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Wissenschaft

Künstliche Intelligenz sucht anonyme Mönche

Wer waren jene Mönche, die im 12. Jahrhundert in den Klöstern die Bücher verfasst oder kopiert haben? Dieser Frage geht ein wissenschaftliches Projekt der FH St. Pölten und des Stifts Klosterneuburg nach – auch mit Hilfe künstlicher Intelligenz.

Als im 12. Jahrhundert in Niederösterreich die Klöster Heiligenkreuz (Bezirk Baden), Zwettl und Klosterneuburg (Bezirk Tulln) gegründet wurden, waren die Mönche in ihren Regionen fast die Einzigen, die lesen und schreiben konnten. Die Bücher, die sie damals verfassten oder kopierten, wurden über Monate oder oft in jahrelanger Arbeit mit der Hand geschrieben. Wer diese Schreiber waren, ist kaum bekannt, und die Mönche versuchten in einer exakten Schrift zu schreiben.

Dass die Schrift in den frühen handgeschriebenen Büchern so einheitlich wirkt, ist Karl dem Großen zu verdanken, der sich für Klarheit, Einheitlichkeit und Einfachheit im Schriftbild eingesetzt hat. Diese Buchstaben heißen daher karolingische Minuskeln. Das bedeutet, dass die Mönche in den Klöstern hinter ihre Werke zurückgetreten und großteils anonym geblieben sind.

Nur ein „Otto“ ist bekannt

„Es gibt einen einzigen Schreiber, der sich namentlich nennt in dieser Zeit. Das ist der Schreiber ‚Otto‘, aber sonst wissen wir von keinem den Namen“, erklärt Martin Haltrich, der Leiter der Bibliothek im Stift Klosterneuburg, gegenüber noe.ORF.at. „Die Schreiber im Mittelalter waren sozusagen die Schreibmaschinen des Klosters. Sie haben sich bemüht, möglichst gleichmäßig und gleich zu schreiben“, ergänzt dazu Markus Seidl, der Leiter der Studienabteilung „Creative Computing“ an der Fachhochschule Sankt Pölten.

Anders als in Filmen, wie beispielsweise in „Der Name der Rose“ dargestellt, wurde nicht bei Kerzenlicht geschrieben. Die Flammen waren zu gefährlich für das Pergament oder Papier. Und die Arbeit der Schreiber war hart, denn sie durften ihren Handballen nicht aufs Papier auflegen. „Es gibt einige Berichte mittelalterlicher Schreiber, die beschreiben, wie es ihnen geht. Da erzählen sie, dass sich drei Finger bewegen, der restliche Körper schmerzt“, erzählt Haltrich. Er zeigt sich auch verblüfft, dass man einem Text nicht anmerkt, an welchem Punkt ein Schreiber neu ins Tintenfass eingetaucht hat, um weiterzuschreiben.

Ein Computerprogramm, das weiterlernt

Trotz der Gleichheit und Exaktheit könne man auf verschiedene Schreiber schließen. Diese bekommen dann Kürzel. Ein Beispiel ist Schreiber „A30“, ein Mönch, der sehr produktiv war in seinem Leben. Ihm hat die Computeranalyse bisher sehr viele Seiten zugeordnet.

Mittels heutiger Computeranalyse lassen sich viele Details im Zehntelmillimeterbereich erfassen: Wie weit der Verfasser seine Buchstaben von der fein gezogenen Grundlinie absetzt beispielsweise, diverse Buchstabenverbindungen, der Duktus, also wie der Schreiber seine Schrift neigt, wie der Schwung ist oder wie die Schrift „lebt“. Das Bemerkenswerteste sei, dass die künstliche Intelligenz immer weiter lernt, erklärt Markus Seidl vom Studiengang „Creative Computing“.

Ein buntes Treiben bei den Schreibern

Jeder Seite und jedem Schreiber eines handschriftlichen Buches – auch Codex genannt – werden ein Kästchen und eine Farbe zugeordnet. Am Ende erkennt man am vielfarbigen Muster, wie viele verschiedene Schreiber an einem Buch gearbeitet haben dürften. Sind viele bunte Kästchen hintereinander, so haben sich die Schreiber oft abgewechselt. Es kann etwa sein, dass sich an einigen Büchern junge Mönche versucht haben und das Werk nicht sehr wichtig war.

Ausgangspunkt waren die bisherigen Forschungsergebnisse der Paläografen, der Schriftanalytiker, und am Ende entscheiden auch wieder die Experten in strittigen Fragen. „Wir unterstützen gerne die Wissenschafter bei der Bewältigung der Unmengen an Seiten und Büchern, die es zu untersuchen gilt“, freut sich der Fachhochschuldozent Seidl.

Mit 1.250 handschriftlichen Büchern ist die Bibliothek des Stiftes Klosterneuburg die größte der westlichen Welt. 250.000 Seiten sind bereits digitalisiert und werden nach und nach mit dem computergestützten Verfahren bearbeitet. Das weltweit einzigartige Projekt soll nach Abschluss in anderen Klöstern fortgeführt werden, beispielsweise im Stift Admont in der Steiermark.