Kultur

Ein Ort „berühmt“ durch Langzeitarbeitslose

Er hat in den 1930er-Jahren weltweit von sich reden gemacht: der kleine niederösterreichische Ort Gramatneusiedl (Bezirk Bruck /Leitha). Auch derzeit steht er mit einem Projekt zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit im Fokus.

Langzeitarbeitslosigkeit schafft bei vielen Menschen, die davon betroffen sind, Gefühle der Wertlosigkeit, der Leere und den Eindruck, am Rande der Gesellschaft zu stehen. „Ich war sehr viel zuhause, habe nichts gemacht, war sehr demotiviert. Da ist es mir wirklich nicht gut gegangen“, schilderte Nadine Berger gegenüber noe.ORF.at ihre Situation als Langzeitarbeitslose.

Diese Phänomene beschrieben die Soziologen Marie Jahoda, Hans Zeisel und Paul Lazarsfeld bereits 1932 in ihrer weltberühmt gewordenen Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“: „Denn was zwischen den drei Orientierungspunkten Aufstehen – Essen – Schlafengehen liegt, die Pausen, das Nichtstun ist selbst für den Beobachter, sicher aber für den Arbeitslosen schwer beschreibbar. Er weiß nur: Einstweilen wird es Mittag.“ Der Name Marienthal bezieht sich auf die große Textilfabrik „Marienthal“, die Anfang der 1930er-Jahre in Gramatneusiedl (Bezirk Bruck an der Leitha) die Produktion einstellen musste.

ehemaliges Konsumgebäude als Museum
ORF
Im ehemaligen Konsumgebäude ist ein Museum eingerichtet, das sich mit der Entwicklung der Fabrik und der Sozialstudie beschäftigt.

Projekt „MAGMA“ bietet Arbeitslosen neue Chancen

Heute ist Nadine Berger Mitarbeiterin im neuartigen Projekt Magma, das Langzeitarbeitslosen einen Langzeitarbeitsplatz anbietet, mit einer achtwöchigen Eingangsphase. „In dieser Zeit entwerfen wir mit unseren Mitarbeitern einen neuen Plan“, erklärte uns der stellvertretende Leiter des Projekts Andreas Bertalan. "In dieser Phase erarbeiten wir neue Ziele und Möglichkeiten für unsere Mitarbeiter.

Denise Bergers Situation habe sich deutlich verbessert seit sie Angestellte bei Magma ist, sagte sie: „Ich kann mir das Leben wieder besser leisten. Ich war bereits wieder im Kino und mit meinen Brüdern beim Heurigen und werde demnächst in eine größere Wohnung ziehen.“

Neben der Landschaftspflege beschäftigt die Firma Magma ihre rund 70 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in einer Möbelwerkstatt, in der Alltagsbegleitung von Senioren und der Wohnraumsanierung. „Wir können stolz darauf verweisen, dass es in Gramatneusiedl keine Langzeitarbeitslosen mehr gibt“, erklärte Bertalan. Magma ist eine Firma, die im Auftrag des AMS gegründet wurde.

Textilfabrik Marienthal
Museum Marienthal
Textilfabrik Marienthal in Gramatneusiedl: Sie war bekannt für ihr Bettwäsche-Sortiment

Eine Studie vor 90 Jahren sorgt für Aufsehen

Dass Langzeitarbeitslose in Antriebslosigkeit versinken können, das haben die Soziologen Marie Jahoda, Hans Zeiser und Paul Lazarsfeld 1932, also vor 90 Jahren, in Gramatneusiedl weltweit erstmals untersucht. Ihre Sozialstudie wurde weltberühmt. Im ehemaligen Konsum-Gebäude in Gramatneusiedl ist dazu ein kleines Museum eingerichtet.

Als die Textilfabrik Marienthal, mit rund 1.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, florierte, entstanden rund um die Fabriksgebäude Wohnhäuser, Vereinsgebäude und ein reiches soziales Leben: es gab hier den ersten Montessori-Kindergarten Niederösterreichs, Theatergruppen, Sportvereine, viele Musik- und Gesangsensembles.

Handballerinnen in Gramatneusiedl 1930
Museum Marienthal
Frauen des Handballvereins Marienthal

1930 kam mit der Schließung der Fabrik das soziale Leben komplett zum Erliegen. Wie aus diesem blühenden Sozialleben eine Ödnis werden konnte, das analysierten Marie Jahoda und ihre Wissenschaftler-Kollegen.

Projekt Magma sorgt für Aufmerksamkeit

90 Jahre später wird das aktuelle Arbeitslosenprojekt Magma ebenso wissenschaftlich begleitet, von den Universitäten Oxford und Wien. Von den vorläufigen Ergebnissen verriet Hannah Quinz vom Institut für Soziologie der Universität Wien folgendes: „Die finanzielle Situation der Betroffenen hat sich verbessert, die psychische Gesundheit hat sich bei den allermeisten stabilisiert, die soziale Beteiligung im Ort haben die Teilnehmer und Teilnehmerinnen gesteigert.“

Dieses Modellprojekt mit Arbeitsplatzgarantie ist das weltweit erste evidenzbasierte Modell einer Arbeitsplatzgarantie. 44 Prozent der Arbeitenden, die das Programm durchlaufen haben, haben mittlerweile im ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen können.

Die mediale Resonanz ließ nicht lange auf sich warten. „Es gab Berichte auf CNN, BBC, deutsche Printmedien haben haben Stories gebracht und Magma lobend erwähnt“, erzählte Bertalan stolz. Mit Arbeitslosen einst und ehemaligen Arbeitslosen heute macht Gramatneusiedl international von sich reden.