Die „drei Schwestern“ aus dem gleichnamigen Theaterstück stehen mit Mänteln und Hauben im verschneiten Wald
Luiza Puiu
Luiza Puiu
KULTUR

„Drei Schwestern“: Sehnsucht nach Großstadt

Das Stück „Drei Schwestern“ von Anton Tschechow feiert am 2. Dezember seine Premiere im Landestheater Niederösterreich. Inszeniert wird es von der Hausregisseurin des Budapester Katona József Theaters, Kriszta Székely.

Die drei, in einer provinzialen Garnisonsstadt lebenden Schwestern Olga, Mascha und Irina träumen nach dem Tod ihres Vaters von einem erfüllten Leben in Moskau. Olga ist als Lehrerin von ihren Schülerinnen geplagt, Mascha von ihrer frühen Ehe enttäuscht und Irina möchte endlich etwas Sinnvolles machen. Keine Wunder, dass die Großstadt lockt. Doch anstatt zu handeln, reden die Schwestern lieber nur von ihrer verheißungsvollen Zukunft.

Die Figuren des russischen Schriftstellers Anton Tschechow gehören der bürgerlichen Elite an, ihre Privilegien und Bildung haben zur Zeit des endenden Russischen Zarenreichs zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine zufriedenstellende Wirkung. Die aufstrebende ungarische Regisseurin Kriszta Székely, die am renommierten Theater Katona József in Budapest tätig ist, ist beim Inszenieren auf der Suche nach Parallelen zum Zustand der heutigen Gesellschaft.

„Humanitäres Statement“ auf der Bühne

Natürlich sei die Situation komplex, sagt die Ungarin, die erstmals ein Stück auf Deutsch inszeniert, im Interview mit der APA. Heute ein russisches Stück, eines zumal, in dem Militärs auftreten, im Westen auf die Bühne zu bringen, gibt zu den herkömmlichen Regie-Aufgaben noch einiges dazu.

Sie halte aber gar nichts davon, angesichts Putins Angriffskriegs russische Kultur an sich zu verteufeln. Tschechow sei wie Tschaikowski oder Dostojewski fraglos Teil der Weltkultur. Er erzähle von Gefühlen, die jeder Mensch habe. „Deshalb wird das Statement, das ich auf der Bühne mit meiner Arbeit abgebe, mehr ein humanitäres als ein politisches.“

Schwierige Situation für Kulturschaffende in Ungarn

Tschechow habe eine lange Tradition in Ungarn, meint Székely, die im Lockdown bei einem Online-Festival für das Landestheater Niederösterreich entdeckt wurde. Sie selbst hat bereits „Onkel Wanja“, „Die Möwe“ und „Platonow“ inszeniert. Das Katona József Theater in Budapest, in dessen Team sie seit ihrem Studienabschluss im Jahr 2015 arbeitet, sei allerdings eines der letzten Bollwerke, an dem progressive Theaterarbeit in Ungarn noch möglich sei.

Die Orbán-Regierung habe schon seit längerem den Kulturkampf ausgerufen. In der Kultur soll es nur noch darum gehen, das „wahre Ungartum“ zu stärken, „was immer das ist“. Regierungstreue Funktionäre ohne Theatererfahrung seien an die Spitze von bedeutenden Bühnen berufen worden, um diese Linie zu exekutieren. „Wir dagegen werden von der Budapester Stadtregierung gefördert. Solange diese in Opposition zu Orbán steht, werden wir weiterarbeiten können. Was danach kommt, weiß niemand.“

Regisseurin Kriszta Székely
Dániel Dömölky
Die aufstrebende ungarische Regisseurin Kriszta Székely inszeniert „Drei Schwestern“ im Landestheater Niederösterreich in St. Pölten

Großer Einfluss von Orbán auf Stimmung im Land

An einen Systemwechsel in Ungarn glaubt die 39-Jährige nicht mehr. „Dazu sitzt er vor allem am Land viel zu fest im Sattel. Er hat ein Ein-Parteien-System etabliert und es geschafft, praktisch alle großen Medien zu kontrollieren.“

Außerhalb von Budapest und einigen anderen Städten hat er damit das Meinungsmonopol." Damit beeinflusse er in allen wichtigen Fragen die Stimmung im Land – etwa im Ukraine-Krieg. „Niemand ist für diesen Krieg. Aber Orbáns unklarer Kurs in diesem Zusammenhang orientiert sich eher an seiner kritischen Haltung zur EU. Viele Leute durchschauen das nicht.“

„Richard III.“ demnächst in Turin

Kriszta Székely, die für ihre Inszenierungen in Ungarn bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, wird weitermachen. Am Katona József Theater, wo sie Hausregisseurin und Mitglied der künstlerischen Leitung ist; in Turin, wo sie mit einer „Onkel Wanja“-Inszenierung debütierte und demnächst „Richard III.“ in der Ästhetik einer zeitgenössische Politsatire auf die Bühne bringen will; und, durchaus möglich, auch im deutschsprachigen Raum.

Die „Drei Schwestern“ könnten das Aufbruchssignal dazu geben. Auch, wenn der Ruf dann anders lauten wird als: „Nach Moskau! Nach Moskau!“