Julia Kreusch, Tilman Rose, Manuela Linshalm
Luiza Puiu
Luiza Puiu
Kultur

„Die Blendung“ als gnadenlose Groteske

Nikolaus Habjan inszenierte Paulus Hochgatterers Bühnenfassung von Elias Canettis Roman „Die Blendung“ und feierte damit am Samstagabend im Landestheater Niederösterreich in St. Pölten Premiere. Eine gnadenlose Groteske.

Als vor 17 Jahren im Schauspielhaus Graz eine Dramatisierung von Elias Canettis Roman „Die Blendung“ zu sehen war, saß damals ein faszinierter junger Mann namens Nikolaus Habjan im Publikum. Nun übernahm er selbst die Regie für eine von Paulus Hochgatterer erstellte Bühnenfassung. Quintessenz: eine gnadenlose Groteske, ein spannender und letztlich brisant aktueller Abend.

Am Anfang stand – zugegeben – die Skepsis: Wieder einmal ein Roman (und nicht der unbedeutendste), den auf die Bühne hieven zu müssen man offenbar meinte. Wieder einmal ein Protagonist, der mit einer Schauspielerin besetzt wird. Wieder einmal Puppentheater. Doch die skeptischen Vorurteile wichen rasch zunehmender Begeisterung.

Inhaltlich wie geschaffen für unsere Gegenwart

„Die Blendung“ ist inhaltlich tatsächlich wie geschaffen für unsere Gegenwart (und das ist im Grunde sehr unerfreulich). In der Rolle des bibliophilen Sinologen Peter Kien brilliert Bettina Kerl, die dem weltfremden Intellektuellen – körpersprachlich virtuos – androgynen Charme verleiht. Und Habjan setzt die wirklich fabelhaft entworfenen Puppen sehr ökonomisch ein, etwa für den grausigen Hausmeister.

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Die Blendung, Bettina Kerl, Julia Kreusch
Johannes Hammel
Bettina Kerl, Julia Kreusch
 Julia Kreusch, Tilman Rose, Laura Laufenberg, Bettina Kerl
Luiza Puiu
Julia Kreusch, Tilman Rose, Laura Laufenberg, Bettina Kerl
 Julia Kreusch, Tilman Rose
Luiza Puiu
Julia Kreusch, Tilman Rose
 Laura Laufenberg, Tim Breyvogel, Julia Kreusch
Johannes Hammel
Laura Laufenberg, Tim Breyvogel, Julia Kreusch
Laura Laufenberg, Tilman Rose, Tim Breyvogel, Julia Kreusch, Manuela Linshalm
Luiza Puiu
Laura Laufenberg, Tilman Rose, Tim Breyvogel, Julia Kreusch, Manuela Linshalm

Dass die Figuren sehr überzeichnet dargestellt werden, ist in diesem Fall kein Vorwurf, sondern ein Kompliment. Die Ursache für diese Überzeichnung liegt natürlich schon in der Romanvorlage begründet, auch atmet die Atmosphäre der Inszenierung kafkaesken Geist, versetzt mit einer Prise Horvath, einem Schuss Brecht und einem Touch „Biedermann und die Brandstifter“: ein symbolträchtiges Lehrstück.

Wie Hochgatterer zutreffend im Programmheft konstatiert: „Das ist alles ein wenig holzschnittartig, aber es prägt sich ein.“ Schmeichelhaft gezeichnet ist hier absolut niemand, alle sind letztlich hoffnungslos miese oder dumme oder psychotische Typen. Das mag Woke-Apostel verstören.

Analyse der Ignoranz und des Wegschauens

Habjan bezeichnet die „Blendung“ als „Abgesang“ auf unsere Gesellschaft, als Analyse der Ignoranz und des Wegschauens. Und so lautet auch Hochgatterers beunruhigende und beunruhigte Frage zu dieser „Blendung“, die ja ursprünglich als prophetische Ahnung des Nationalsozialismus zu interpretieren ist: „Wie kann es auch heute noch passieren, dass die Kombination aus brachialer Brutalität, Geistlosigkeit, Gier und narzisstischer Entgrenztheit dazu führt, dass am Schluss nicht nur Bücher, nicht nur der kritische Verstand, sondern auch Menschen im Feuer enden?“

Ausgezeichnet sind die schaupielerischen Leistungen von Julia Kreusch als gierige Haushälterin Therese sowie Tim Breyvogel, Tilman Rose, Laura Laufenberg und Manuela Linshalm in mehreren Rollen. Jakob Brossmann hat ein stimmig funktionierendes Bühnenbild beigesteuert, Denise Heschl die zumeist monochromen passenden Kostüme, Kyrre Kvam die ebenso unaufdringliche wie filmreife Musik.

Mag sein, dass der Abend eine Spur zu lang geraten ist. Aber wie anders soll man einem derart umfangreichen Werk beikommen, ohne auf Wesentliches zu verzichten? Schade, dass dieser Produktion nur wenige Aufführungen beschieden sind, darunter im November zwei Gastspiele an der Bühne Baden.