Modehaus Stift Tulln
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Menschen im Blickpunkt

Modefamilie mit Jahrhundert-Tradition

Kaum etwas ist so kurzlebig wie die Bekleidungsmode – heute in, morgen wieder out. Umso außergewöhnlicher ist es, wenn ein Bekleidungsunternehmen mehr als zwei Jahrhunderte überdauert und wie bei Stift-Mode in Tulln im Familienbesitz bleibt.

Die Familie Stift in Tulln schaffte das Kunststück, das Geschäft bisher über mehr als 200 Jahre zu führen und die Geschichte ist noch keineswegs zu Ende. Das Jubiläum zum 200. Geburtstag hat allerdings nie stattgefunden.

Alles war bereits vorbereitet im März 2020, so erzählt Unternehmerin Nina Stift: „Wir hatten schon historische Kostüme aus den Museen, die Werbung war draußen und dann kam die Nachricht, dass wir wegen Corona zusperren müssen: zunächst zwei Wochen. Geworden sind es neun Wochen und dann noch mehr. Das Fest hat bis heute nie stattgefunden. Aber was soll’s! Wir feiern dann eben 210 Jahre.“

Beginn als Gemischtwarenhandlung

Begonnen hat alles in einer Gemischtwarenhandlung in Haugsdorf (Bezirk Hollabrunn) im Jahr 1820, gegründet von Anton Stift. Zwei Jahrzehnte später übersiedelte man nach Tulln, in das Gebäude am Rathausplatz, das heute noch das Stammhaus ist – seit 175 Jahren – und das viele Tiefs überstand.

Einschneidend war etwa eine Inflation in den 1920er-Jahren, als die Rechnungen Milliardensummen betrugen, wie in der Buchführung von damals nachzulesen ist. Hinzu kamen später die Wirren im und nach dem zweiten Weltkrieg, die Seniorchef Willi Stift beschreibt: „Wir waren geplündert von den Russen, hatten keine Ware. Mein Vater hat dann, weil wir immer schon einen Vertrag mit Palmers hatten, von dort Kunstblumen geholt, weil die auch nichts anderes hatten, und die Menschen haben sie gekauft, weil sie nach dem Krieg etwas haben wollten. Egal was.“

Modehaus Stift Tulln
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Nach wie vor ist das Geschäft in seinem Stammhaus in der Tullner Innenstadt angesiedelt. Pferdekutschen sieht man dort schon lange nicht mehr

Es gab aber auch viele Hochs in der Firmen- und Familiengeschichte, etwa eine Begegnung Willi Stifts mit Weltstar Liz Taylor. Heute ist das Haus vollgepackt mit Erinnerungen und hat Potenzial für weitere Jahrzehnte, sagt Willi Stift: „Bekleidung werden die Menschen immer brauchen. Das war vor 2.000 Jahren genauso wie heute. Der Stil ändert sich, früher war es dunkles Festtagsgewand, das man gekauft hat, heute ist es bunte Mode, die sich rasend schnell verändert. Aber sie symbolisiert auch mehr Freiheit.“

Die nächste Generation ist schon „im Boot“

Farbe statt Grau also und ein gewisser Zwang, den internationalen Trends nachzujagen, darum gehe es heute, wenn auch nicht allen, sagt Nina Stift: „Mir tut es etwas leid darum, dass das gut Angezogene gerade etwas in den Hintergrund rückt, aber es wird wieder kommen und das wird jetzt, wohl auch nach Corona, wieder mehr kommen. Und noch mehr Farbe. Die Mode ist eben ein Trendartikel und jede Saison müssen wir uns neu daran orientieren, was die Großen in der weiten Welt uns diktieren. Man muss ja nicht alles mitmachen, aber zu zwei Dritteln machen wir das.“

Drei Generationen der Familie Stift in Tulln
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Drei Generationen auf einem Bild: Olivia Stift mit Mutter und Inhaberin Nina Stift und deren Vater Willi Stift (v.l.)

202 Jahre besteht das Geschäft nun und die nächste Generation soll dafür sorgen, dass diese Familiengeschichte weitergeht. Tochter Olivia Stift hat sich schon ins Unternehmen eingearbeitet und bringt frischen Schwung: „Es ist sehr angenehm, in der Familie zu arbeiten. Ich bin akzeptiert und integriert. Nachdem es dieses Unternehmen schon gibt, nehme ich es gern. Ich hätte auch andere Möglichkeiten gehabt, aber ich finde, das passt gut zu mir.“ Zeitgeist und Mode auf der einen Seite trifft auf Tradition auf der anderen Seite: ein seltenes Zusammenspiel, das es aber offensichtlich in Tulln noch lang geben dürfte.