Sophie Annerl überquerte den Atlantik auf einem Segelschiff. Sie sah die Welt – vor allem die See, etwa in den Seilen hängend von einem 30 Meter hohen Mast aus. „Wenn du Wachdienst hast, bist du für alles zuständig: Ruder, Ausguck, Segelmanöver, Instandhaltung. Alles was anfällt“, erzählt Annerl.
Vor 15 Jahren war ihr Leben die Seefahrt. „Man ist immer vier Stunden wach, dann hat man acht Stunden frei. Es gibt schöne und nicht so schöne Dienste: In der Nacht, wenn es kalt ist, im Ölzeug (wetterfeste Kleidung in der Seefahrt; Anm.) am Deck wenn es stürmt – das muss heute nicht mehr sein, aber damals fand ich es super“, sagt sie.
Neue Orientierung
Einen Rhythmus gebe dieses Dienstrad, etwas an dem man sich festhalten könne: „Ich hatte nach der Schule eine schwierige Phase und meine Schwester hat mir damals eine Postkarte geschenkt, da stand oben: Es gibt tote Menschen, lebendige Menschen und Menschen, die zur See fahren, und dann hab ich mich einfach angemeldet.“ Sie arbeitete auf den Segelschiffen „Roald Amundsen“ und der „Alexander von Humboldt II“.
Für diesen Bericht treffen wir Sophie Annerl im Trockenen, in ihrer Werkstatt in Pöchlarn, in einer völlig anderen Lebensphase. Die 40-Jährige arbeitet an ihrem neuesten Taschenentwurf. „Mayday“, „Verlorener Horizont“, „Piratenbeutel“ nennt sie die Designs – die Erfahrungen vom Seefahren haben geprägt. Seit zehn Jahren ist sie mit ihrer Taschenherstellung selbstständig.
Als die Tasche am Herd verschmorte
Nach den Seereisen war klar, dass es ein Handwerk werden muss. Zu den Taschen kam sie eher über Zufall: „Ich habe damals in Wien gewohnt und bin sehr müde nach Hause gekommen, habe meine sehr schöne, teure Handtasche auf den Herd geschmissen und bin ins Bett. Mit dem Riemen der Tasche habe ich aber den Herd aufgedreht und die Tasche ist langsam verschmort.“
Als sie die Tasche selbst reparieren wollte, habe sie erkannt, dass das genau das ist, wonach sie so lange gesucht hatte. Heute stellt sie pro Tag eine Tasche her, nur nach ihren eigenen Ideen, denn Aufträge nimmt sie nicht an. Sie möchte frei über ihren Arbeitsalltag und -inhalt bestimmen. „Wenn ich in der Früh in die Werktstatt komme, habe ich ein klares Empfinden, was ich machen will. Wenn ich da dagegen arbeite, das halte ich nicht aus“, schildert Annerl.
Es muss nicht der klassische Weg sein
Zum Erlernen des Handwerks besuchte sie eine Lederfachschule in Wien – aber nur ein halbes Jahr. „Da habe ich die Maschinen gelernt und das Werkzeug, aber auch, dass ich nicht mehr in die Schule gehen möchte.“ Sie brach ab, brachte sich die Herstellung selbst bei, durch das Auftrennen und Zusammennähen alter Taschen. „Und mit jeder Tasche bin ich besser geworden. Die von früher kann ich mir jetzt gar nicht mehr anschauen, aber damals war ich natürlich unglaublich stolz.“
Die Innenfutter der Taschen zeigen Weltkarten, Anker, Segelschiffe. Ihre Segeltörns erscheinen ihr heute wie ein anderes Leben, aber die Abenteuer hätten ihr neue Orientierung gegeben. „Mitgenommen habe ich vor allem, dass die Welt groß ist, was banal klingt, aber es gibt so viele Möglichkeiten, so viele Lebenswege, und das sollte man nicht vergessen.“