Gottes Segen für die Wissenschaft – hieß es bei der offiziellen Eröffnung des Institutes of Science and Technology Austria am 2. Juni 2009. Am großen Festtag für Maria Gugging (Bezirk Tulln) waren Kirche und Forscher also keine Gegner. Auch an symbolischen Gesten durfte es nicht fehlen: Für das neue Labor wurde feierlich der Spaten gestochen.
Im Wesentlichen bestand das Gelände zu diesem Zeitpunkt nur aus dem ehemaligen Hauptgebäude der vormals an dieser Stelle betriebenen Landesnervenklinik. 120 Jahre lang war dort – mit Ausnahme der Zeit des Nationalsozialismus – kranken Menschen geholfen worden. Die Laborgebäude waren im Juni großteils noch im Bau oder erst im Planungsstadium.
Überraschungsgast bei der Eröffnung
Trotzdem kamen zur Eröffnung viele, auch hochkarätige Gäste und Teilnehmer: der österreichische Nobelpreisträger für Gehirnforschung, Eric Kandel, Anton Zeilinger, Quantenphysiker und geistiger Vater des Projekts sowie Haim Harari – der Leiter des renommierten Weizmann-Instituts baute die Forschungsstätte in Maria Gugging auf.
Und für viele überraschend: Michael Häupl, selbst Biologe und damaliger SPÖ-Bürgermeister von Wien. Überraschend, weil die beiden Bundesländer Wien und Niederösterreich in den Jahren zuvor bezüglich des Standorts im Clinch lagen. Eine Elite-Uni für Forschungen auf höchstem Niveau weckte auf beiden Seiten Begehrlichkeiten für diese prestigeträchtige Institution.
2.6.2009: Eine kühne Idee wird Realität
Eine kühne Idee
Das Institut beruht auf einer Idee des Wiener Experimentalphysikers Anton Zeilinger, der 2002 beim Technologieforum Alpbach erstmals mit Nachdruck für eine „Flaggschifforganisation“ im wissenschaftlichen Bereich – einer österreichischen „University of Excellence“ nach dem Vorbild US-amerikanischer Spitzenuniversitäten – eintrat. Doch vorerst blieb das in erster Linie eines: eine kühne Idee.
Dem Forschungsrat präsentierte Zeilinger 2004 dementsprechende Pläne, die von mehreren Experten – darunter drei Nobelpreisträgern – positiv bewertet wurden. Internationale Expertinnen und Experten unter der Führung des ehemaligen Präsidenten des israelischen Weizmann-Instituts, Haim Harari, erarbeiten ein Konzept für das geplante Institut, das zunächst unter dem Namen „Elite-Uni“ firmiert.

Wettstreit zwischen zwei Bundesländern
Niederösterreich – insbesondere Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) – schlug die Errichtung auf dem Areal der Landesnervenklinik in Maria Gugging vor. „Es muss ein Standort sein, der international attraktiv ist“, konterte Wiens Finanzstadtrat Josef Rieder, „dass da Wien als Universitäts- und Forschungszentrum gewisse Vorteile hat, liegt auf der Hand.“ Wien bot dafür ein Areal am ehemaligen Flugplatz Aspern.
Beide Bundesländer legten dem Bund ihre Konzepte vor. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens McKinsey gab es keinen klaren Sieger. Maria Gugging war zwar in zwei von vier Kategorien besser, Wien punktete aber beim wichtigen wissenschaftsbezogenen Profil. Auch die involvierten Wissenschafter wollten sich damals nicht festlegen – vor Maria Gugging wurde aber in einem Brief im Jänner 2006 eindringlich gewarnt.
Geld entscheidet über Standort
Wenige Tage später fiel die Wahl dennoch auf Niederösterreich. Viele vermuteten dahinter politische Gründe, der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) verwies hingegen auf das bessere Angebot. Demnach biete das Land Niederösterreich für die ersten 20 Jahre eine Finanzierung in der Höhe von 178 Millionen Euro an – um fast 60 Millionen mehr als das Wiener Angebot.
2.2.2006: Die Elite-Uni kommt nach Maria Gugging
Dazu gebe es laut Schüssel von Niederösterreich drei Millionen Euro für den jährlichen Betrieb und 180.000 Quadratmeter Grundfläche statt 100.000, wie es Wien angeboten hatte. Und das Campusareal sei „sofort benützbar“, ergänzte Wissenschaftsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP).
Gründervater tritt zurück
Doch der Gründervater der Elite-Uni und Physiker, Anton Zeilinger, konnte diese Entscheidung nicht nachvollziehen, sprach von einer suboptimalen Lösung und zog sich mit zwei weiteren Wissenschaftern aus dem Projekt zurück, „weil eine Institution mit diesem Anspruch, wirklich an der absoluten Spitze angesiedelt zu sein, so gestartet werden muss, dass man alle Möglichkeiten ausschöpft.“ Vor allem sollte man prüfen, „ob nicht bessere Möglichkeiten gegeben sind.“

Die Politik irritierte die Entscheidung nicht, Bundeskanzler Schüssel konterte: „Soweit ich das verstanden habe, hat er für eine Nachdenkpause plädiert, aber wenn wir zu lange nachdenken, werden andere dieses Institut machen und dann wird es eben in Polen, in der Slowakei oder in Deutschland stehen.“
Wenig Verständnis für die Entscheidung zeigte auch Landeshauptmann Erwin Pröll, da Zeilinger zwei Tage zuvor noch seine Unterschrift unter die Standortentscheidung gesetzt habe: „Wenn man nur eine Idee hat und dann entscheidungsunfreudig ist, an einem Tag nicht mehr weiß, was man am Tag zuvor noch unterschrieben hat, dann muss ich ihnen sagen, eine derartige Persönlichkeit hat eigentlich nicht das Vertrauen, das ich mir vorstelle.“
2006: Erwin Pröll spricht über die Bedeutung des Instituts und über Zeilingers Rücktritt
„Charakter einer Alibi-Aktion“
Hinter der Entscheidung für Niederösterreich vermuteten viele vor allem politische Gründe. Und Wien fühlte sich mit seiner Bewerbung nicht ernst genommen. „Rückblickend habe ich zunehmend den Eindruck, dass das, was mit uns verhandelt worden ist, eher den Charakter einer Alibi-Aktion hatte und an der Entscheidung von Anfang an nichts mehr zu ändern war“, klagte Wiens Vizebürgermeister Rieder.
Die Kritik an der schlechten Verkehrsanbindung des Standortes konterte Pröll mit dem Konzept des Landes. Demnach wolle man zwei Maßnahmen setzen: Einerseits eine direkte Linienführung etwa mit Shuttlebussen, die von der Wiener U-Bahn zum Campus führen. Andererseits erhalte die Stadt durch eine Umfahrung ein „völlig neues Verkehrskonzept“, wodurch die Anbindung zum Flughafen „ein Katzensprung“ sei.

Die Elite-Universität sei für die weitere Entwicklung Niederösterreichs jedenfalls ganz entscheidend, hob Pröll die Erwartungen: „Weil wir davon ausgehen, dass sich auf Grund der Ergebnisse eine Reihe von Spin-offs entwickeln werden, Unternehmen, die aus der wissenschaftlichen Arbeit auch in die Praxis übergeführt werden können, die dann auch zu Arbeitsplätzen führen.“
„Schlussstrich unter alte Industriestrukturen“
Zudem sei die Entscheidung für Niederösterreich – neben dem Krebsforschungszentrum MedAustron Wiener Neustadt, dem Uni-Campus Krems oder dem Technologiezentrum Tulln – ein wichtiges Signal, wie Pröll damals bei einer Pressekonferenz betonte, die „einen Schlussstrich unter die alten Industriestrukturen in Niederösterreich signalisieren und einen Riesenschritt in Richtung Hochtechnologie bedeuten.“
Als führender Wissenschafter kam daraufhin der Name von Josef Penninger ins Spiel, der jahrelang als Molekularbiologe in Kanada gearbeitet hatte und in Wien forschte. Unklar blieb, ob Zeilinger noch eine Rolle spielen könnte. Schließlich bekundet dieser wenige Tage später doch Interesse an einer Mitarbeit und einen „politisch naiven Traum“: „Ich träume davon, dass es gelingt eine Lösung zu finden, bei der Wien und Niederösterreich mitmachen können.“
Eine versönliche Rückkehr
Das beeindruckt Pröll nicht und betonte: „Professor Zeilinger hat selbst die Tür zugemacht, ich habe dazu nichts zu sagen.“ Tatsächlich kehrte der Wissenschafter noch im selben Jahr zurück. Ab Oktober 2006 war er stellvertretender Vorsitzender des ISTA-Kuratoriums und legte diese Funktion erst mit der Übernahme des Amtes des Präsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im September 2015 zurück.
2006: Unabhängiger Weisenrat mahnt zur Geduld
Wenige Monate zuvor wurde bereits der Weisenrat für die Elite-Uni präsentiert: Haim Harari, einst Präsident des renommierten Weizmann-Institutes in Israel, Olaf Kübler von der Technischen Hochschule in Zürich und Hubert Markl von der deutschen Max-Planck-Gesellschaft. Deren Credo: Unabhängige Forschung auf höchstem Niveau. Ging es nach der Politik, sollten in Maria Gugging schon bald Nobelpreisträger forschen.
Weisenrat mahnt zur Geduld
Haim Harari mahnte dabei zur Geduld: „Kommen sie nicht nach fünf Jahren und fragen sie ‚Wo sind die neuen Arbeitsplätze und die Nobelpreise‘, das wird länger dauern, aber es wird passieren.“ Allerdings müsse noch ein zugkräftiger Name gefunden werden, denn ISTA – Institut of Science and Technology Austria hielt der Weisenrat damals für wenig attraktiv.

Im Dezember 2006 wurden die personellen Weichen gestellt. Erster Vorsitzender des Kuratoriums wurde der ÖVP-nahe Manager, Claus Raidl. Harari selbst leitete jenes Komitee, das die Geschicke des Institutes führt, bis ein Präsident gefunden wurde. In der politisch brisantesten Frage des Standorts legten sich die Wissenschaftler nicht fest. Sie hätten ausdrücklich den Auftrag gehabt, dass nicht zu bewerten.
Forschung soll „besten Köpfen“ folgen
Konkrete Forschungsfelder wurden damals bewusst noch nicht definiert, erklärt Bildungsministerin Gehrer: „Das muss anders laufen. Man sucht die besten Köpfe und diesen besten Köpfen gibt man dann die Möglichkeit in ihrem Bereich zu forschen.“ Der Standort in Maria Gugging war mit dieser Konstituierung aus Sicht des Landes aber endgültig fixiert.
Fast genau ein Jahr später rollten in Maria Gugging die Bagger an, das „Institut of Science and Technology Austria“ nahm damit auch baulich konkrete Formen an. Die historischen Gebäude, wie der Zentralbau am Teich, blieben erhalten. Doch 16 Gebäude wurden auf dem 18 Hektar großen Gelände abgerissen. Es handelte sich dabei vor allem um die Erweiterungsbauten der 60er und 70er Jahre.

Entscheidend für den Erfolg der Elite-Universität sind allerdings in erster Linie die Experten, die hier tätig sein werden – allen voran die Präsidentin oder der Präsident. 20 Kandidatinnen und Kandidaten seien mittlerweile in der engeren Auswahl, sagt Harari, aber „wir stehen nicht mit einer Stoppuhr da. Denn wenn wir bei der Auswahl des Präsidenten einen Fehler machen, dann das ist das das Ende des Projekts.“
Ein Versprechen der Politik
Außerdem hatten sich damals bereits fast 600 Forscherinnen und Forscher aus der ganzen Welt für die Arbeit in Maria Gugging beworben. Vizekanzler Wilhelm Molterer (ÖVP) stellte damals nochmals klar, „dass ich garantiere, dass die Politik selbstverständlich in die Arbeit dieses Instituts keinerlei, keinerlei Einfluss nehmen darf und wird.“
Haim Harari spricht über seine Pläne für das Institut und Nobelpreisträger
Bis 2009 verantwortete Haim Harari die Entwicklung des Campus, die Aufnahme von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern und das Aufsetzen der administrativen Strukturen. Der erste Angestellte des Instituts war Gerald Murauer als dessen erster – zuerst interimistischer, dann definitiver – Geschäftsführer. 2009 wurde der österreichische Computerwissenschafter Thomas Henzinger zum Präsidenten bestellt.
Die Forschungsarbeit beginnt
Noch im selben Jahr nahmen auch die ersten Forschungsgruppen ihre Arbeit am Campus auf – auch wenn die Laborgebäude noch im Bau oder erst im Planungsstadium waren und erst geraume Zeit später eröffnet werden konnten: das Bertalanffy Foundation Building im Oktober 2010, das Lab Building East im November 2012 und schließlich das Lab and Office Building West im Dezember 2015.

Das Wachstum der Infrastruktur ging Hand in Hand mit der Entwicklung im wissenschaftlichen Bereich. Immer mehr Wissenschafter kamen an den Campus und arbeiteten an herausfordernden Forschungsfragen. Der Biologe Nick Barton und der Mathematiker Herbert Edelsbrunner waren 2009 die ersten Professoren. 2010 kamen die ersten Studierenden, 2015 konnten die Ersten von ihnen abschließen. 2014 wurde das erste Patent eingereicht.
2022 wurde übrigens eine zweite Abkürzung des Namens zugelassen. Seither nennt sich das Institute of Science and Technology Austria anstatt “IST Austria" nur “ISTA". Der Grund war, dass es zuvor immer wieder Diskussionen über die richtige Bezeichnung gab. Und warum man sich nicht – wie vom Weisenrat 2006 gewünscht – komplett umgetauft hat? Weil trotz allem von Anfang an die wissenschaftliche Aussrichtung im Fokus stand, heißt es gegenüber noe.ORF.at.
Antworten auf ungelöste Fragen
Heute gilt das ISTA als eine der weltweit führenden Institutionen in ihrem Bereich. Es widmet sich der Spitzenforschung in Biologie, Informatik, Mathematik, Neurowissenschaften, Chemie und Physik. Am ISTA arbeiten knapp 600 Wissenschafterinnen und Wissenschafter daran, Antworten auf ungelöste Fragestellungen in diesen Bereichen zu finden.

Die etwa 70 Professoren wurden aus mehr als 13.400 Bewerbungen ausgewählt. Sie leiten Forschungsgruppen mit bis zu zehn Postdoktoranten und PhD-Studierenden. Denn am Standort wird keine akademische Grundausbildung angeboten, sondern ausschließlich ein interdisziplinäres Programm für Postgraduierte. Der „Nature Index“ reiht das Institut etwa unter die Top Ten der 30 besten Institute, die jünger als 30 Jahre sind.
Sendungshinweis
„Radio NÖ am Nachmittag“, 4.11.2022
Die Grundlage des Erfolgs
Für den Erfolg sei es von entscheidender Bedeutung, dass die traditionellen Grenzen zwischen den Fachgebieten überwunden werden, weshalb die Zusammenarbeit zwischen den Forschungsgruppen stark gefördert wird, heißt es auf der Homepage. In Maria Gugging kann man jedenfalls langfristig planen. Bund und Land haben bis zum Jahr 2036 3,3 Milliarden Euro zugesagt.
Mit dem zugesagten Geld soll die Zahl der Forschungsgruppen von 60 auf 150 erhöht werden. „Österreich wird in 15 Jahren als eines der wenigen kleinen Länder ein Spitzenforschungszentrum der absoluten Weltklasse haben“, erklärt Henzinger im Jahr 2021. Es liegt nun am IST Austria, diese Version zu verwirklichen.