Frauenhaus
ORF.at/Birgit Hajek
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Chronik

Nachfrage nach Plätzen in Frauenhäusern steigt

In Niederösterreich häufen sich zuletzt die Fälle von Gewalt gegen Frauen. Viele Betroffene holen sich bei häuslicher Gewalt zu spät Hilfe, sagt die Leiterin des Frauenhauses St. Pölten, Oldina Albertoni: „Für betroffene Frauen und Kinder haben wir immer Platz.“

In Niederösterreich gibt es sechs Frauenhäuser mit insgesamt 59 Plätzen. „Spätestens wenn körperliche Gewalt passiert oder wenn es Drohungen gibt, die zum Teil massiv sind, dann empfehle ich, dass diese ernst zu nehmen sind und dass sich Frauen an die Frauenhäuser wenden und anfragen“, sagt Oldina Albertoni, die Leiterin des St. Pöltner Frauenhauses und ausgebildete Sozialarbeiterin.

Seit Ende der Lockdowns steigt die Nachfrage nach Plätzen in den Frauenhäusern wieder. Das sollte aber niemanden abhalten, Hilfe zu suchen. „Frauen die akut gefährdet sind und einen Platz brauchen, können wir immer im Frauenhaus aufnehmen, und es ist auch immer Platz für ihre Kinder“, sagt Albertoni.

In Niederösterreich gibt es sechs Frauenhäuser, nur im Waldviertel gibt es keines

Vor allem die Kinder würden unter Gewalt in der Familie besonders leiden, auch wenn sie die Gewalt nicht direkt miterleben oder selbst davon betroffen sind. „Kinder bekommen die Gewaltsituation immer mit, und das ist ganz schlecht für das Aufwachsen. Wir sehen, wenn Kinder im Frauenhaus ankommen, wie sehr sie diese Last loslassen können, ständig auf der Hut sein zu müssen vor einem Gewalttäter", so die Expertin.

„Nicht wegschauen, sondern ansprechen“

Außenstehende, die Gewalt gegen Frauen mitbekommen, sollten nicht wegschauen, sondern das Gespräch mit der betroffenen Frau suchen. Die Sozialarbeiterin rät, die Frau anzusprechen, wenn sie alleine ist, und ihr Informationen über Frauenhäuser oder Gewaltschutzeinrichtungen zu geben. Sollte man direkt mitbekommen, wie einer Frau Gewalt angetan wird, ist man verpflichtet, die Polizei zu verständigen, so die Expertin.

Die Zahl der Femizide – wie Morde an Frauen bezeichnet werden – häuft sich zuletzt wieder. In Niederösterreich gab es alleine im August zwei Fälle in Neulengbach (Bezirk St. Pölten) und Oberwaltersdorf (Bezirk Baden) – mehr dazu in Frau erstochen: Ehemann in Haft (noe.ORF.at; 25.8.2022) und Oberwaltersdorf: Ehemann unter Mordverdacht (noe.ORF.at; 28.8.2022).

Österreichweit wurden heuer bereits 25 Frauen getötet, erst am Dienstag kam es zu einem weiteren Femizid in Bludenz (Vorarlberg). Ein 36-Jähriger erstach seine Ehefrau, das Paar hat drei gemeinsame Kinder – mehr dazu in Femizid in Bludenz: Tat mit langer Vorgeschichte (vorarlberg.ORF.at; 1.9.2022).

Konfliktforscherin: „Anlaufstellen nicht leicht zugänglich“

Die einzige Chance, um derartige Gewalttaten zu verhindern, sei, dass sich die in diesem Bereich tätigen Einrichtungen – wie Frauenhäuser und Gewaltschutzzentren – regelmäßig austauschen, sagt Konfliktforscherin Birgitt Haller im Interview mit Katharina Sunk in der Fernsehsendung „NÖ heute“ am Donnerstag. Die Informationen zu den Anlaufstellen für Frauen seien „offenkundig nicht leicht zugänglich“, kritisiert sie.

Die aktuelle Teuerung könnte das Problem verschärfen, dass Frauen, die Gewalt erfahren, dennoch in ihren Beziehungen bleiben, weil sie von ihrem Partner wirtschaftlich abhängig sind. Die verpflichtende Gewaltpräventionsberatung für Männer, gegen die ein Annäherungs- oder Betretungsverbot ausgesprochen wurde, sei „gut angelaufen“.

Frau Haller, 25 Frauen wurden heuer bereits in Österreich getötet. Hätte man – ohne Details zu kennen – den einen oder anderen Fall verhindern können?

Haller: Das ist sehr schwierig. Ich gebe viel auf die Fallkonferenzen, die wieder eingeführt wurden. Man hat mir gesagt, dass sie wieder öfter aktiviert werden, wo die Covid-Gefahr nicht mehr so groß ist und man sich wieder besser treffen kann. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass alle beteiligten Einrichtungen, die Einblick in die Situation haben, sich darüber austauschen. Das ist die einzige Chance, um wirklich schwere Gewalttaten zu verhindern.

Warum holen sich viele Frauen oft viel zu spät Hilfe? Die Informationen, wo es Hilfe gibt, wären grundsätzlich leicht auffindbar.

Haller: Das mit dem „viel zu spät“ ist so eine Sache. Erstens hängt es damit zusammen, wie die Frau die Bedrohung wahrnimmt, ab wann der Punkt ist, wo sie sich zum Beispiel wirklich fürchtet. Das ist oft der Knackpunkt, wo Frauen was tun. Ich hatte diese Woche ein Telefonat mit einer Frau, die mich um Hilfe gebeten hat, die nicht wusste, dass es Interventionsstellen und Gewaltschutzzentren gibt. Das ist natürlich schon ein Problem.

Das heißt, die Informationen, wo es Hilfe gibt, sind aus Ihrer Sicht doch nicht leicht genug auffindbar?

Haller: Es ist offenkundig nicht leicht zugänglich und nicht alle potenziell Betroffenen wissen es.

Konfliktforscherin Birgitt Haller
ORF
Konfliktforscherin Birgitt Haller: „Der Austausch der betroffenen Einrichtungen ist die einzige Chance, um schwere Gewalttaten zu verhindern“

Wenn Frauen bei ihrem gewalttätigen Partner bleiben, dann oft aus wirtschaftlichen Gründen. Ist in der aktuellen Situation zu befürchten, dass die massive Teuerung das Problem noch einmal verschärft?

Haller: Ja, da haben Sie sicher recht. Wenn ich mir nicht leisten kann, auszuziehen, alleine zu leben, für mich alleine zu sorgen, für meine Kinder zu sorgen, ist das natürlich häufig ein Grund, dass ich bei meinem Partner bleibe – auch wenn er gewalttätig ist – und dass ich vielleicht abwäge: Was ist der leichtere Weg, was halte ich eher aus? Gleichzeitig gibt es aus den Lockdown-Phasen Studien, die nachweisen, dass gerade im Lockdown Gewalt zunimmt. Das ist ein sehr prekäres Verhältnis: mehr Gewalt und weniger Chance, aus der Familie oder aus der Beziehung herauszugehen.

Seit genau einem Jahr müssen alle, gegen die ein Betretungs- oder Annährungsverbot ausgesprochen wird, mindestens sechs Stunden zur Gewaltpräventionsberatung. Hat das schon etwas verändert?

Haller: Ob es was verändert hat, kann man noch nicht sagen. Das wird noch ein bisschen dauern, bis man genügend Untersuchungsmaterial hat. Ich höre von Einrichtungen, die in dem Feld arbeiten, dass es gut angelaufen ist, dass die Personen, gegen die ein Betretungsverbot verhängt wurde, auch regelmäßig kommen, also nicht versuchen, sich zu entziehen. Die sechs Stunden sind kein Antigewalttraining, aber eine Möglichkeit, um bei jemandem anzusetzen, der schon offen ist und selber merkt, dass er Veränderung benötigt, und etwas in Gang zu bringen.