Soziales

Caritas: „Armut in Mittelschicht angekommen“

Unter den explodierenden Kosten für Haushaltsenergie und dem deutlich teureren Lebensmitteleinkauf leiden vor allem die, die ohnehin bisher nur knapp über die Runden gekommen sind. Aber nicht nur sie, warnt jetzt die Caritas.

Martina Lienemann aus Loosdorf (Bezirk Melk) kommt regelmäßig in den carla-Second-Hand-Shop in St. Pölten, denn die neueste Kleidung kann sie sich nicht leisten – schon gar nicht jetzt, wo das Leben immer teurer wird. Auch beim Lebensmitteleinkauf dreht sie jeden Euro zweimal um. „Da suche ich dann nach den roten Pickerln, also nach Ware, die kurz vor dem Ablaufen ist.“

Die Teuerungen sind allerdings nicht nur für das Börserl belastend. „Das tut der Psyche nicht gut, wenn man ständig Existenzängste hat. Mit diesen stark steigenden Preisen muss ich noch genauer schauen und den Gürtel noch enger schnallen“, so Lienemann.

Um ein Drittel mehr Anfragen bei Sozialberatung

Den Klimabonus der Bundesregierung in der Höhe von 500 Euro hat Martina Lienemann sofort zur Seite gelegt, denn vor der nächsten Energieabrechnung graut ihr jetzt schon und ihre Waschmaschine darf keinesfalls kaputtgehen, so knapp ist sie bei Kasse.

Direktor der Caritas Diözese Ziselsberger im Gespräch

Der Direktor der Caritas der Diözese St. Pölten, Hannes Ziselsberger spricht unter anderem über die Herausforderungen der Caritas. Des Weiteren berichtet er an wen sich die Menschen wenden können, wenn sie nicht wissen, wie es weitergehen soll.

Mit ihren Sorgen ist Frau Lienemann nicht alleine. Immer mehr Menschen in Niederösterreich leben an der Armutsgrenze und sind mit Mietrückständen oder Energienachzahlungen konfrontiert. Das macht sich auch bei der Caritas bemerkbar. Der Ansturm auf die Sozialmärkte ist groß und bei den Sozialberatungsstellen gibt es allein in diesem Jahr um ein Drittel mehr Erstanfragen – und täglich kommen neue dazu.

Riedl: „Vieles geht sich nicht mehr aus"

Das Bemerkenswerte dabei: Es kommen Menschen, die nie gedacht hätten, einmal um Hilfe bitten zu müssen, betont Christoph Riedl, der Generalsekretär der Caritas der Diözese St. Pölten. „Obwohl die Menschen an allen Ecken und Enden sparen, geht sich vieles nicht mehr aus. Und es kommen jetzt nicht nur Menschen zu uns, die langfristig von Armut betroffen sind. Die Armut ist mittlerweile längst in der Mittelschicht angekommen“, so Riedl.

Caritas PK Teuerung Armut carla
Caritas/Franz Gleiß
„Die Armut ist längst in der Mittelschicht angekommen“, warnte die Caritas am Dienstag in einer Pressekonferenz

Stark steigende Preise, das bedeutet auch eine größere Nachfrage in den carla-Second-Hand-Läden. Die Menschen würden nicht mehr kommen, weil sie Vintage-Mode „cool“ finden, so Carina Membir vom carla-Shop in St. Pölten. Viele Menschen kämen schlichtweg, weil ihnen „normale“ Geschäfte zu teuer geworden sind.

Viele Pensionisten auf Second-Hand-Läden angewiesen

„Zurzeit kommen viele Seniorinnen und Senioren zu uns, die uns zum Beispiel erzählen, dass sie herkommen, weil sie schöne Geschenke für ihre Enkelkinder suchen und das hier noch leistbar ist. Anderswo könnten sie ihren Liebsten nichts kaufen, weil die Pension dafür einfach nicht mehr ausreicht“, erzählt Membir.

Die aktuelle Situation stellt jedenfalls auch die Läden der Caritas vor Herausforderungen. „In letzter Zeit merken wir, dass die Qualität der Sachspenden abnimmt“, berichtet Membir. Angesichts der explodierenden Lebenshaltungskosten überlegen viele offenbar zweimal, bevor sie Kleidungsstücke weggeben, und tragen sie länger.

Appell: Hilfe in Anspruch nehmen

Die Verantwortlichen der Caritas appellieren jedenfalls, in Notsituationen etwa bei der Sozialberatung Hilfe in Anspruch zu nehmen. In Amstetten, Waidhofen an der Thaya, Krems und St. Pölten bekommen Betroffene Beratung, was sie unternehmen können, um aus finanziell schwierigen Situationen zu kommen. Im Bedarfsfall kann auch mit der Übernahme von Energie- und Mietkosten sowie mit Lebensmittel- oder Bekleidungsgutscheinen geholfen werden.

„Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern wichtig und notwendig, um nicht in eine immer schneller drehende Spirale der Armut und Existenzgefährdung zu geraten“, so Caritas-Generalsekretär Christoph Riedl. Denn eines steht fest: Martina Lienemann steht stellvertretend für viele Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher. Vielen Menschen steht finanziell eine harte Zeit bevor.