Tallinn
Christoph Koller
Christoph Koller
Wirtschaft

Land holt sich Digital-Expertise aus Estland

Eine Delegation des Landes hat diese Woche Estlands Hauptstadt Tallinn besucht. Vor Ort holte man sich letzte Tipps für das Haus der Digitalisierung in Tulln. Vor allem wirtschaftlich will man in engem Austausch mit Estland bleiben, heißt es.

Es gibt wenig, was in Estland nicht im Internet möglich ist: Beinahe alle Behördengänge kann man in dem Ostseestaat rein online erledigen, nur für die Hochzeit und die Scheidung muss man noch persönlich auf das Amt – allerdings werde auch daran bereits gearbeitet, heißt es. Seit 2005 kann man über das Internet wählen, seit 2010 sind Apothekenrezepte digital erhältlich. Wer eine Firma in Estland gründen möchte, kann das von überall auf der Welt machen. Durchschnittlicher Zeitaufwand: 30 Minuten.

Eine Delegation um Wirtschaftslandesrat Jochen Danninger (ÖVP) hat sich diese Woche selbst von der digitalen Gesellschaft in Estland überzeugt. Zehntausende Delegationsteilnehmer aus der ganzen Welt pilgern jährlich an die Ostsee, um die Lösungen der Esten zu verstehen. Und die lassen sich gerne in die Karten schauen. „Wir sollten keine Angst davor haben, Systeme, die funktionieren, einfach zu kopieren“, sagt Sandra Särav, Unterstaatssekretärin für Unternehmertum und Konsumumfeld im estnischen Wirtschafts- und Kommunikationsministerium. Am besten lerne man sowieso aus den Erfolgen und Fehlern der Partner.

So soll das Haus der Digitalisierung aussehen, wenn es im Februar eröffnet wird

Kooperation mit estnischer IT-Unternehmer-Vertretung

Für das Land Niederösterreich ist die Reise eine letzte Gelegenheit, um Anregungen für das Haus der Digitalisierung in Tulln zu sammeln. Im Februar soll es offiziell eröffnet werden. In dem Gebäude sollen Unternehmen, genau wie Bürgerinnen und Bürger, für digitale Services begeistert werden, um so von Tulln aus die Digitalisierung des Wirtschaftsstandorts voranzutreiben. „Wir wollen speziell unsere kleinen und mittleren Unternehmen in Niederösterreich mit diesem Projekt unterstützen“, so Landesrat Danninger: „Hier brauchen wir maßgeschneiderte Angebote: Was hat ein Bäcker von der Digitalisierung? Was hat ein Landwirt von der Digitalisierung? Das machen sie in Estland sehr gut mit sehr anschaulichen Beispielen.“

In Tallinn unterzeichnete die Delegation in diesem Sinne eine Kooperationserklärung mit dem Estnischen Verband für Informationstechnologie und Telekommunikation, einer privaten Interessensvertretung von 116 estnischen IT-Unternehmen. Man wolle einen regelmäßigen Austausch zwischen dem estnischen Verband und dem Haus der Digitalisierung ermöglichen. „Hier in Estland gibt es sehr, sehr viele interessante IT-Unternehmen. Wir in Niederösterreich haben auch viele interessante Unternehmen und die müssen miteinander kooperieren. Und dafür wurde der Weg geebnet“, so Danninger.

Delegation Estland
Raigo Pajula
Mit dem estnischen Verband für Informationstechnologie und Telekommunikation wurde eine Kooperationserklärung unterzeichnet

Roboterprogrammieren bereits im Kindergarten

Wie wichtig das Investment in digitale Strategien für die Standortentwicklung gerade im ländlichen Raum ist, betont auch Robert Krimmer, Professor für E-Governance an der Universität Tartu. „Initiativen wie ein Haus der Digitalisierung, die also die Vorteile der Digitalisierung in den Vordergrund stellen, sind sicher hilfreich.“

Allerdings sieht er das Projekt als „ersten Schritt“, der die Einführung digitaler Verwaltungsangebote vereinfacht. Es gehe darum, ein möglichst umfangreiches digitales Verständnis in der Bevölkerung zu schaffen, so Krimmer. Die Politik müsse darauf achten, Bürgerinnen und Bürger digital zu bilden und Ängste zu nehmen. „In Estland wird bereits im Kindergarten mit einfachen Robotern programmiert, damit die Kinder schnell ein digitales Verständnis erlangen.“

Digitalisierungs-Delegation in Estland

Im Februar soll das Haus der Digitalisierung in Tulln eröffnet werden. Die letzten Anregungen dafür hat sich diese Woche eine Delegation mit Wirtschaftslandesrat Danninger in Estland geholt.

„Steuererklärung macht in Estland Spaß“

„Man muss dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger den digitalen Systemen vertrauen und den Nutzen darin sehen“, betont Unterstaatssekretärin Särav. „Der Service darf nicht in erster Linie dem Staat dienen, sondern muss dem Bürger nutzen“. In Estland sei das durch die Einführung des elektronische Steuersystems im Jahr 2000 gelungen. Früher habe die Steuererklärung drei Tage gedauert, heute sei alles mit nur einem Klick möglich. „Jetzt ist Estland das erste Land der Welt, wo den Leuten die Steuererklärung Spaß macht“, so Särav. Heute erledigen 95 Prozent der Esten ihre Steuererklärung online.

Bei der Nutzerzentriertheit digitaler Services sieht Krimmer von der Universität Tartu Österreich bereits gut aufgestellt. „Üblicherweise geht es dabei auch um Bürgerbeteiligung, wie in Österreich, das elektronische Volksbegehren.“ Auch die Handysignatur und die Plattform FinanzOnline seien „sehr gute Erfolge“.

Särav Danninger
Raigo Pajula
Esltands Unterstaatssekretärin Särav: „Service muss dem Bürger nutzen“

Verwaltung auf Gemeindeebene digitalisieren

Auf Bundesebene will man bei E-Services jetzt weiter an Tempo zulegen. Bis 2024 sollen die meisten Behördengänge parallel auch digital angeboten werden – mehr dazu in Digitalisierung: „Bis 2030 schnelles Internet“ (noe.ORF.at; 20.08.2022). Landesrat Danninger betont: „Die Menschen erwarten sich, dass Behördengänge so einfach wie nur irgendwie möglich abgewickelt werden können.“ Digitale Eheschließungen und Scheidungen sehe er allerdings nicht als erstrebend. „Aber sonst gibt es fast nichts, was man nicht auch online erledigen kann.“

Besonders im Bürgerservice der Gemeinden sei noch viel Luft nach oben, so der Landesrat. „Die Menschen wollen nicht dieselben Daten hunderte Male angeben.“ Stattdessen müssten die niederösterreichischen Behörden sich untereinander vernetzen. Das sei die Aufgabe der kommenden Jahre, so Danninger.

Lob für Breitband-Ausbau in Niederösterreich

Von estnischer Seite wurde der Breitband-Ausbau in Niederösterreich positiv hervorgehoben. „Wir müssen noch herausfinden, wie wir die Breitbandverbindungen auf den letzten Metern direkt zu den Menschen bringen, etwa direkt in die ländlichen Gegenden“, so Unterstaatssekretärin Särav: „Den Breitbandausbau hat Niederösterreich bereits außerordentlich gut gemacht,“ so Särav. Estland ist im Vergleich zu Österreich sehr dünn besiedelt. Zwischen einzelnen Höfen liegen oft kilometerlange Strecken, was den Ausbau mit Glasfaserkabeln erschwert.

In Niederösterreich verfügen derzeit rund 77 Prozent der Haushalte über einen Anschluss an eine Internetverbindung mit einer Geschwindigkeit über dem Schwellenwert von 100 Mbit pro Sekunde. „Wir haben ausreichend finanzielle Ressourcen, um ganz Niederösterreich flächendeckend mit Glasfaser, mit Breitband zu versorgen“, verspricht Danninger. Der Engpassfaktor sei lediglich die Bauwirtschaft. Derzeit würden jährlich bis zu 35.000 Haushalte über die Niederösterreichische Glasfaserinfrastruktur GmBH (nöGIG) an schnelles Internet angeschlossen. Bis 2030 sollen alle Haushalte in Niederösterreich an Breitbandinternet angeschlossen sein. „Ich gehe davon aus, dass wir vielleicht sogar ein bisschen schneller sein werden“, so der Landesrat.