie zu vermitteln.“

Die musikalische Arbeit des gebürtigen Österreichers Manfred Honeck wird durch Erfahrungen geprägt, die der Bratschist als Mitglied der Wiener Philharmoniker und des Wiener Staatsopernorchesters sammeln konnte. Seine Laufbahn als Dirigent begann er als Assistent von Claudio Abbado in Wien. Nach Aufgaben in Zürich, Leipzig, Oslo und Stockholm wurde er zum Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart berufen. 2022/23 absolviert er als Music Director des Pittsburgh Symphony Orchestra, mit dem er auf der ganzen Welt gastiert, seine 15. Spielzeit, der 63-Jährige ist auch ein gefragter Gastdirigent aller großen internationalen Orchester.

Russisches und Tschechisches im Wolkenturm

Am Sonntag präsentiert Honeck mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra die Symphonie Nr. 5 e-Moll von Pjotr Iljitsch Tschaikowski und Antonin Dvoraks Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll. Gautier Capucon wird mit seinem Violoncello von Matteo Goffriller (1701) zu hören sein. Der 40-jährige französische Cellist war in der vergangenen Saison Artist in Residence an der Pariser Philharmonie und im Wiener Konzerthaus.

Antonin Dvorak habe das Angebot rundweg abgelehnt, als ihm im Juni 1891 die Leitung des Nationalen Konservatoriums in New York angetragen worden war, schreibt der Musikjournalist Walter Weidringer im Grafenegg-Programmheft: „Mit den erst jüngst übernommenen Aufgaben eines Professors am Prager Konservatorium, wo er Formenlehre, Komposition und Instrumentation unterrichtete, war der fünfzigjährige Komponist, Dirigent, Ehemann und Vater von sechs Kindern voll ausgelastet — und fühlte nicht zuletzt auch eine patriotische Verpflichtung dem tschechischen Volk gegenüber.“

Gautier Capucon
Fabien Monthubert Erato Warner Classics
Gautier Capucon

Aber das finanzielle Angebot aus den USA war doch zu verlockend: Man bot ihm eine Jahresgage von 15.000 Dollar an, das entsprach etwa 30.000 Gulden, während er in Prag als Professor am Konservatorium 1.200 Gulden erhielt. Der Ruf aus New York war stärker, von 1892 bis 1895 entstanden die Neunte Symphonie („Aus der Neuen Welt“), das F-Dur-Streichquartett (das sogenannte Amerikanische), das Es-Dur-Streichquintett — und selbstverständlich auch das Cellokonzert, eines der populärsten Werke nicht nur Dvoraks, sondern der ganzen Gattung.

„Eine der tiefgründigsten Symphonien“

Nach der Pause steht dann Tschaikowskis 1888 uraufgeführte Symphonie Nr. 5 e-Moll op. 64 auf dem Programm des Konzerts im Wolkenturm. Vom selbstkritischen Komponisten gibt es durchaus wenig schmeichelhafte Anmerkungen zu seiner Fünften, die überall sonst auf immer größere öffentliche Anerkennung stieß: „Nach jeder Aufführung empfinde ich immer stärker, dass dieses Werk mir misslungen ist. Die Symphonie erscheint mir zu bunt, zu massiv, zu künstlich, zu lang, überhaupt unsympathisch.“

Wie kaum einen anderen Komponisten habe Tschaikowski in seiner Fünften das Schicksal ereilt, dass seine Musik zu Unrecht als übermäßig sentimental und bombastisch charakterisiert wurde, meint Manfred Honeck. Natürlich gebe es das Sentiment und die triumphalen Fortissimi, „meiner Meinung ist sie jedoch eine der tiefgründigsten Symphonien ihrer Zeit. In seinem Notizbuch hat Tschaikowski ein an der Schicksalsidee orientiertes Programm für die Fünfte Symphonie angedeutet. Das ist relevant, aber was diese Symphonie meines Erachtens zum Leben erweckt, sind die sorgfältig ausgearbeiteten Details und Stimmungsvariationen, wobei jede einzelne musikalische Phrase zur Erzählung der gesamten Geschichte beiträgt.“